Zusammenfassung
Das Thema Religion und Kirche kann als ein „vernachlässigtes Gebiet der Jugendforschung“ (Schäfers/Scherr 2005, 119) angesehen werden. Dies ist nicht zuletzt in dem Umstand begründet, dass die Bedeutung von religiösen Institutionen wie Kirche und Gemeinde für die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen in den letzten 50 Jahren gravierend zurückgegangen ist. Wie Vogelgesang (2008a, 85) anhand empirischer Daten darlegt, ist der regelmäßige Kirchenbesuch von Jugendlichen nur niedrig ausgeprägt. Zwischen einem Viertel und einem Fünftel schwankt der Anteil der Jugendlichen, die angeben, wenigstens einmal im Monat Gottesdienst zu feiern. Auch wenn der Großteil der nachwachsenden Generation zu kirchlichen Institutionen und religiösen Gemeinschaften ein distanziertes Verhältnis entwickelt hat, darf nicht vergessen werden, dass es auch in den modernen, säkularisierten und pluralistischen Gesellschaften Lebenswelten von Jugendlichen gibt, die in hohem Maße durch Religion und religiöse Vergemeinschaftung geprägt sind. Bohnsack sah vor einigen Jahren die „vordringlichste Aufgabe der Jugendforschung für die nächsten Jahre […] darin, sich ihres Gegenstandbereiches – der Lebensphase Jugend – zu vergewissern, indem sie den unterschiedlichen ,Jugenden’, d.h. den unterschiedlichen Strukturierungen der Jugendphase in milieu-, geschlechts-, bildungs- und generationsspezifischer (zeitgeschichtlicher) Differenzierung (und entsprechender Überlagerungen dieser Differenzierungen) Rechnung zu tragen vermag“ (Bohnsack 2001, 381). Vor diesem Hintergrund werden in diesem Beitrag Peerbeziehungen von Jugendlichen thematisiert, die in evangelikalen Aussiedlergemeinden aufwachsen. Als „evangelikale Aussiedlergemeinden“ werden im vorliegenden Beitrag russlanddeutsche Religionsgemeinschaften mit freikirchlichem Hintergrund bezeichnet, die ihre Herkunft im Mennonitentum haben und meist von weiteren protestantischen Strömungen, insbesondere von Pietismus und Baptismus, beeinflusst wurden. Sie können als traditionale Gemeinschaften bezeichnet werden, die versuchen, ihre religiösen Wirklichkeitsbestimmungen und Lebensführungskonzepte innerhalb einer weitgehend säkularisierten und individualisierten Umwelt aufrechtzuerhalten. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei die Frage, welche Rolle Peerbeziehungen für die Sozialisation der Jugendlichen und ihre Integration in die Gemeinde(n) nach den Vorstellungen der Erwachsenengeneration spielen.
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Schäfer, A. (2010). Peerbeziehungen zwischen Tradition und Moderne – Gleichaltrigengruppen und Jugendkultur in evangelikalen Aussiedlergemeinden. In: Harring, M., Böhm-Kasper, O., Rohlfs, C., Palentien, C. (eds) Freundschaften, Cliquen und Jugendkulturen. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92315-4_16
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