Zusammenfassung
Wie hat Nietzsche die aphoristische Struktur einer anthropomorphen Balance und jene radikale Umkehrfigur, welche über das Selbstopfer des Menschen für die Wahrheit zu einer neuen übermenschlichen Ordnung vorstoßen will, aufeinander bezogen? Um diese Frage zu beantworten, empfiehlt es sich erneut, auf spätere Schriften vorzugreifen. Die Konzeption des Menschen als eines gemischten Wesens, das mit sich selbst im Gegensatz lebt, variiert Nietzsche in Aphorismen des Jenseits wie auch in seiner Genealogie des schlechten Gewissens. Hier erscheint der Mensch als das »kranke«, »noch nicht festgestellte« Tier. Es ist nach Nietzsches These die gewaltige politische Repression eines archaischen Staats, welche es zuwege bringt, daß die Instinkte des wilden, freien, schweifenden Menschentiers sich rückwärts, gegen den Menschen selbst wenden. An ihrer Entladung nach außen gehemmt, richten sich die Aggressionstriebe nach innen und nehmen dort die Gestalt des schlechten Gewissens oder des Erkenntnistriebs an. So gerät der Mensch als Geistwesen in Zwiespalt mit seinem Naturgrund, in dem seine Kraft wurzelt.
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Notizen
Hugo Friedrich: Pascals Paradox. Das Sprachbild einer Denkform. In: Zeitschrift für romanische Philologie 56 (1936), S. 322–370.
Wir zitieren nach Blaise Pascal: Über die Religion und über einige andere Gegenstände. Aus dem Französischen übertragen und mit einem Nachwort herausgegeben von Ewald Wasmuth. Frankfurt a. M. 1987 (zuerst 1954). Die Anordnung der Fragmente folgt der Ausgabe der Pensées von Léon Brunschvicg. Wir weisen die Zitate im Text unter der Sigel P und mit der Angabe der Brunschvicgschen Numerierung nach.
Giovanni Pico delia Mirandola: De Dignitate Hominis. Lateinisch und deutsch. Bad Homburg/Berlin/Zürich, 1968, S. 26 f.
Zum Motiv des verborgenen Gottes in der Renaissance-Philosophie (bei Pico, Cusanus u. a.) vgl. Edgar Wind: Heidnische Mysterien in der Renaissance. Frankfurt a. M., 1981 (zuerst London, 1958), die Kapitel XIII (Pan und Proteus) und XIV (Der verborgene Gott).
Vgl. auch Karl Pestalozzi: Nietzsches Gedicht Noch einmal eh ich weiter ziehe… auf dem Hintergrund seiner Jugendlyrik. Nietzsche-Studien Bd. 13 (1984), S. 101–110.
Vgl. dazu auch Lucien Goldmann: Der verborgene Gott. Studie über die tragische Weltanschauung in den Pensées Pascals und im Theater Racines. Frankfurt a. M., 1985 (zuerst Paris, 1955), S. 249–461.
Das Verhältnis Nietzsches zur Frühromantik hat zuerst untersucht: Karl Joël: Nietzsche und die Romantik. Jena und Leipzig, 1905. Siehe auch: Ernst Behler: Nietzsches Auffassung der Ironie. In: Nietzsche-Studien Bd. 4 (1975),S. 1–35. Ders.: Friedrich Schlegels Rede über die Mythologie im Hinblick auf Nietzsche. In: Nietzsche-Studien Bd. 8 (1979), S. 189–210.
Friedrich Schlegel: Kritische Ausgabe seiner Werke. Hrsg. von Ernst Behler. München/Paderborn/Wien/Zürich, 1958 ff. (im folgenden als KA), Bd. XII, S. 334.
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Thönges, B. (1993). Nietzsches unbekannter Gott. In: Das Genie des Herzens. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04182-1_7
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