Zusammenfassung
Nachdem man den Expressionismus im Laufe der zwanziger Jahre mehrfach zu Grabe getragen hatte, wurde seine bereits verweste Leiche nach 1933 bis in den Orkus, zu den ‚Entarteten‘, hinabgestoßen. Dort lag sie volle 12 Jahre. Erst als man sich nach 1945 der vielen Verfehmten, Verschollenen und Vergessenen entsann, erlebte auch sie wieder fröhliche Urständ. Ja, ihr Ruhm nahm schnell Ausmaße an, die man kaum noch für möglich gehalten hätte. Nichts gegen eine solche Rehabilitierung, wenn sie aus politisch sauberen Motiven geschieht! Doch die simple Tatsache, daß die Expressionisten die Feinde meiner Feinde waren, sollte sie nicht von vornherein zu meinen Freunden machen. Selbstverständlich gab es schon um 1950 eine Reihe warnender Stimmen, die auf das grenzenlos überspannte Pathos, den ideologischen Größenwahn oder den kryptofaschistischen Scheinaktivismus dieser Bewegung hinwiesen.2 Doch sie vermochten die ‚maer von der musa expressionistica‘ nicht mehr aufzuhalten. Aus dem Gefühl heraus, daß man durch den Nazismus jede Verbindung mit den ‚avantgardistischen‘ Kunstrichtungen verloren habe, knüpfte man wieder da an, wo sich diese ‚Moderne‘ in ihrer scheinbar radikalsten Form anzubieten schien.
Man ist heute allem Revolutionären wenig günstig gestimmt, weil man in der Politik den größten Mißerfolg einer Revolution erlebt hat. Aber wie kann man sich wundern, daß eine Revolution mißlingt, wenn man sie Kindern und Unmündigen überläßt! Die Schuld daran tragen nicht die, die sie gemacht haben, sondern die, die sie nicht gemacht haben.
(Richard Hamann, 1925).1
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Anmerkungen
Richard Hamann, Die deutsche Malerei vom Rokoko bis zum Expressionismus (Leipzig 1925), S. 467.
vgl. Georg Lukács, ‚Größe und Verfall‘ des Expressionismus. In: Probleme des Realismus, 2. Aufl. (Berlin 1955), S. 146–183.
Walter Muschg, Von Trakl zu Brecht (München 1960), S. 18.
vgl. Richard Brinkmann, Expressionismus. Forschungsprobleme. 1952–1960 (Stuttgart 1961), S. 30 ff.
Gottfried Benn, Gesammelte Werke, hrsg. von D. Wellershoff (Wiesbaden 1958 ff.), Bd IV, S. 164.
vgl. Paul Raabe, Expressionismus als historisches Phänomen. In: Der Deutschunterricht 17 (1965), S. 5–20.
vgl. Fritz Martini, Was war Expressionismus? (Urach 1948), S. 55ff; Muschg, S. 15.
Paul Pörtner nennt den Aktivismus geradezu eine Gegenströmung zum Expressionismus. In: Literatur-Revolution. 1910–1925 (Neuwied 1961), Bd II, S. 28. Ähnliches behauptet Ulrich Weisstein, Expressionismus: Style or ‚Weltanschauung‘. In: Criticism 9 (1967), S. 42–62.
vgl. Walter H. Sokel, Der literarische Expressionismus (München 1960), der Kafka neben Benn als den bedeutendsten Expressionisten bezeichnet (S. 282).
Bernard S. Myers, The German Expressionists. A Generation in Revolt (New York 1966), S. 43.
Wolfdietrich Rasch, Was ist Expressionismus? In: Akzente 3 (1956), S. 372.
vgl. Carl Einstein, Gesammelte Werke (Wiesbaden 1962), S. 47.
Ernst Stadler, Dichtungen, hrsg. von K. L. Schneider (Hamburg 1954), Bd II, S. 27.
George Grosz, Kurzer Abriß. In: Situation (Ulm 1924), S. 1.
Kasimir Edschmid, Frühe Manifeste (Hamburg 1957), S. 29.
Hasenclever, Der politische Dichter. In: Gedichte, Dramen, Prosa, von K. Pinthus (Reinbek 1963), S. 89.
Otto Flake, Souveränität. In: Die Erhebung (Berlin 1919), S. 347.
Kurt Hiller, Der Aufbruch zum Paradies, 2. Aufl. (München 1952), S. 20.
Sternheim, Gesamtwerk, hrsg. von W. Emrich (Neuwied 1963 ff.), Bd VI, S. 26.
Reinhard Johannes Sorge, Der Bettler (Emsdetten 1954), S. 125 f.
In: Tätiger Geist, hrsg. von K. Hiller (München 1918), S. 375.
Curt Corrinth, Trieb (München 1919), S. 29.
Menschheitsdämmerung, hrsg. von K. Pinthus (Hamburg 1959), S.241.
Fritz von Unruh, Ein Geschlecht (Leipzig 1918), S. 10.
Albert Ehrenstein, Der Mensch schreit (Leipzig 1916), S. 186.
Rudolf Kurtz, Die jungen Dichter. In: Die neue Kunst I, 1 (1913), S.3.
vgl. Walter H. Sokel, Dialogführung und Dialog im expressionistischen Drama. In: Aspekte des Expressionismus, hrsg. von W. Paulsen (Heidelberg 1968), S. 65.
vgl. Eberhard Lämmert, Das expressionistische Verkündigungsdrama. In: Der deutsche Expressionismus, hrsg. von H. Steffen (Göttingen 1965), S. 138–156.
Kurt Hiller, Die Weisheit der Langenweile (Leipzig 1913), S. 10, 16.
Ludwig Rubiner, Das himmlische Licht, 2. Aufl. (München 1920), S. 19.
Ego und Eros, Meistererzählungen des Expressionismus, hrsg. von K. Otten (Stuttgart 1963), S. 442.
Salomo Friedländer, Individuum. In : Tätiger Geist, hrsg. von K. Hiller (München 1918), S. 280 f.
Ludwig Bäumer, Das Wesen des Kommunismus (Hannover 1919), S.27.
Oskar Walzel, Die deutsche Dichtung seit Goethes Tod (Berlin 1919), S. 191.
Kurt Hiller, Ortsbestimmung des Aktivismus. In: Die Erhebung (Berlin 1919), S. 362.
Georg Groddeck, Der Seelensucher (Leipzig 1921), S. 129.
Melchior Vischer, Sekunde durch Hirn (Hannover 1920), S. 10.
Gustav Sack, Prosa, Briefe, Verse (München 1962), S. 62.
Edschmid, Die sechs Mündungen (Leipzig 1915), S. 67.
Johst, Der Einsame (München 1917), S. 7.
Kornfeld, Die Verführung, 4. Aufl. (Berlin 1921), S. 166.
Edschmid, Timur (Leipzig 1916), S. 150.
Karl Ludwig Schneider, Der bildhafte Ausdruck in den Dichtungen Georg Heyms, Georg Trakls und Ernst Stadlers (Heidelberg 1954), S.26.
vgl. Richard Hamann, Geschichte der Kunst (Berlin 1933), S. 878 ff.
Toller, Masse-Mensch (Potsdam 1922), S. 1.
vgl. Horst Denkler, Drama des Expressionismus (München 1967), S. 135 ff.
vgl. Ernst Bloch, Gesamtausgabe (Frankfurt 1962), Bd IV, S. 263.
Kurt Hiller, Gustav Wynekens Erziehungslehre und der Aktivismus (Hannover 1919), S. 14.
Erwin Piscator in: Der Gegner (1919), S. 90.
vgl. Helmut Grober, The Political-Ethical Mission of German Expressionism. In: German Quarterly 40 (1967), S. 186–203.
Kurt Eisner, Gesammelte Schriften (Berlin 1919), Bd II, S. 38.
Gustav Landauer, Der werdende Mensch (Potsdam 1921), S. 62.
Rubiner, Die Gemeinschaft (Potsdam 1919), S. 278.
Rubiner, Kameraden der Menschheit (Potsdam 1919), S. 19.
John Heartfield in: Der Gegner (1920), S. 196.
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Hermand, J. (1969). Expressionismus als Revolution. In: Von Mainz nach Weimar (1793–1919). J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-99280-2_10
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