Zusammenfassung
Mit der Unterscheidung von Wahrheit und Nützlichkeit bringt Immanuel Kant 1798 in der Einleitung zu seiner Schrift „Streit der Fakultäten“ ein allgemeines Konstitutionsproblem der modernen Universität zum Ausdruck, das heute nicht nur für die Erziehungswissenschaft, sondern für alle wissenschaftlichen Disziplinen in Geltung sein dürfte. Kant sah die „oberen Fakultäten“ der Theologie, Jurisprudenz und Medizin in einem Konflikt mit den Kriterien der Wahrheit und den Interessen der Regierung. Aus dem Geiste der Überzeugung von der Autonomie der Wissenschaft argumentiert Kant, dass die Philosophie als wissenschaftsinterne Kontrollinstanz zu fungieren habe, „weil auf Wahrheit ([als] der wesentlichen und ersten Bedingung der Gelehrsamkeit überhaupt) alles ankomme, die Nützlichkeit aber, welche die oberen Fakultäten zum Behuf der Regierung versprechen, nur ein Moment vom zweiten Range ist“ (S. 27).
Der Aufsatz basiert auf dem Vortrag, den ich auf der Bremer Tagung der Sektion für Allgemeine Erziehungswissenschaften gehalten habe. Er greift darüber hinaus auf Überlegungen zurück, die ich bereits an anderer Stelle zur Normativität empirischer Unterrichtsforschung angestellt habe (vgl. Meseth 2011).
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Meseth, W. (2013). Erziehungswissenschaft als sozialwissenschaftliche Disziplin. In: Ricken, N., Koller, HC., Keiner, E. (eds) Die Idee der Universität - revisited. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19157-7_13
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