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Rationalitätenvielfalt im Kinderschutz – Eine Einführung

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Rationalitäten des Kinderschutzes

Zusammenfassung

Kindeswohl und Kinderschutz – diese Begriffe stehen seit einiger Zeit ganz oben auf der gesellschaftspolitischen Agenda. In der Medienberichterstattung sind Missbrauch, Vernachlässigung und verletzte Elternpflichten mittlerweile ein Dauerbrenner, wobei die „mediale Skandalisierung“ (Fegert et al. 2010) bzw. öffentliche Inszenierung tragischer Kindstötungen nur ein besonders schillernder Ausweis der Prominenz des Themas darstellt. Die öffentliche Debatte hat zu einem regelrechten Aktionismus politischer Entscheidungsträger und auch vieler anderer mit dem Kinderschutz befasster Akteure geführt: Wiederholte Initiativen der Legislative (wie zuletzt das Bundeskinderschutzgesetz), staatliche Modellprogramme (z. B. das der Frühen Hilfen) sowie die Entstehung immer neuer Netzwerke und Interventionsformen zeugen von der großen Unruhe, die sich in Deutschland (und anderswo) während der letzten Jahre ausgebreitet hat, wenn es um den Schutz der „Schwächsten“ geht. Die Zahl der Handbücher und Praxisanweisungen zum Thema Kinderschutz nimmt mittlerweile fast überhand (vgl. Alle 2010; Maier 2010; Maywald 2009; Meysen et al. 2008; Krieger et al. 2007; Ziegenhain und Fegert 2007). Es geht um die Aufbereitung von Rechtsfragen, Überlegungen zur bestehenden Interventionspraxis oder Rezepte zur Optimierung von Verfahren und Prozessen, vereinzelt auch um die Untersuchung der Phänomene von Kindeswohlgefährdung und -verletzung als solchen.

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Notes

  1. 1.

    Die vorliegende (oben ausschnitthaft genannte) Literatur bietet diesbezüglich reichlich Anknüpfungspunkte.

  2. 2.

    An dieser Stelle danken wir Franziska Hübsch, die bei der Organisation der Workshops der Forschungsgruppe und bei der Formatierung des Manuskripts beteiligt war, sowie insbesondere Karin Christl, ohne deren aufmerksame Endredaktion des Gesamttextes dieses Werk nicht zustande gekommen wäre.

  3. 3.

    Zur Debatte um den Begriff siehe die Ausführungen unten.

  4. 4.

    Siehe etwa Turnell und Edwards (1999), Munro (2008), Mathieu (2010) sowie die Debatte bei der UNICEF (http://www.unicef.org/protection/files/CP_Strategy_English(2).pdf).

  5. 5.

    Zum Aufeinandertreffen einer juristischen und einer in den „Psy-Professionen“ verankerten Rationalität aus einer systemtheoretischen Perspektive vgl. z. B. King und Kratz (1992).

  6. 6.

    Der Rekurs auf förmliche Rechtsakte, die Konkretisierung abstrakter Rechtsbegriffe etc.

  7. 7.

    Z. B. die Rechtfertigung juristischer Entscheidungen mit Bezug auf allgemeine ethische oder politische Maximen.

  8. 8.

    Nach Weber (1921) fragt die juristische Perspektive bekanntlich danach, was als Recht ideell gilt, also welche Bedeutung bzw. welcher normative Sinn einer Rechtsnorm „logisch richtigerweise“ zukommen sollte.

  9. 9.

    Die Forschung zum Rechtspluralismus (vgl. Benda-Beckmann et al. 2007), die ihre Aufmerksamkeit bislang auf Konstellationen des Zusammentreffens „modernen“, geschriebenen Rechts mit traditionellen Regelsystemen gerichtet hat – besonders also auf die „Länder des Südens“ orientiert war –, beginnt in den letzten Jahren auch, sich für die Pluralität „rechtlicher“ Rationalitäten in den multikulturellen westlichen Gesellschaften zu interessieren (vgl. z. B. Menski 2009). Dies geschieht aus Anlässen, die typischerweise zumeist im Feld des Familienrechts liegen – so wurde zuletzt in Deutschland z. B. durchaus ernsthaft über die Relevanz der Scharia für das deutsche Recht diskutiert.

  10. 10.

    Wobei eine überbordende Logik der Zweckrationalität zur Bedrohung dieses Willens werden kann …

  11. 11.

    Die Debatte um diesen Toleranzbereich und das „gute Aufwachsen“ prägt in ihrer ganzen Vielfalt die Geschichte der Erziehungswissenschaften.

  12. 12.

    Für viele sind Dispositive des Helfens und des Bewachens dabei „zwei Seiten derselben Medaille“ (Urban 2004, S. 205).

  13. 13.

    Vgl. z. B. Wolff 2011; mit Blick auf das Kindeswohl: Zitelmann 2001; Oelkers (2011) am historischen Beispiel der Reformpädagogik.

  14. 14.

    Vgl. die Advokatorische Ethik von Micha Brumlik (1992); s. dazu auch Zitelmann 2001.

  15. 15.

    Die entwicklungspsychologische Rationalität verspricht ebenfalls „objektive“ Erkenntnisse zum Wohlergehen von Kindern; der Blick auf die pluralen Rationalitäten des psychologischen wie zahlreicher anderer relevanter Felder mit Bezug zum Kinderschutz kann im Rahmen dieses Einführungstextes allerdings nicht umfassend geleistet werden.

  16. 16.

    Vgl. zum Verhältnis von Bürokraten und Experten in Organisationen die Beobachtungen von Scott (1971).

  17. 17.

    Ein besonderes Lehrstück für das tragische Zusammenspiel solcher Einflüsse mit personalisierten Ideologien stellt in dieser Hinsicht die Debatte um den Missbrauch in reformpädagogischen Einrichtungen dar (vgl. Oelkers 2011); in spezifischer Weise sollte z. B. auch in reformpädagogischen Mustereinrichtungen wie der Odenwaldschule Pädagogik „vom Kinde aus“ betrieben werden, als eine „richtige Alternative zum falschen System“ (ebd., S. 306). Der Nimbus dieses Ideals verschleierte lange die Missstände, die schon bei den historischen Vorbildern auftraten und verstellte, über einen längeren Zeitraum – trotz konkretester Hinweise in der jüngeren Vergangenheit – den (selbst-)kritischen Blick der Zunft auf die aufgetretenen Skandale; die Konkurrenz der Rationalitäten wurde hier erst spät, wenn überhaupt, zugunsten des Blicks auf die betroffenen Schülerinnen und Schüler entschieden.

  18. 18.

    mit „Gebrauchswert“ für andere Disziplinen und Professionen.

  19. 19.

    Wodurch beim gesellschaftlichen Umgang mit dem Kindeswohl die selbstreflexiv-legitimatorischen Elemente überwiegen.

  20. 20.

    Das bedeutet nicht, dass diese Studien, denen teilweise vertiefte Feldstudien zu Grunde liegen (vgl. etwa Münder et al. 2000; Urban 2004 oder Leitner et al. 2008), keine wertvollen Aufschlüsse über Probleme und Entwicklungen des Feldes liefern. Gleiches gilt für Arbeiten zu „Fehleranalysen“ bezüglich von Interventionen bei Kindeswohlgefährdung (Fegert et al. 2010).

  21. 21.

    Also die doch eher lückenhafte Datenerhebung und -aufbereitung zum Problemfeld.

  22. 22.

    Die in dem Beitrag kurz umrissenen neueren Varianten des organisationssoziologischen Neoinstitutionalismus konkretisieren dabei gewissermaßen den vorsichtigen Optimismus, den Hannu Turba in seinem Beitrag hinsichtlich der Grenzen kinderschutzpolitischer Steuerung artikuliert. Es gibt mehr „Durchsteuerungsversuche“, aber auch die eigensinnige Widerständigkeit des Feldes.

  23. 23.

    Vgl. dazu auch Heiner und Schrapper 2004.

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Bode, I., Marthaler, T., Bastian, P., Schrödter, M. (2012). Rationalitätenvielfalt im Kinderschutz – Eine Einführung. In: Marthaler, T., Bastian, P., Bode, I., Schrödter, M. (eds) Rationalitäten des Kinderschutzes. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-19146-1_1

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