Auszug
Globalisierung ist — wie Sozialwissenschaftler1 vermerken — eine Idee, deren Zeit gekommen ist; das Klischee unserer Zeit. Globalisierung bedeutet die Kompression von Zeit und Raum; die Steigerung des Bewusstseins von der Einheit der Welt; die steigende Verwobenheit nationaler Ökonomien; die globale Diffusion von Praktiken, Technologien und Werten. Globalisierung bedeutet, „dass von nun an nichts, was sich auf unserem Planeten abspielt, nur ein örtlich begrenzter Vorgang ist, sondern dass alle Erfindungen, Siege und Katastrophen die ganze Welt betreffen und wir unser Leben und Handeln, unsere Organisationen und Institutionen entlang der Achse ‚lokal-global’ reorientieren und reorganisieren müssen“ (Beck 1997: 30). Sie kann „definiert werden als die Verschiebung der Grenzen von verdichteten sozialen Handlungszusammenhängen — als derjenigen Orte, an deren Grenzen eine signifikante Reduktion in der Häufigkeit und Intensität einer gegebenen Interaktion auftritt — jenseits der Grenzen von nationalen Gesellschaften, ohne gleich global sein zu müssen“ (Zürn 1997: 342). Zugleich wird Globalisierung allerdings auch zu einem Schlagwort, mit dem viele dürftig verstandene oder schlecht verstehbare Entwicklungen des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bereichs beschrieben — oder mit Vorurteilen befrachtet — werden.2
Nicht aus Nachlässigkeit, sondern aus Gründen der Sprachästhetik halte ich mich in den meisten Fällen an jene Konventionen, die dem männlichen Geschlecht in solchen Formulierungen einen gewissen Vorrang einräumen; hier ist natürlich von ‚Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern’ die Rede, und Entsprechendes gilt an anderen Stellen.
Globalisierung bedeutet nicht unbedingt eine rasche Entgrenzung von Raum und Zeit, durchgängige Entterritorialisierung, das Heraufdämmern einer Weltregierung. Aber manches spricht dafür, dass es sich um den Aufstieg einer neuen Phase der Zivilisation handelt. Das wirtschaftliche Geschehen wird mit Recht als eine der wichtigsten Kräfte in diesem Prozess angesehen; wirtschaftliche Globalisierung besagt, dass sich bei offenen Grenzen und besseren Verkehrs- und Kommunikationswegen die Konkurrenz um Standorte und Produktionen territorial immer weiter ausdehnt, letztlich bis über die ganze Welt (Fröbel et al. 1977). Die in die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung einbezogenen Territorien erweitern sich, ein Weltmarkt entsteht; die Beziehungen zwischen den Ländern vertiefen und intensivieren sich, neue Wertschöpfungsketten und Unternehmensformen entstehen; alle Entwicklungen — Produktion, Finanzierung, Distribution — beschleunigen sich. Es gibt auch eine politische Globalisierung: jene „Prozesse, in deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale Akteure, ihre Machtchancen, Orientierungen, Identitäten und Netzwerke unterlaufen und querverbunden werden“ (Beck 1997: 28f.). Man kann das Augenmerk auch auf die kulturelle Globalisierung legen: auf die Überlagerung oder die Vermischung von kulturellen Elementen aus allen Teilen dieser Welt. Und wer würde schließlich leugnen, dass die ökologischen Probleme der Menschheit globaler Natur sind? Wer würde in Frage stellen, dass terroristische Bewegungen alle Grenzen überschreiten?
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Prisching, M. (2007). Globalismus und Weltgesellschaft. In: Bemerburg, I., Niederbacher, A. (eds) Die Globalisierung und ihre Kritik(er). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90624-9_2
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