Zusammenfassung
Ulrich Becks Individualisierungsthese, so wie sie im Folgenden verstanden werden soll, meint eine historische Refiguration des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft. Sie meint nicht Vereinzelung, sondern einen Prozess, der aus zwei Teilen besteht. Erstens, ein Heraustreten des Individuums aus subjektiv als selbstverständlich erfahrenen gesellschaftlichen Zugehörigkeiten. Diese Selbstverständlichkeit assoziiert Beck in „Jenseits von Stand und Klasse“ für Deutschland mit den „sozial-moralischen Milieus“ (Beck 1983: 40) der industriellen Moderne, in die man etwa als Sozialdemokrat, als Katholik oder Protestant hineingeboren wurde und die die gesamte Lebensführung umfassend bestimmten. Mit dem Auseinanderbrechen dieser Großgruppen seit den 1950er Jahren des letzten Jahrhunderts – ausgelöst, so Beck, durch soziale und geographische Mobilität, die Schaffung sozialstaatlicher Sicherungs- und Steuerungssysteme, die Binnendifferenzierung von Berufsgruppen, die Ausweitung sozialer Konkurrenzbeziehungen, die Entstehung urbaner Großstadtsiedlungen, die Ausweitung der Arbeitsmarktdynamik auf immer weitere Bevölkerungskreise und schließlich das Sinken der Erwerbsarbeitszeit – zerbricht auch die Selbstverständlichkeit von Zugehörigkeit und Lebensführung. Die Antwort darauf können wir mit Beck, zweitens, in neuen individualisierten Vergesellschaftungsformen und vielfältigen Formen des Individualismus sehen, die eben nicht als Vereinzelung erfahren, sondern als kollektiv geteilte und subjektiv erfahrene Antworten auf Herauslösung zu verstehen sind (Beck/Sopp 1997). Zugehörigkeit erscheint nunmehr nicht als auferlegt. Der Einzelne sieht sich vielmehr gezwungen, sich selbst zuzuordnen und hat die Verantwortung, sein Leben selbst zu gestalten.
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Zifonun, D. (2010). Jenseits von „ethnic community“ und „ethclass“. In: Berger, P., Hitzler, R. (eds) Individualisierungen. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92589-9_7
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