Zusammenfassung
Die vorwissenschaftliche Meinung. Die Sinne sind lebendige Organe des Menschen und der Tiere. Daß die Tiere wahrnehmen und vorstellen, denken und handeln wie der Mensch, glauben wir nicht; auch glauben wir nicht, daß sie Vergangenes sich als Vergangenes wieder zu vergegenwärtigen vermögen oder Zukünftiges in einer anschaulichen Vorstellung vorwegnehmen können, aber daß sie mit ihren Augen sehen, mit ihren Ohren hören, mit ihrer Nase riechen, kurz, daß sich ihnen in ihrem sinnlichen Empfinden ihre Umwelt öffnet, davon sind wir überzeugt. Zum mindesten teilen alle diejenigen diese Überzeugung, die mit Tieren täglich umgehen. Der Bauer, der Züchter, der Jäger, der Tierfreund zweifeln nicht daran, daß die Tiere sie in mannigfacher Weise vernehmen. Der Reiter treibt sein Pferd mit leisem Zuruf an und mäßigt es mit an deren Lauten wieder, er läßt es die Sporen fühlen oder beruhigt es mit einigen freundlichen Schlägen. Bei alledem besteht eine Gemeinschaft, eine Kommunikation zwischen Tier und Mensch, die in dem sinnlichen Empfinden des Tieres begründet ist. Scheut das Pferd vor einem Stück Papier, das auf dem Wege liegt, dann hat es in dem, was ihm da entgegenkam, wohl etwas anderes gesehen als sein Reiter, aber gewiß ist doch, daß es gesehen hat. Wir haben allen Grund anzunehmen, daß die Welt, in der wir als erwachsene Menschen leben, verschieden von der Welt der Tiere ist. Der Mensch hat die Gabe — wie manche meinen, die verhängnisvolle Gabe —, sich über den Bereich des sinnlichen Empfindens erheben zu können; er hat sich daraus entfernt, nicht um ihn ganz zu verlassen, gleichwohl ist ihm die Rückkehr in die Gefilde des reinen Empfindens für immer versagt. Die Tiere hingegen bleiben in ihrer umweltlichen Beziehung ganz auf die Sphäre des sinnlichen Empfindens eingeschränkt.
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© 1956 Spriger-Verlag oHG., Berlin-Göttingen-Heidelberg
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Straus, E. (1956). Einleitung. In: Vom Sinn der Sinne. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-66976-7_1
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