Zusammenfassung
In Deutschland bleibt etwa jeder siebte Jugendliche ohne Berufsausbildungsabschluss. In vielen Fällen liegt die Ursache darin, dass sich die Jugendlichen zwar für eine Ausbildung interessierten, ihnen der Einstieg aber über einen längeren Zeitraum nicht gelingt und sie irgendwann ihre Versuche einstellen. Zu den besonderen Risikogruppen zählen Jugendliche mit unterdurchschnittlichen Schulabschlüssen, die selbst wiederum gehäuft aus sozial schwachen Familien stammen. Oft liegt ein Migrationshintergrund vor. Als Risikofaktoren werden neben einem unzureichenden kulturellen Kapital auch fehlende Netzwerke sowie verschiedene Formen der Diskriminierung diskutiert. Der nachfolgende Beitrag lenkt den Blick auf institutionelle Aspekte und auf die Frage, nach welchen Logiken und Regeln in Deutschland überhaupt Ausbildungsplätze bereitgestellt werden. Am Beispiel der alternativen Verbleibsmöglichkeiten von Jugendlichen, die trotz attestierter Eignung nicht in eine betriebliche Berufsausbildung einmünden, wird gezeigt, dass sich die Verhältnisse in Deutschland keinesfalls einheitlich darstellen. Während insbesondere ostdeutsche Jugendliche der Ausbildungslosigkeit trotz fehlender betrieblicher Lehrstelle oft noch entgehen können, fallen die Chancen ihrer Altersgenossen in Westdeutschland deutlich schlechter aus. Die Ost-West-Unterschiede im institutionellen Umgang mit erfolglosen Bewerbern liefern eine Teilerklärung dafür, warum bestimmte Migrantengruppen in Deutschland signifikant geringere Ausbildungschancen haben. Denn die betroffenen Jugendlichen leben überwiegend dort, wo es für erfolglose Bewerber nur relativ wenig vollqualifizierende Ersatzangebote gibt.
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Notes
- 1.
In Anlehnung an Esser (2000: 5) seien hier Institutionen als „Regeln mit erwartetem Geltungsanspruch“ definiert.
- 2.
Das Übergangssystem trug maßgeblich dazu bei, dass im letzten Vierteljahrhundert rechnerisch in jedem Jahr stets mehr als 95 Lehrstellenangebote auf 100 offiziell registrierte Ausbildungsplatznachfrager entfielen (obwohl im Schnitt noch nicht einmal die Hälfte aller registrierten Ausbildungsstellenbewerber in eine Berufsausbildung einmündeten). Zugleich verdop pelten sich die Einmündungszahlen in das „Übergangssystem“, die wiederum von der Wirtschaft mit der stark gesunkenen „Ausbildungsreife“ der Jugendlichen in Verbindung gebracht wurden.
- 3.
Dass die Lage in den neuen Ländern grundsätzlich anders zu interpretieren sei als im restlichen Deutschland, fand seine symbolische Anerkennung auch darin, dass bis heute in allen relevanten Ausbildungsmarktstatistiken neben den bundesweiten Zahlen stets auch gesonderte Zusammenfassungen für die alten und neuen Länder ausgewiesen warden.
- 4.
Bei der sog. „BA/BIBB-Bewerberbefragung“ handelt es sich um eine schriftlich-postalische Erhebung, die zum Jahreswechsel 2010/2011 stattfand. Der Umfang der Bruttostichprobe mit Zufallsauswahl betrug n = 13.714; die Nettostichprobe umfasste bei einer Rücklaufquote von 34 % 4.621 Probanden. Nachfolgend werden nur jene gut 2.000 Probanden berücksichtigt, die bis zum 30.09. offiziell nicht in eine betriebliche Lehrstelle eingemündet waren (vgl. auch Ulrich 2011).
- 5.
Mit steigendem Alter der Bewerber wächst die Gefahr, dass die erfolglosen Bewerber den Kontakt zu den Beratungs- und Vermittlungsdiensten abbrechen. Dies gilt verstärkt für Jugendliche mit Migrationshintergrund, die häufig in großstädtischen Räumen leben.
- 6.
Da es fast keine Bewerber türkischer Herkunft in den neuen Ländern gibt, kann eine solche Berechnung hier nur auf Basis der Regressionsgleichung, nicht jedoch auf Basis von Ist-Daten erfolgen.
- 7.
Eine künftig stärkere Berücksichtigung der institutionellen Rahmenbedingungen erscheint im Kontext der Ungleichheitsforschung zum Übergang Schule-Berufsausbildung wünschenswert. Auf der Makroebene wären dies vor allem die die systemischen Besonderheiten betrieblich und nichtbetrieblich organisierter dualer Berufsausbildung. Auf der Mesoebene stellen die regionale bzw. berufsspezifische Ausbildungsmarktlage sowie das Ausmaß an außerbetrieblichen (d. h. nicht marktförmig bereitgestellten) Ausbildungsplätzen wichtige Determinanten dar, dar- über hinaus institutionalisierte Übergangshilfen in der Region (wie z. B. Einstiegsbegleiter). Schließlich sind auf der Mikroebene die Auswahllogiken der Betriebe bei der Einstellung von Auszubildenden zu nennen, welche die Regeln des Zugangs in Berufsausbildung determinieren (Hupka-Brunner et al. 2011: 63), darüber hinaus auch die Handhabung der Vorschriften bei der Vergabe außerbetrieblicher Ausbildungsplätze durch die zuständigen Verwaltungsmitarbeiter (vgl. dazu auch Eberhard 2012; Ulrich 2011).
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Ulrich, J.G. (2013). Institutionelle Mechanismen der (Re-)Produktion von Ausbildungslosigkeit. In: Siebholz, S., Schneider, E., Schippling, A., Busse, S., Sandring, S. (eds) Prozesse sozialer Ungleichheit. Studien zur Schul- und Bildungsforschung, vol 40. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-18988-8_8
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