Grundlegend für den Begriff der Geschlechterkonstruktion und die inzwischen vielfältigen Konzepte, die sich mit der kulturellen bzw. sozialen Konstruktion von Geschlecht befassen, ist eine Perspektive, die dem Alltagswissen kompetenter Mitglieder unserer Gesellschaft diametral entgegengesetzt ist. Zu den fraglosen und nicht weiter begründungsbedürftigen Selbstverständlichkeiten unseres Alltagswissens gehört es, die Geschlechtszugehörigkeit von Personen und die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen als natürliche Vorgabe sozialen Handelns und sozialer Differenzierung zu betrachten. Dass es zwei und nur zwei Geschlechter gibt; dass jeder Mensch entweder das eine oder das andere Geschlecht hat; dass die Geschlechtszugehörigkeit von Geburt an feststeht und sich weder verändert noch verschwindet; dass sie anhand der Genitalien zweifelsfrei erkannt werden kann und deshalb ein natürlicher, biologisch eindeutig bestimmbarer Tatbestand ist, auf den wir keinen Einfluss haben – all das sind Basisregeln unserer „Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit“ (Hagemann-White 1984), die ebenso unbezweifelbar richtig scheinen wie die Annahme, dass dies zu allen Zeiten so war und auch in anderen Kulturen nicht anders ist.
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Wetterer, A. (2008). Konstruktion von Geschlecht: Reproduktionsweisen der Zweigeschlechtlichkeit. In: Becker, R., Kortendiek, B. (eds) Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91972-0_16
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