Auszug
Als Paul Natorp 1924 starb, war der Marburger Neukantianismus, dessen Hauptvertreter er neben Hermann Cohen (1842–1918) in der zweiten Hälfte des deutschen Kaiserreiches war, im Niedergang begriffen (vgl. Sieg 1994). Der neukantianische Zugriff auf die Pädagogik und insbesondere die neukantianische Fassung der Sozialpädagogik machten es nach Natorps Tod schwer seine Leistungen für die pädagogische Theoriebildung zu würdigen, obwohl er vielen als derjenige galt, der „in der Zeit der tiefsten Not... unser Führer auf die Gebiete der Erziehung“ war (Saupe 1924, 102). Die Jugendbewegung ehrte ihn mit einer Totenrede durch Karl Wilker (1885–1980) in der Zeitschrift der freideutschen Jugend „Junge Menschen“ (Jegelka 1992, 187). Rudolf Lehmann, der nach dem verlorenen Krieg und der Errichtung der deutschen Republik, die Reformpädagogik für die Aufgaben in der neuen Gesellschaft ordnete, schloss in großen Teilen an Paul Natorps Schriften an und setzte diese in Beziehung zur pädagogischen Bewegung (vgl. Lehmann 1922/1923). Nur die geisteswissenschaftliche Pädagogik in der Weimarer Zeit sah keinen Grund an die Systematik Natorps anzuknüpfen. Für Frischeisen-Köhler überschritt Natorps „Theorie nirgends den Umkreis der rein transzendentalen Konstruktion des Bewusstseins“ (Frischeisen-Köhler 1921, 103) und Herman Nohl meinte 1926 in einer Rezension, dass die Sozialpädagogik Natorps historisch geworden sei und eine neue Würdigung sich erübrige (vgl. Nohl 1926, 227).
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Verwendete Literatur
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Henseler, J. (2006). Paul Natorp (1854–1924). In: Dollinger, B. (eds) Klassiker der Pädagogik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90301-9_8
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