Zusammenfassung
Scheinbar teilnahmslos führt der Geschichtenerzähler von Samuel Becketts 1953 erschienenen Roman U Innommable die Vergeblichkeit aller Versuche vor, sein (oder anderer) Sprechen zu personalisieren und damit dessen Ursprungsort anzugeben. Es taugt nicht mehr als Identitätsausweis. Die wiederholte Demonstration des Scheiterns, die der Namenlose stellvertretend für den Autor und dessen Schaffensproblematik vorexerziert, hält das endgültige Verstummen auf und läßt die Mühe und den Schmerz spüren, die die allmähliche Preisgabe der jahrhundertealten Vorstellung subjektzentrierter Kreativität kostet.
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Notizen
Die Forschungsarbeit der siebziger und achtziger Jahre dokumentieren die beiden Sammelbände von Kittler, Friedrich A. & Turk, Horst (Hg.), 1977: Ursuenen. Literaturwissenschaft als Diskursanalyse und Diskurskritik. Frankfurt/M., und Fohrmann, Jürgen/ Müller, Harro (Hg.), 1988: Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Frankfurt/M. Das zuletzt genannte Werk enthält eine ausführliche Bibliographie.
Ihre Vor- und Nachteile sind hinlänglich diskutiert worden. Vgl. u. a. die Dokumentationen bzw. kursorischen Abhandlungen von Curtius, Mechthild (Hg.), 1976: Seminar: Theorien der künstlerischen Produktivität. Entwürfe mit Beiträgen aus Literaturwissenschaft, Psychoanalyse und Marxismus. Frankfurt/M. [hierin vor allem die Einführungen der Herausgeberin und Ursula Böhmers, cf. S. 9–61, und die ausführliche Bibliographie, cf. S. 429–447] und Peters, Günter, 1982: Theorie der literarischen Produktion. In: Erkenntnis der Literatur. Theorien, Konzepte, Methoden der Literaturwissenschaft. Hg. von Dietrich Harth und Peter Gebhardt. Stuttgart, S. 56–78 [mit Bibliographie, cf. S. 77f.].
Vgl. zu dieser Einschätzung des Gesamtwerkes die luzide Studie von Hayden White, der den eschatologischen Charakter der Foucaultschen Geschichtsphilosophie herausarbeitet und ihn damit einer Gruppe »strukturalistischer Gurus« zugesellt, zu der noch Claude Lévi-Strauss und Jacques Lacan gehören — cf. White, Hayden, 1986: Foucault dekodiert: Notizen aus dem Untergrund. In: ders., 1986, S. 268–302; hier beson-ders S. 300 f.
Von einer »Metaphysik des Diskurses« spricht zutreffend auch der ebenfalls empfehlenswerte Aufsatz von Japp, Uwe, 1988: Der Ort des Autors in der Ordnung des Diskurses. In: Fohrmann / Müller, 1988, S. 223–234; hier S. 231.
Vgl. dafür noch einmal die Schlußpassagen in Beckett, Samuel, 1976 (franz. 1953): Der Namenlose (LInnom minable). In: Werkausgab. edition suhrkamp in zehn Bänden. Frankfurt/M., Bd. 8, hier S. 557–566.
Cf. Frank, Manfred, 1986: Die Unhintergehbarkeit von Individualität. Reflexionen über Subjekt, Person und Individuum aus Anlaß ihrer ›postmodernen‹ Toterklärung. Frankfurt/M., S. 9 f. — Zum Einfluß Nietzsches auf den Post- bzw. Neostrukturalismus vgl. auch Frank, Manfred, 1983: Was ist Neostrukturalismus. Frankfurt/M., hier S. 260ff.
Vgl. Grass, Günter, 1971 (1959): Die Blechtrommel Roman. Frankfurt/M. und Hamburg, S. 11.
Die unterschiedlichen poetologischen Modelle der Gegenwart werden ausführlicher, als es hier möglich ist, beschrieben in Blamberger, Günter, 1985: Versuch über den deutschen Gegenwartsroman. Krisenbewußtsein und Neubegründung im Zeichen der Melancholie. Stuttgart. Diese Arbeit wurde 1983 abgeschlossen, als der Begriff ›Post-moderne‹ noch nicht in aller Munde war. Mir fehlte damals ein Sammelname für die Autoren der zweiten Richtung. Ihre ästhetische Konzeption kann durchaus als postmoderne etikettiert werden, wenn man den Begriff so faßt, wie Wolfgang Welsch es tut. Demnach gelte die »Option« der Postmodernen der »Pluralität — von Lebensweisen und Handlungsformen, von Denktypen und Sozialkonzeptionen, von Orientierungssystemen und Minderheiten«. Mit diesem Konzept lasse sich weder die Vorstellung vom »Tod des Subjekts« noch die vom Subjekt als »absolutem Souverän« verbinden. Das postmoderne Subjekt sei vielmehr ein »schwaches« Subjekt, dem »Polyperspektivität« und »transversale Vernunft« abverlangt würden — cf. Welsch, Wolfgang, 21988: Unsere postmoderne Moderne. Weinheim, hier S. 5 bzw. 316. — Nicht nachvollziehbar ist mir allerdings Welschs Behauptung, daß den Poststrukturalisten die »Rede vom Tod des Subjekts« von den »Modernisten« unterstellt würde — cf. Welsch, 21988, S. 315. Es scheint vielmehr so, daß der Poststrukturalismus nicht, wie Welsch es hier nahelegt, gänzlich zur Postmoderne gehört, sondern an der Schwelle zwischen Moderne und Postmoderne steht. Zum einen ist er dem Subjektivitätsproblem der Moderne noch verhaftet — die Rede vom »Tod des Subjekts«, »Tod des Autors« stammt von Barthes, Foucault et al. und nicht von ihren Kritikern, die keineswegs »einem antiquierten Subjektbegriff nachjagen« (ebd., vgl. dagegen Frank, 1983 und 1986) -, zum anderen bereitet er durch die Analyse historischer Diskontinuitäten und differierender Diskurse den Übergang zur postmodernen Plu-ralität vor.
Die folgende Literaturliste gibt nur eine Auswahl grundlegender Arbeiten, weitere Titel finden sich in Schmidt, Siegfried J. (Hg.), 1987: Der Diskurs des Radihaien Konstruktivismus. Frankfurt/M. Der Band behandelt — mit einer vorzüglichen Einleitung des Herausgebers — die theoretischen und praktischen Konsequenzen, die sich aus der konstruktivistischen Epistemologie für einen interdisziplinären Dialog natur-, sozial- und geisteswissenschaftlicher Disziplinen ergeben. Gleiches leistet die umfangreiche und akribische Monographie von Rusch, Gebhard, 1987: Erkenntnis, Wissenschaft, Geschichte. Von einem konstruktivistischen Standpunkt. Frankfurt/M. — Die in deutscher Sprache veröffentlichten Basistitel sind: Maturana, Humberto R., 21985: Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit. Ausgewählte Arbeiten zur biologischen Epistemologie. Braunschweig, Wiesbaden; Foerster, Heinz von, 1985: Sicht und Einsicht. Versuche zu einer operativen Erkenntnistheorie. Braunschweig, Wiesbaden; Glasersfeld, Ernst von, 1987: Wissen, Sprache, Wirklichkeit. Arbeiten t(um radikalen Konstruktivismus. Braunschweig, Wiesbaden; Watzlawick, Paul (Hg.), 1981: Die erfundene Wirklichkeit. München; Luhmann, Niklas, 1984: Sociale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/M. (Luhmann verzichtet allerdings, trotz seiner Orientierung am Radikalen Konstruktivismus, auf eine subjektphilosophische Fundierung seiner Theorie. Die Voraussetzung dafür ist, daß er soziale Systeme als überindividuelle › Super-Subjekte‹ betrachtet, die selbsterhaltend und selbstreferentiell sind wie Organismen); Schmidt, Siegfried J., 1980/1982: Grundriß der Empirischen Literaturwissenschaft. Teilband 1: Der gesellschaftliche Handlungsbereich Literatur. Teilband 2: Zur Rekonstruktion literaturwissenschaftlicher Fragestellungen in einer Empirischen Theorie der Literatur. Braunschweig, Wiesbaden.
Cf. Maturana, Humberto R., 1987 (1978): Kognition. In: S.J. Schmidt (Hg.). 1987, S. 89–118; hier besonders S. 116f.
Cf. Hejl, Peter M., 1987f.: Autonomie und Kontrolle. Manuskript, hier S. 27: zitiert nach S.J. Schmidt, 1988, in: Gumbrecht (Hg.), 1988, S. 43.
Luhmann, Niklas, 1986: Das Kunstwerk und die Selbstreproduktion der Kunst. In: Stil. Geschichten und Funktionen eines kulturwissenschaftlichen Diskurselements. Hg. von Hans Ulrich Gumbrecht und K. Ludwig Pfeiffer unter Mitarbeit von Armin Biermann u.a. Frankfurt/M., S. 620–672; hier S. 624 (ohne die Hervorhebungen Luh-manns).
Vgl. hierzu u.a. Hejl, Peter M., 1987: Konstruktion der socialen Konstruktion: Grundlinien einer konstruktivistischen Sozialtheorie. In: S.J. Schmidt (Hg.), 1987, S. 303–339; hier vor allem die Theorie über soziale Wandlungsprozesse cf. S. 329ff.;
vgl. außerdem Kruse, Peter, 1988: Stabilität — Instabilität — Multistabilität. Selbstorganisation und Selbstreferentialität in kognitiven Systemen. In: Delfi. 6/XI; S. 35–37; und S.J. Schmidt 1988, in: Gumbrecht (Hg.), 1988, S. 44ff.
Cf. Engeil, James, 1981: The Creative Imagination. Enlightenment to Romanticism. Cambridge/Massachusetts, London, S. VIII f.
Vgl. J. Schmidt, 1985; sowie Vietta, Silvio, 1986: Literarische Phantasie: Theorie und Geschichte, Barock und Aufklärung. Stuttgart.
Zitiert wird im folgenden nach Young, Edward, 1977: Gedanken über die Original-Werk. (aus dem Englischen von H.E. von Teubern). Heidelberg (= Faksimiledruck der dt. Ausgabe von 1760, mit einem Nachwort und einer Dokumentation zur Wirkungsgeschichte in Deutschland von Gerhard Sauder; in: Deutsche Neudrucke. Reihe: Goethezeit, hg. von Arthur Henkel). Nachweise nach dieser Ausgabe werden im Text mit der Sigle Y abgekürzt.
Cf. Steinke, Martin William, 1917: Edward Young’s »Conjectures on Original Composition« in England and Germany. A Study in Literary Relations. New York.
Lessing, Gotthold Ephraim, 1967: Hamburgische Dramaturgie. In: Werk. hg. von Kurt Wölfel. Frankfurt/M., Bd. 2 (= Schriften I), S. 522 (= Hundert und erstes, zweites, drittes und viertes Stück. Den 19. April 1768).
Cf. Kant, Immanuel. 1983: Kritik der Urteilskraft und Schriften zur Naturphilosophie. In: Werke in sechs Bänden. Hg. von Wilhelm Weischedel. Darmstadt. Bd. V, S. 405 f. Die Werkausgabe wird im folgenden mit der Sigle K, verbunden mit der Bandzahl, zitiert.
Cf. Adorno, Theodor W., 41980 (1970): Ästhetische Theorie. Hg. von Gretel Adorno und Rolf Tiedemann. Frankfurt/M., S. 255.
Cf. Schlegel, August Wilhelm, 1963: Die Kunstlehre. In: Kritische Schriften und Briefe. Hg. von Edgar Lohner. Stuttgart, Bd. 2, S. 74f.
Vgl. hierzu Mainusch, Herbert, 1969: Romantische Ästhetik. Untersuchungen zur englischen Kunstlehre des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Bad Homburg, Berlin, Zürich, S. 283ff.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, 1970: Vorlesungen über die Ästhetik I. In: Werke in zwanzig Bänden. Frankfurt/M., Bd. 13, S. 46f.
Vgl. hierzu J. Schmidt, 1985, S. 390ff. und Freier, Hans, 1976: Die Rückkehr der Götter. Von der ästhetischen Überschreitung der Wissensgrenze zur Mythologie der Moderne. Eine Untersuchung zur systematischen Rolle der Kunst in der Philosophie Kants und Schellings. Stuttgart.
Cf. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von, 1967: System des transzendentalen Idealismus. In: Ausgewählte Werke. Schriften von 1799–1801. Darmstadt (= Neudruck der Ausgabe von 1858/59), S. [617].
Cf. Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von, 1960: Philosphie der Kunst. Darmstadt (= Neudruck der Ausgabe von 1859), S. [460].
Cf. Wackenroder, Wilhelm Heinrich und Ludwig Tieck, 1984 (1797): Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. In: Wilhelm Heinrich Wackenroder: Dichtung, Schriften, Briefe. Hg. von Gerda Heinrich. Darmstadt, S. 166 (aus Das Muster eines kunstreichen und dabei tiefgelehrten Malers, vorgestellt in dem Leben des Leonardo da Vinci, berühmten Stammvaters der Florentinischen Schule).
Cf. Wackenroder und Tieck, 1984, S. 142f. (aus Raffaels Erscheinun.). Vgl. dazu Vietta, Silvio, 1988: Raffael-Rezeption in der literarischen Frühromantik: Wilhelm Heinrich Wackenroder und sein akademischer Lehrer Johann Dominicus Fiorillo. In: Geschichtlichkeit und Aktualität. Studien zur deutschen Literatur seit der Romantik. Festschrift für Hans-Joachim Mähl zum 65. Geburtstag. Hg. von Klaus-Detlef Müller u. a. Tübingen, S. 221–241.
Zum Künstlerbild in der Goethezeit allgemein vgl. Granzow, Hermann, 1960: Künstler und Gesellschaft im Roman der Goethezeit. Eine Untersuchung zur Bewußtwerdung neuzeitlichen Künstlertums in der Dichtung vom ›Werther‹ bis zum ›Kater Murr‹. Bonn: Diss.
So mit Einschränkungen bei Marcuse, Herbert, 1978 (1922): Der deutsche Künstlerroman. In: Schriften. Frankfurt/M., Bd. 1, S. 20ff.;
Laserstein, Käte, 1931: Die Gestalt des bildenden Künstlers in der Dichtung. Berlin, Leipzig, S. 5ff.; sowie Granzow, 1960, S. 20ff.
Goethe, Johann Wolfgang von, 1982: Die Leiden des jungen Werther. In: Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. München, Bd. 6, S. 9 (im Brief vom 10. Mai). Zu Werther als Zeichner vgl. auch S. 40f. und S. 74.
Heinse, Wilhelm, 1924: Ardinghello und die glückseeligen Inseln. Eine Italiänische Geschichte aus dem sechzehnten Jahrhundert. In: Sämmtliche Werke. Hg. von Carl Schüddekopf. Leipzig, Bd. 4, S. 49.
Cf. Moritz, Karl Philipp, 1981: Anton Reiser. Ein autobiographischer Roman. In: Werke in drei Bänden. Hg. von Horst Günther. Frankfurt/M., Bd. 1, S. 380f. — Zur Tradition der Schwärmerkritik im 18. Jahrhundert und Moritz’ Position vgl. Schings, 1977;
sowie Bezold, Raimund, 1984: Popularphilosophie und Erfahrungsseelenkunde im Werk von Karl Philipp Moritz. Würzburg.
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Blamberger, G. (1991). »Wen kümmert’s, wer spricht?«. In: Das Geheimnis des Schöpferischen oder: Ingenium est ineffabile?. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03349-9_4
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