Zusammenfassung
Im theoretischen Anschluss an das von Ulrich Oevermann vertretene revidierte Modell der Professionalisierungstheorie, sowie exemplarisch anhand der Rekonstruktion des Verlaufs der Hilfeerbringung in einem konkreten Fall, arbeiten Olaf Behrend und Sven Jacob in ihrem Beitrag strukturelle Tendenzen zur Deprofessionalisierung bzw. Noch-Nicht-Professionalisiertheit bei organisierten Familien- und Erziehungshilfen im Rahmen des SGB VIII heraus.
Wir danken herzlich den Herausgeberinnen und Herausgebern für ihre wertvolle Kritik an einer ersten Version dieses Texts!
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Notes
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Der Feldzugang erfolgt über einen der Autoren (Sven Jacob), der Mitarbeiter dieses freien Trägers ist. Die Analyse dieses Falls erfolgt im Rahmen von mit dem Leitungsteam des freien Trägers durchgeführten Rekonstruktionen einzelner Fallverläufe. Es ist darauf hinzuweisen, dass diese nicht im Kontext einer institutionalisierten Qualitätssicherungs – bzw. Evaluationsmaßnahme des Trägers eingebettet sind, sondern Pilotcharakter haben. Das betrifft auch die Form der Datenerhebung. Diese hat einen gewissen abkürzenden Charakter, was einerseits forschungsökonomisch sehr große Vorteile hat: Eine wirkliche umfassende Datenerhebung mit Interviews mit allen Beteiligten und einer längerfristigen Begleitung durch Forscherinnen und Forscher kann nur in einem umfangreichen mehrjährigen Projekt realisiert werden. Entsprechend gibt es u.E. auch nur eine Studie die halbwegs solchen harten Kriterien genügt; diese ist bzgl. der Datenerhebung mittlerweile ein Vierteljahrhundert alt (Allert et al. 1994). Andererseits ist die Beteiligung eines der Autoren am Fall methodisch problematisch und erfordert in jedem Fall von dem Autor ein hohes Maß an Reflexivität.
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Man kann hier aus sozialpädagogischer Sicht einwenden, dass diese Deutung familien – resp. sozialisationstheoretisches Wissen mit struktural-psychoanalytischer Färbung in Anspruch nimmt und entsprechend spekulativ ist, außerdem mit einer pathologisierenden Wertung behaftet. Hinsichtlich Fallverstehen und Diagnostik würden wir diesbezüglich zu bedenken geben, dass ein grundlagentheoretisches Wissen über Familie, Sozialisation und Bildungsprozess des Subjekts unabdingbar für Professionelle der Sozialen Arbeit ist, die im engeren Sinne mit Familien arbeiten. Aus diesem Grund sollten entsprechende Wissensbestände Bestandteil des Studiums sein, auch als Grundlagen für ressourcenorientierte sozialpädagogische Schlussfolgerungen bezüglich des jeweiligen Falls. In der Praxis der sozialen Arbeit ist eine solche Deutung – und hierin liegt ein großer Vorteil gegenüber der Sozialforschung – rasch am Fall überprüfbar und ggf. falsifizierbar. In unserem Fall inwieweit Anhaltspunkte für die weitreichenden Schlüsse vorliegen oder eben nicht.
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Wir wissen aus den Erzählungen von Frau Neiket, dass sie vor ihrer Beziehung zu Herrn Schmidt eine mehrjährige Beziehung zu einem Touristen aus der Schweiz hatte. Diese habe sie aufgrund ihres Wunsches nach Gründung einer Familie beendet, da jener den Wunsch nicht geteilt habe.
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Die genauere Darstellung der Ergebnisse der sequenzanalytischen Interpretation dieses Formulars wie seiner konkreten Ausfüllung würde hier den Rahmen sprengen.
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Im vorliegenden Fall wären Namensgebung bzw. Name der Tochter, welcher von uns so gut wie möglich sinngemäß durch einen Decknamen ersetzt wurde, auch ein aufschlussreiches Datum einer Deutung.
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Realiter gingen Streit und Übergriffigkeiten von Herrn Schmidt aus. Er beschimpfte und bedrohte seine Ex-Partnerin; lauerte ihr zu dieser Zeit teilweise auf.
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Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte der freie Träger aus zwei Gründen die Hilfe beenden müssen. Zum einen weil die für eine zielführende Hilfegestaltung notwendigen Kooperationsvereinbarungen nicht getroffen wurden, und zum anderen weil Herr Schmidt als Klient keine Kooperationsbereitschaft zeigte.
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Die von Bernd Dollinger geforderte Grundhaltung, als Diagnostiker vom Nicht-Verstehen auszugehen (2011, S. 38), scheint uns für jegliche Form der Diagnose hilfreich, in gewisser Weise entspricht sie einer Haltung des ‚praktischen Fallibilismus‘.
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Die gesellschaftlichen Rollenerwartungen hinsichtlich Elternschaft sind besonders hoch; s. diesbezüglich anhand der jüngsten Familienpolitik: Behrend 2013.
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Behrend, O., Jacob, S. (2015). Zu Nichtprofessionalität und Tendenzen der Deprofessionalisierung in der Familienhilfe nach Sozialgesetzbuch VIII. In: Becker Lenz, R., Busse, S., Ehlert, G., Müller-Hermann, S. (eds) Bedrohte Professionalität. Edition Professions- und Professionalisierungsforschung, vol 3. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-00352-4_10
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