Zusammenfassung
Wir gehen von unserer naturwissenschaftlich-psychologischen Auffassung des Charakters aus, nach der „Charakter“ psychisches Reagieren ist, soweit es abhängig ist von der durch die verschiedenen Teilkonstitutionen gegebenen Reaktionsbereitschaft des Nerven- und Zentralnervensystems. Nicht zum Begriff des Charakters gehören die Komponenten des psychischen Lebens, die durch die Temperamente bedingt sind, also der (ohne äußere Erlebnisse) gegebene Stimmungshintergrund und der größte Teil dessen, was wir psychisches Tempo nennen. Man könnte einwenden, daß wir eine scharfe Trennung auf solche Weise nicht vornehmen können, und es ist auch zuzugeben, daß dies vollkommen niemals gelingen wird. Wir sind dabei aber ganz in der gleichen Lage, in der sich auch sonst der Charakterologe befinden muß. Auch bei einer anderen, nicht biologisch fundierten Umgrenzung des Begriffes Charakter sehen wir alle anderen Komponenten des Seelenlebens mit hineinspielen, wir können nicht ganz von der intellektuellen Qualität abstrahieren, wenn wir, wie Kretschmer es tut, die psychische Gesamtpersönlichkeit nach ihrer Affekt- und Willensseite hin als Charakter nehmen und das, was wir Temperament nannten, nun mit in den Charakter eingehen lassen. Wir können noch weniger von einer scharfen Grenze sprechen, wenn wir mit Wundt die Affektseite der Persönlichkeit den Temperamenten, die Willensseite dem Charakter zuweisen. Wie wollten wir die Willensqualitäten isoliert ohne Gefühlsqualitäten studieren, wo jene doch von diesen so ungemein abhängig sind, wie wollten wir diese Willensseite trennen von den Trieben oder von der intrapsychischen, gedanklichen Verarbeitung von Erlebnissen? Weiter, wie wissen wir, welches erst die im Laufe des Lebens unter Einfluß von Milieu und Erlebnis erworbenen Reaktionsweisen sind? Denn darüber müssen wir uns klar sein, daß wir alle unsere Untersuchungen an durch Lebensschicksale in ihren Reaktionsweisen umgemodelten und veränderten Individuen vornehmen. Unsere Umgrenzungen müssen also notwendigerweise immer sehr relativ bleiben.
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Ewald, G. (1924). Der Charakter. In: Temperament und Charakter. Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurologie und Psychiatrie, vol 41. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-99510-1_5
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