Zusammenfassung
Hegels Religionsphilosophie ist ambivalent. Dies lässt schon die Spaltung der Hegel-Schule in eine Linke und eine Rechte ahnen, die von Hegels Religionsphilosophie ausgelöst wurde. Die Ambivalenz zeigt sich auch an Hegels philosophischer Denkweise selbst. Sie wird oft als Dialektik bezeichnet. Hegel bevorzugte jedoch die Ausdrücke „Spekulation“ und „spekulative Philosophie“. Die Dialektik konnte beim Aufweis von Gegensätzen stehen bleiben, so wie platonische Dialoge oft aporetisch enden. Die spekulative Denkweise anerkennt die Gegensätze, hebt sie jedoch in einem höheren Dritten auf. Hegels System, das er erstmals in der Heidelberger Enzyklopädie (1817) veröffentlichte, lagen zwei, man sollte meinen, sich widersprechende Thesen zugrunde.
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Notes
- 1.
Wie Popper (1968) zu der Meinung kommen konnte, These, Antithese und Synthese seien bei Hegel widersprüchlich im Sinne kontradiktorischer Gegensätze, bleibt unerfindlich.
- 2.
Historisch betrachtet ist es der Widerspruch der letzten großen Substanzmetaphysik, also der Spinozas, systematisch betrachtet der Übergang von der Substanz zum Subjekt.
- 3.
Hölderlins Skizze „Urteil und Sein“ (1795), auf die Dieter Henrich (1965) aufmerksam macht, zeigt den Versuch des Dichters, von einem Sein auszugehen, das vor aller Teilung und vor allem Urteilen liegt. Hölderlin wollte die transzendentalphilosophischen Gegensätze, ähnlich wie Schiller, ästhetisch auflösen und es nicht beim kantischen Rigorismus oder bei der unendlichen Annäherung Fichtes bewenden lassen.
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In der Phänomenologie des Geistes der Abschnitt „Die Aufklärung“, der im Unterkapitel „Der sich entfremdete Geist“ begegnet.
- 5.
„Das Seyn und Wissen Gottes in mir enthält […] nicht bloß die Erkenntnis, welche Gott von mir hat, sondern auch die Erkenntnis, die ich von Ihm habe.“ (JA XX, 292) Hegel zitierte damit Göschels „Aphorismen“, die seiner Meinung nach seine spekulative Philosophie korrekt wiedergaben. Seine Rezension der „Aphorismen“ schloss mit einem freundlichen Händedruck (JA XX, 313). Göschel verwahrte die spekulative Denkweise gegen den Vorwurf der Selbstvergötterung. Gott zu wissen sei nicht = Gott sein.
- 6.
Ottmann (2004).
- 7.
Joachim von Fiore lässt aus den drei göttlichen Personen drei Reiche (status) werden. Das Reich des Vaters entspricht der Zeit des Alten Testaments, das des Sohnes der des Neuen. Das Reich des Geistes bricht 1260 an, wenn der Geist und das ewige Evangelium offenbar werden und die Kirche zu einer ecclesia spiritualis mutiert, die des Buchstabens nicht mehr bedarf. Für Augustinus war mit Christus das letzte Zeitalter angebrochen. Joachims Drei-Reiche-Lehre wirft die Frage auf, wie sich ein Drittes Reich überhaupt denken lässt. Das IV. Laterankonzil verwarf den Joachimismus wegen seiner tritheistischen Tendenzen. Die Wirkungsgeschichte war dennoch enorm, von den franziskanischen Spiritualen über Cola di Rienzo, Thomas Müntzer, Lessing, Comte, Fichte, Schelling bis zu Dostojewski, Mereschkowsi, Ibsen und Moeller van den Bruck, Dempf (1931/1932), Taubes (1947), Lubac (1979/1981), Ottmann (2004, S. 118 ff).
- 8.
Weil (1962).
- 9.
Hösle (1987, Bd. 2, S. 424 ff.).
- 10.
Ranke (1888, S. 5).
- 11.
Meinecke (1924, S. 453).
- 12.
Iljin (1946, S. 350), sprach von einem „panlogistischen Monismus“, Litt (1953, S. 293), von einer „Inthronisierung des Logos“, die zur „Entmündigung“ des Subjekts“ führe.
- 13.
Lübbe (1970, S. 126).
- 14.
Benjamin (1980, S. 694).
- 15.
- 16.
Der Tod Jesu ist wirklicher Tod des natürlichen Leibes, die Spitze der Endlichkeit. Hegel lehnt den Doketismus ab „nicht wie ein Rok, Scheinleib“ (GW XVII, 319). Auch die gnostische Entgegensetzung von Vater und Sohn wird verworfen. „Kurz die Quelle vieler sogenannter Ketzereyen liegt rein in der Wendung der Speculation – welche in dem Übergange von dem Einen, Allgemeinen, zum Unterschiede, – diese Thätigkeit von jenem unterscheidet – sie hypostasiert getrennt von jenem […].“ (GW XVII, 229). Die Gnosis kannte Hegel über Neander (1818).
- 17.
In der Geschichte der Philosophie nennt Hegel die Philosophen die „Mystai, die beim Ruck im innersten Heiligtum mit und dabei gewesen“. Sie seien „dem Herrn näher als die sich nähren von den Brosamen des Geistes“ (JA XIX, 96).
- 18.
Dass sie „Gottesdienst“ sei, sagt Hegel mehrfach. „Kunst und Spekulation sind in ihrem Wesen Gottesdienst“ (GW IV, 76). „die Philosophie ist in der Tat selbst Gottesdienst“ (Lasson Bd. 1, 29; JA XV, 37).
- 19.
v. Balthasar (1998, Bd. 1, S. 627).
- 20.
Er hätte sich wohl als Mystiker bezeichnen können. Er zitiert Meister Eckhardt: „‚Das Auge, mit dem mich Gott sieht, ist das Auge, mit dem ich ihn sehe, mein Auge und sein Auge sind eins‘“ (JA XV, 228; GW XXIX/1, 202).
- 21.
- 22.
Feuerbach (1839a, S. 187).
- 23.
Feuerbach (1842b, S. 224).
- 24.
Marx (1843/1844), MEW Bd. 1, 379
- 25.
Löwith (1964, S. 62).
- 26.
Fröhliche Wissenschaft Nr. 357.
- 27.
Grau (1958).
- 28.
Cassirer (1955, S. 319 ff).
- 29.
Lobkowicz/Ottmann (1981, S. 106 ff).
- 30.
Kant (1964c), 179 (A 503).
- 31.
Kant (1964c), 183 (A 511).
- 32.
Kant (1964a, 45 (A 404).
- 33.
Kant (1964b), 114 (A 210).
Literatur
Siglenverzeichnis
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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Religionsphilosophie. Bd. I. Die Vorlesung von 1821. Karl-Heinz Ilting (Hg.). Neapel 1978 [Ilting].
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über Philosophie der Religion. Bde. 1–4. Georg Lasson (Hg.). Hamburg 1996 [Lasson].
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hamburg 41955, Johannes Hoffmeister (Hg.) [Rph].
Marx-Engels-Werke. Institut für Marxismus-Leninismus (Hg.), Berlin 1974 [MEW].
Weiterführende Literatur
Balthasar, Hans Urs von: Die Apokalypse der deutschen Seele. Studien zu einer Lehre von letzten Haltungen. Band I. Der deutsche Idealismus. Freiburg 31998.
Benjamin, Walter: Über den Begriff der Geschichte. In: Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser (Hg.): Gesammelte Schriften. Bd. I/2. Frankfurt a.M. 1980, 691–704.
Cassirer, Ernst: Hegel and the Myth of the State. New York 21955.
Cieszkowski, August von: Prolegomena zur Historiosophie [1838]. Hamburg 21981.
Dempf, Alois: Das Dritte Reich. In: Hochland 29 (1931/1932) 36–48.
Feuerbach, Ludwig: Zur Kritik der Hegelschen Philosophie [1839]. In: Sämtliche Werke. Bd. II. Friedrich Jodl (Hg.). Stuttgart-Bad Cannstatt 1959a, 158–204.
Feuerbach, Ludwig, Thesen zur Reform der Philosophie (1842). In: Sämtliche Werke. Bd. II. Friedrich Jodl (Hg.). Stuttgart-Bad Cannstatt 1959b, 222–244.
Grau, Gerd Günther: Christlicher Glaube und intellektuelle Redlichkeit. Eine religionsphilosophische Studie über Nietzsche. Frankfurt a.M. 1958.
Hess, Moses: Philosophie der Tat. In: Georg Herwegh: Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz. Zürich/Winterthur 1843.
Iljin, Iwan: Die Philosophie Hegels als kontemplative Gotteslehre. Bern 1956.
Jaeschke, Walter: Die Religionsphilosophie Hegels. Darmstadt 1983.
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Kant, Immanuel: Über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee. In: Werke in sechs Bänden. B. VI. Wilhelm Weischedel (Hg.). Frankfurt a.M. 1964b, 105–124.
Kant, Immanuel: Das Ende aller Dinge. In: Werke in sechs Bänden. Bd. VI. Wilhelm Weischedel (Hg.). Frankfurt a.M. 1964c, 175–190.
Kuhn, Helmut: Der Ursprung der Ideologie aus dem Geist der Philosophie Hegels. In: Helmut Kuhn: Ideologie – Hydra der Staatenwelt. Köln u.a. 1985, 201–219.
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Löwith, Karl: Weltgeschichte und Heilsgeschehen [1953]. Stuttgart u.a. 61973.
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Meinecke, Friedrich: Die Idee der Staatsraison in der neueren Geschichte. München 1924.
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Ottmann, Henning: Anselms ontologischer Gottesbeweis. In: Lothar Waas (Hg.): Politik, Moral und Religion-Gegensätze und Ergänzungen. Festschrift zum 65. Geburtstag von Karl Graf Ballestrem. Berlin 2004, 27–32.
Ottmann, Henning: Geschichte des politischen Denkens. Bd. 2/2. Das Mittelalter. Stuttgart/Weimar 2004.
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Ranke, Leopold von: Über die Epochen der neueren Geschichte. Weltgeschichte 9. Teil, 2. Abt., Alfred Dove (Hg.). Leipzig 1888.
Ruge, Arnold: Die Hegelsche Rechtsphilosophie und die Politik unserer Zeit. In: Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst Nr. 189–192 (1842) 755–768.
Scheit, Herbert: Geist und Gemeinde. Zum Verhältnis von Religion und Politik bei Hegel. München 1973.
Strauß, David Friedrich: Streitschriften zur Verteidigung meiner Schrift über das Leben Jesu und zur Charakterisierung der gegenwärtigen Theologie. Tübingen 1837.
Taubes, Jacob: Abendländische Eschatologie. Bern 1947.
Wagner, Falk: Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes bei Fichte und Hegel. Gütersloh 1971.
Weil, E., Die Säkularisierung der Politik und des politischen Denkens in der Neuzeit. In: Marxismus-Studien 4. Folge (1962) 144–162.
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Ottmann, H. (2021). Die Ambivalenz der Hegelschen Philosophie und Religionsphilosophie. In: Kühnlein, M., Ottmann, H. (eds) Religionsphilosophie nach Hegel. Neue Horizonte der Religionsphilosophie. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05752-5_5
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