Zusammenfassung
Henri Bergson, neben Heidegger der andere große Zeit-Denker des 20. Jahrhunderts, hat als alter Mann das Aha-Erlebnis seines Philosophierens so auf den Punkt gebracht:
Wozu dient also die Zeit? […] Das war früher der Ausgangspunkt meiner Überlegungen. Vor einigen 50 Jahren hing ich sehr der Philosophie Spencers an. Eines schönen Tages bemerkte ich, dass die Zeit in diesem System nichts bedeutete, ja dass sie völlig unwirksam blieb. Was aber nicht wirkt, existiert auch nicht. Dennoch sagte ich mir, ist die Zeit doch etwas. Also wirkt sie. (Bergson 32000, 112)
Wir sind aufgefordert, die Zeit-Frage an Aristoteles zu stellen — erfreulicherweise mit offenem Ausgang. Denn in der Tat — auf den ersten Blick gibt das Thema ›Zeit‹ in der praktischen Philosophie des Aristoteles nicht viel her. Oft wurde darauf hingewiesen, dass die Zeit-Abhandlung im vierten Buch der Physik offenbar ein anderes Verständnis von Zeit entwirft als dasjenige, das eher beiläufig und unentwickelt in der Ethik präsent ist.1 Heißt es doch in der Physik: »Denn an und für sich genommen ist die Zeit Urheberin eher von Verfall […].« (Phys. IV 12, 221b1 f.; Zekl 1987, 223) Auch wenn Aristoteles hinzufügt, »es ist gar nicht die Zeit, die das macht« (IV 13, 222b25 f.; Zekl 1987, 231), so gilt in der Physik die Zeit als Medium der Auflösung, des Vergehens und Vergessens — wir könnten auch sagen: der Entropie. Auf der anderen Seite steht »das Immerseiende«, das, »insofern es immerseiend ist, nicht in der Zeit ist« (IV 12, 221b3 f.; Zekl 1987, 223).
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Literatur
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Nickl, R.P. (2013). Athanatizein: hexis-Erwerb als Weg zur Unsterblichkeit. In: Mesch, W. (eds) Glück — Tugend — Zeit. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05343-5_16
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