Die moderne Medizin hat ersichtlich ein Moralproblem: Es bereitet uns beträchtliche Schwierigkeiten, den ungestüm wachsenden technischen Fortschritt in der Intensivmedizin, Reproduktionsmedizin und Transplantationsmedizin mit unseren alten moralischen Überzeugungen in Übereinstimmung zu bringen; es besteht die Befürchtung, dass die Technik die Moral entmachtet, dass das, was machbar ist, trotz aller moralischer Bedenken auch gemacht werden wird.
Die moderne Medizin hat aber auch ein Gerechtigkeitsproblem: Die explodierenden Kosten des öffentlichen Gesundheitswesens sind mit dem hehren programmatischen Sozialstaatsziel einer maximalen Gesundheitsversorgung für jedermann immer schwerer in Übereinstimmung zu bringen; es besteht die Befürchtung, dass das ökonomische und ethische Gleichgewicht des öffentlichen medizinischen Versorgungssystems zerstört wird, dass die Ökonomie sich über die Forderungen der Gerechtigkeit hinwegsetzt und die Gesundheitsversorgung dem Markt übertragen wird.
Dort ein Konflikt zwischen Moral und Technik, hier ein Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Ökonomie. Wir sind an einer gerechten Organisation der gesellschaftlichen Gesundheitsversorgung interessiert, müssen aber das gerechtigkeitsethisch Notwendige mit dem ökonomisch Vertretbaren ausbalancieren, denn moralische Forderungen, die gesellschaftliche Realität missachten und sich somit um die Bedingungen ihrer Verwirklichung nicht kümmern, sind ebenso billig wie lächerlich. Im Folgenden wird versucht, diesen Konfliktbereich der gesellschaftlichen Gesundheitsversorgung gerechtigkeitsethisch auszumessen und die normativen Grundprinzipien einer gerechten Gesundheitsversorgung in Umrissen zu skizzieren.
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Kersting, W. (2008). Gerechtigkeitsethische Überlegungen zur Gesundheitsversorgung. In: Schöffski, O., v. d. Schulenburg, J.M.G. (eds) Gesundheitsökonomische Evaluationen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-540-49559-8_3
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