Zusammenfassung
Am 13. Dezember 2007 fand eine Art ‚Essstörungsgipfeltreffen‘ in Berlin statt, auf dem die Bundesministerin für Gesundheit, die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie die Bundesministerin für Bildung und Forschung die Initiative Leben hat Gewicht – gemeinsam gegen den Schlankheitswahn vorstellten. Mehr und mehr werden Körper im Kontext der Gesundheitskommunikation und vor dem Hintergrund von Essstörungen – angefangen bei dem europaweiten Brennpunktthema eines sich epidemisch ausbreitenden Übergewichts bis zum anderen Ende des Spektrums, nämlich Magersucht und Bulimie – breit diskutiert. Unabhängig von faktisch zunehmenden Essstörungen ist seit geraumer Zeit ersichtlich, dass der Körper immens an Bedeutung gewonnen hat und – unabhängig von tatsächlichem Über- oder Untergewicht – eine zunehmende Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper um sich zu greifen scheint. Gerade bei Jugendlichen wird dies überdeutlich, wenn man die Ergebnisse der jüngsten Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahre 2006 (Heßling/Bode 2006) heranzieht.1 Betrachtet man die Statements der Politikerinnen zur Initiative Leben hat Gewicht – gemeinsam gegen den Schlankheitswahn, wird unmittelbar augenfällig, dass den Medien bzw. spezifischen Medienangeboten offenbar eine besondere Bedeutung bei der Genese von Essstörungen und Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper zugesprochen wird. Angesichts dessen möchte die Gesundheitsministerin „die (Vor-)Bilder ändern und ein realistisches Maß finden“ und mit der Mode- und Werbebranche Gespräche führen – mit dem Ziel, mittelfristig konkrete Vereinbarungen bis hin zu Selbstverpflichtungen zu treffen (BMG/BMBFSFJ/BMBF: 2007).2 Beinahe klingen ihre Worte wie die Textelemente der Begleitmaterialien zu einer Unilever-Werbekampagne für die Körperpflegeprodukte von Dove, innerhalb welcher analog argumentiert wird. Dove stützt sich hierbei auf die Studie „Real Truth About Beauty – A Global Report“,3 deren Ergebnisse u.a. darauf schließen lassen, dass Medien und Werbung zu der Verbreitung einer eindimensionalen Darstellung von Schönheit beitragen. Denn 68 Prozent aller Probandinnen kritisieren, dass (werbe-)mediale Körperrepräsentationen einen „unrealistischen Maßstab setzen, den die meisten Frauen nie erreichen können“. Deutlich Position beziehend, sind die Ausnahmekampagnen von Dove mit so bezeichnenden Titeln wie Keine Models aber straffe Kurven und Initiative für wahre Schönheit versehen, wobei letztere Titulierung kampagnenübergreifend erfolgreich als permanenter Dove-Claim etabliert wurde und in der Rezeptionswahrnehmung nun unterschiedlichste Einzelkampagnen unter diese Initiative subsumiert werden. Der Keine Models aber straffe Kurven-Spot wurde gar bewusst kontrastiv in den Werbepausen des umstrittenen Casting-Formats Germany’s Next Topmodel ausgestrahlt, dessen Kandidatinnen einem äußerst rigiden Schlankheitsdiktat unterworfen sind. Die der Entstigmatisierung ‚normal‘-gewichtiger Frauenkörper verpflichteten Dove-Aktionen, die bereits erste Nachahmer gefunden haben,4 sollen im Zentrum der folgenden Betrachtungen stehen, da sie neue Körper- und Frauenbilder innerhalb der Werbewelt und damit auch der (medialen) Alltagswelt zu etablieren suchen. Ob und inwiefern sie diesem Anspruch gerecht werden, wird hier zu verhandeln sein.
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Knop, K., Petsch, T. (2010). „Initiative für wahre Schönheit“ – Die Rückkehr des Alltagskörpers in die idealisierte Körperwelt der Werbung. In: Röser, J., Thomas, T., Peil, C. (eds) Alltag in den Medien – Medien im Alltag. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91949-2_7
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