Zusammenfassung
Der Maler zog unter dem Bett einen Haufen ungerahmter Bilder hervor, die so mit Staub bedeckt waren, daß dieser, als ihn der Maler vom obersten Bild wegzublasen suchte, längere Zeit atemraubend K. vor den Augen wirbelte. »Eine Heidelandschaft«, sagte der Maler und reichte K. das Bild. Es stellte zwei schwache Bäume dar, die weit voneinander entfernt im dunklen Gras standen. Im Hintergrund war ein vielfarbiger Sonnenuntergang. »Schön«, sagte K., »ich kaufe es.« K. hatte unbedacht sich so kurz geäußert, er war daher froh, als der Maler, statt dies übelzunehmen, ein zweites Bild vom Boden aufhob. »Hier ist ein Gegenstück zu diesem Bild«, sagte der Maler. Es mochte als Gegenstück beabsichtigt sein, es war aber nicht der geringste Unterschied gegenüber dem ersten Bild zu merken, hier waren die Bäume, hier das Gras und dort der Sonnenuntergang. Aber K. lag wenig daran. »Es sind schöne Landschaften«, sagte er, »ich kaufe beide und werde sie in meinem Büro aufhängen.« »Das Motiv scheint Ihnen zu gefallen«, sagte der Maler und holte ein drittes Bild herauf, »es trifft sich gut, daß ich noch ein ähnliches Bild hier habe.« Es war aber nicht ähnlich, es war vielmehr die völlig gleiche Heidelandschaft. Der Maler nützte diese Gelegenheit, alte Bilder zu verkaufen, gut aus. »Ich nehme auch dieses noch«, sagte K. »Wieviel kosten die drei Bilder?« »Darüber werden wir nächstens sprechen«, sagte der Maler. »Sie haben jetzt Eile, und wir bleiben doch in Verbindung. Im übrigen freut es mich, daß Ihnen die Bilder gefallen, ich werde Ihnen alle Bilder mitgeben, die ich hier unten habe. Es sind lauter Heidelandschaften […] (P 196f.)
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Anmerkungen
Zu Geschichte, Tendenzen und Problemen der »Schloß«-Deutung vgl. den informativen Forschungsbericht von Richard Sheppard, ›Das Schloß‹, in: Kafka-Handbuch, Bd. 2, S. 441–470.
F. Beißner, Kafka der Dichter, S. 13 f.: »Die Einheitlichkeit der Themen — oder richtiger: des Themas — steht in einer reinen Wechselbeziehung zu der Einsinnigkeit der Darstellung. Man spricht wohl davon, daß große Dichter eigentlich nur ein Thema haben, einen ›Dauerton‹ in allen stofflich mannigfachen Durchführungen und Variationen des Themas. Kafkas durchgehendes Thema, die mißlingende Ankunft oder das verfehlte Ziel, resultiert aus der Grunderfahrung einer ausweglosen Einsamkeit.«
An Milena: »Es ist schwer, die Wahrheit zu sagen, denn es gibt zwar nur eine, aber sie ist lebendig und hat daher ein lebendig wechselndes Gesicht« (M 72).
Vgl.: »Ich zeichnete keine Menschen. Ich erzählte eine Geschichte. Das sind Bilder, nur Bilder.« (J 54)
Es heißt an dieser Stelle: »scheinbare Leere« (S 5); dieses ›scheinbar‹ füllt die Leere nicht wieder mit dem auf, durch dessen Wegfall sie entstand.
Claude David: Zwischen Dorf und Schloß. Kafkas Schloß-Roman als theologische Fabel. In: Wissen aus Erfahrung. Werkbegriff und Interpretation heute. Festschr. f. Hermann Meyer zum 65. Geburtstag, in Verb. m. K. R. Mandelkow u. A. H. Touber hrsg. v. A. v. Bormann, Tübingen 1976, S. 694–711. Zu Kafka und Nietzsche, vgl. a.a.O., S. 696f.
C. David, a.a.O., S. 710.
Ingeborg Henel, Periodisierung und Entwicklung, in: Kafka-Handbuch, Bd. 2, S. 220–241.
I. Henel, a.a.O., S. 221.
I. Henel, a.a.O., S. 221: »Aber man kann kaum glauben, daß Kafka, der nichts als Schriftsteller sein wollte [?], nicht versucht hätte, seine Kunst zu vervollkommnen.«
M. Walser, Beschreibung einer Form, hat von der »Entwicklung« behauptet, »daß der Fortschritt von ›Amerika‹ bis zum ›Schloß‹ eben ein Fortschritt in der Vervollkommnung des autonomen Formvermögens ist« (S. 16).
Vgl. Pepis Aussage: »›Der Winter ist bei uns lang, ein sehr langer Winter und einförmig. Darüber aber klagen wir unten nicht, gegen den Winter sind wir gesichert. Nun, einmal kommt auch das Frühjahr und der Sommer, und es hat wohl auch seine Zeit; aber in der Erinnerung, jetzt, scheint Frühjahr und Sommer so kurz, als wären es nicht viel mehr als zwei Tage, und selbst an diesen Tagen, auch durch den allerschönsten Tag, fällt dann noch manchmal Schnee.‹« (S. 451 f.)
Vgl. Anneliese Ritzmann, Winter und Untergang. Zu Franz Kafkas Schloßroman, Bonn 1978, S. 5ff. u. S. 20ff.
Vgl. hierzu: »[Schwarzer:] ›Ich werde telefonisch anfragen‹ Wie, auch ein Telefon war in diesem Dorfwirtshaus? Man war vorzüglich eingerichtet. Im einzelnen überraschte es K., im ganzen hatte er es freilich erwartet. Es zeigte sich, daß das Telefon fast über seinem Kopf angebracht war, in seiner Verschlafenheit hatte er es übersehen. Wenn nun der junge Mann telefonieren mußte, dann konnte er beim besten Willen K.s Schlaf nicht schonen, es handelte sich nur darum, ob K. ihn telefonieren lassen sollte, er beschloß, es zuzulassen.« (S 8)
Für jeden Mithörer ist deshalb von außen auch nur rekonstruierbar, aber nicht nachprüfbar, was gesagt wird. Diese epische Verfahrensweise läßt sich als Ausdruck einer erkenntnistheoretischen Position Kafkas analysieren, derzufolge es Erkenntnisse und Erfahrungen gibt, die zwar bei angegebenen Bedingungen induktiv erschlossen, aber niemals überprüft werden können. Kafka hat diese Methode häufig und oft sogar an entscheidender Stelle angewandt: »K. horchte auf. Das Schloß hatte ihn also zum Landvermesser ernannt.« (S 10) Was Schwarzer als »längere Erklärung« (S 10) behördlicherseits ›abhört‹, wird nicht mitgeteilt, und schließlich auch nicht, auf welchen Satz genau Schwarzers Antwort: »Ein Irrtum also?« (S 10) bezogen werden muß, zumal selbst das erste Gespräch auch von Schwarzers Seite nur als indirekte Rede wiedergegeben wird; es »sei« seine Pflicht, »sich zu erkundigen, ob ein Landvermesser dieser Art wirklich erwartet werde« (S 9); zum Landvermesserproblem vgl. unten S. 134ff. weiter.
Vgl. den bereits zitierten Abschnitt aus dem Brief an Milena: »[…] ich suche immerfort etwas Nicht-Mitteilbares mitzuteilen, etwas Unerklärbares zu erklären, von etwas zu erzählen, was ich in den Knochen habe und was nur in diesen Knochen erlebt werden kann. Es ist ja vielleicht im Grunde nichts anderes als jene Angst […]« (M 249).
Dieses Phänomen ist vielleicht das ›Geheimnis‹ der Kafkaschen Dichtung und der Grund der meisten ›Halb‹ — und vieler Mißverständnisse, aber wahrscheinlich war es auch ein Grund von Kafkas Angst vor dem Schreiben (dazu vgl. unten S. 161). Zur Lektüre dieses Briefes zieht K. sich auf sein Zimmer zurück. Die »Exterritorialität« (Br 322) ist Bedingung des Erkennens, oder, wie C. David, Zwischen Dorf und Schloß, S. 698, es formuliert: »Die Stellung eines Heimatlosen öffent ihm die Augen. Er sieht, was die anderen, im Leben befangen, nicht sehen«; und er hört, was sie nicht hören, obwohl es in ihrer Welt ist.
H. Politzer, Kafka, der Künstler, S. 328.
H. Politzer, a.a.O., S. 330.
H. Politzer, a.a.O., S. 329, Politzer spricht von »Grenzphänomen des Wahnsinns« (S. 329), obwohl er sieht, daß mit psychopathologischer Begrifflichkeit Kafkas Roman nicht zu bewältigen ist (vgl. a.a.O., S. 329, Anm.).
Vgl. hierzu auch (P 269).
Vgl. unten S. 142 ff.
Die Beweisführung läuft ähnlich wie bereits im »Prozeß« (vgl. oben S. 111 ff.) über die anderen Figuren, Mittler und Boten. Auch für die anderen Anwesenden »läutete das Telefon nochmals« (S 9), denn daraufhin »stockten alle, und Schwarzer kehrte zum Apparat zurück« (S 10). Die Indizien bzw. das Geläute nehmen alle wahr, nur K. eben »besonders stark« (S 10).
C. David, Zwischen Dorf und Schloß, S. 694.
Ralf R. Nicolai, Ende oder Anfang. Zur Einheit der Gegensätze in Kafkas ›Schloß‹, München 1977.
R. R. Nicolai, a.a.O., S. 39.
Vgl. oben, S. 15f. Gegen die weitverbreite allegorische Leseart des Romans hat sich schon Erich Heller, Kafka, S. 98, gewandt: »›Das Schloß‹ ist kein allegorischer, sondern ein symbolischer Roman.« Hellers Verneinung der Allegorie ist vollkommen richtig, und seine Erläuterung zur Allegorie — »die Allegorie repräsentiert, was sie selbst nicht ist« (a.a.O., S. 98), legt angemessen die Gründe dar.
R. R. Nicolai, a.a.O., S. 12 (ff.) Ähnlich in R. R. Nicolai, Die Amalia-Episode im Lichte der Dreistufigkeit in Kafkas Romanen, in: Literatur und Kritik, H. 104, Mai 1976, S. 207–218, bes. S. 207ff.
H. Walther, Die Forderung der Transzendenz, S. 20.
Vgl. H. Walther, a.a.O., S. 35ff.
Aus dem Jahre 1923.
Hierzu vgl. unten S. 161.
H. Walther, Die Forderung der Transzendenz, S. 34.
R. R. Nicolai, Ende oder Anfang, S. 41. Nicolais Entscheidung für die Einheit der Gegensätze (S. 39ff.) muß unabhängig vom Werk Kafkas gefallen sein; für dieses im allgemeinen und für das »Schloß« im besonderen ist die These nämlich, soweit sie überhaupt anwendbar ist, grundsätzlich falsch; die (romantische) Utopie der Einheit (Koinzidenz) »von Bewußtlosigkeit und absolutem Bewußtsein« (S. 41) ist bei Kafka unwiderruflich als ›Lüge‹ entlassen. »Es gibt nur zweierlei: Wahrheit und Lüge.« (H 99).
So die Kritik Nietzsches an dieser Tradition.
Vgl. oben S. 16.
Wie schon beim »Prozeß« ist auch hier den Behörden von der Deutung wieder wenig Begründbares zugeschrieben worden, so u. a. auch von P. U. Beicken, Einführung in die Forschung, S. 333f.; jüngst meinte A. Ritzmann, Winter und Untergang, mit dem »Labyrinth dieser aufgeblähten Gesetzes- und Kontrollmaschinerie« (S. 56) habe Kafka »die Heraufkunft des Computer-Zeitalters vorausgeahnt und gestaltet« (S. 56). Karin Keller, Gesellschaft in mythischem Bann. Studien zum Roman ›Das Schloß‹ und anderen Werken Kafkas. Wiesbaden 1977, meint, mit Karl Marx (S. 193ff.) die Schloßbehörde erklären zu können.
Vgl. F. Beißner, Kafkas Darstellung des »traumhaften innern Lebens«, bes. S. 14ff.
F. Beißner, a.a.O., S. 16.
Vgl. hierzu P. U. Beicken, Einführung in die Forschung, S. 176–180 (ff.) und P. U. Beicken, Typologie der Kafka-Forschung, S. 799 ff.
Klaus Wagenbach, Wo liegt Kafkas Schloß? In: Jürgen Born, Ludwig Dietz, Malcolm Pasley, Raabe, Klaus Wagenbach, Kafka-Symposion, Berlin 1965, S. 161–189, S. 161. Wagenbach führt das Schloß aus dem Dorf Woßek an, wo Franz Kafkas Großvater lebte und sein Vater aufgewachsen war; zu weiteren derartigen Versuchen vgl. R. Sheppard, ›Das Schloß‹, S. 443.
Hartmut Binders Buch: Kafka in neuer Sicht. Mimik, Gestik und Personengefüge als Darstellungsformen des Autobiographischen, Stuttgart 1976, sieht »Das Schloß« »als Spiegelbild der Kafka in seinen letzten Jahren beschäftigenden Probleme« (S. 323); Binder gibt eine Vielzahl solcher Antworten und erkennt in den Gestalten des Romans Konstellationen aus Kafkas Biographie wieder. So ist hier etwa zu lesen, »daß die Gestalt der Brückenhofwirtin, Friedas einzige Vertraute, durch Milenas Freundin Staša und eine Zürauer Erinnerung konstelliert wurde.«(S. 323) Richtig ist vielmehr, daß die Gestalt dieser Wirtin durch das Wissen der erfüllungslos an der Seite ihres Kindmannes Hans — »mein Mann hat solche Fragen nicht gestellt« (S 119) — gealterten Frau ›konstelliert‹ wird; vgl. dazu weiter unten S. 196, Anm. 95.
Vgl. auch: (T 329), (T 339).
Weil Sprache, Poesie, Dichtung nicht Wirklichkeit ist (oder: sie ist in der »Wirklichkeit« (S 83) eben nur sprachliche Konstruktion mehr der ›geistigen‹ als der »sinnlichen Welt«).
Vgl. oben S. 33 ff.
Vgl. oben S. 96.
Anneliese Ritzmanns Dissertation: Winter und Untergang. Zu Franz Kafkas Schloßroman, (Zürich 1977) Bonn 1978, S. 5–27, untersucht die Bedeutung des Winters in diesem Roman mit einer Reihe von Verweisen auf den literarischen und musikalischen Gebrauch des Winters als Stimmungsbild bei anderen Autoren. A. Ritzmann kommt verallgemeinernd zu dem Ergebnis: »Ihm [dem Winter] ist der einsame Mensch wehrlos ausgesetzt, in der eisigen Wüste kämpfend für sein Leben« (S. 20); zu dieser These ist zu bemerken, daß dem Winter im Werk Kafkas absolut nichts von einem wehleidig sentimentalen Klagen des Weltschmerzes anhaftet; der einsame Mensch ist bei der logischen Radikalität seines Denkens eine Tatsache, die nicht einmal zu beklagen, sondern allenfalls hinzunehmen ist. Und wo der Winter derjenige einer erloschenen Innenwelt ist — die Welt der Dinge nämlich ist, gleichfalls ›tatsächlich‹, ohnehin eisig, tot, leer von Gefühlsqualitäten (vgl. oben S. 34) —, gibt es kein Wehklagen mehr. Im übrigen gibt das Werk die Bedingungen dieses Winters logisch und stringent wie begrifflich exakt formuliert sehr genau und ohne jeden Anklang des Gefühlseligen an.
K.-P. Philippi, Reflexion und Wirklichkeit, S. 58 (ff.).
Karin Keller, Gesellschaft in mythischem Bann, S. 211.
D. Krusche, Kafka und Kafka-Deutung, S. 43.
D. Krusche, a.a.O., S. 43.
Vgl. oben S. 91.
Vgl. »Forschungen eines Hundes«: »Und sollte sich bestätigen, daß die Schweigenden als Erhalter des Lebens im Rechte sind […]« (B 256).
R. Sheppard, ›Das Schloß‹, S. 460.
H. Richter, Werk und Entwurf, S. 257.
H. Binder, Kommentar zu den Romanen, S. 279: »K. hat diesen Beruf weder erlernt, noch möchte er ihn eigentlich ausüben; auch ist er nicht berufen worden, lügt (S 455) und will die Stelle gar nicht«. Die von Binder herangezogene Stelle lautet: »Die Wirtin zeigte auf die Ottomane, daß sich K. setzen möge, sie selbst setzte sich auf den Drehsessel beim Pult. ›Hast du nicht einmal Schneiderei gelernt?‹ fragte die Wirtin. — ›Nein, niemals‹, sagte K. — ›Was bist du denn eigentlich?‹ — ›Landvermesser.‹ — ›Was ist denn das?‹ K. erklärte es, die Erklärung machte sie gähnen. ›Du sagst nicht die Wahrheit. Warum sagst du denn nicht die Wahrheit?‹ — ›Auch du sagst sie nicht.‹« (S 455) Diese Stelle aus dem zwanzigsten Kapitel ist nicht unbesehen oder nur, wenn man vom Inhalt des gesamten Romans absieht, zur Klärung des ersten anzuwenden. Die Wahrheitsbedingungen für den Satz ›K. ist Landvermesser‹ sind hier andere als im ersten Kapitel, wie ›die Wahrheit‹ inzwischen geschehen ist. Dies wird im nächsten Abschnitt ausführlich erörtert (vgl. unten S. 139ff.).
Hinrich Siefken. Kafka. Ungeduld und Lässigkeit. Zu den Romanen »Der Prozeß« und »Das Schloß«. München 1977.
H. Siefken, a.a.O., S. 64; Siefkens Thesen zum K. des »Schloß«-Romans (vgl. a.a.O., S. 46–106), in denen K. schon auch einmal als »Hans Dampf« (S. 64) auftritt, sind alle auf K.s Wahrhaftigkeit bezogen; mit dem (auch darauf) reduzierten Ergebnis: »K. täuscht und verwirrt nicht nur sich selbst. Er täuscht absichtlich andere, oder ist doch bereit, dies zu tun, sobald es zu seinem Vorteil zu sein scheint. Ich sehe hier ab von dem absichtlich betrügerischen Täuschungsmanöver, er sei der bestellte Landvermesser, da der Roman weitere deutliche Beispiele enthält.« (S. 93)
R. Sheppard, a.a.O., S. 461.
Vgl.: »Es gibt nur zweierlei: Wahrheit und Lüge.« (H 99)
Eine ›Behauptung‹ kann eine »Lüge« sein, nicht so ein (›berechtigter‹ oder ›unberechtigter‹) »Anspruch«; dies ist im Text von entscheidender Bedeutung, vgl. unten S. 135. Von drei Wahrheitswerten ist im Text nicht die Rede, nur von verschiedenen Modalitäten, die eindeutig und auch eindeutig — nicht nur ›wahrscheinlich‹ — erkennbar sind, vgl. unten S. 135 ff.
Natürlich auch nicht ›wahrscheinlich‹ wahr oder falsch.
Anders als Deklarativsätze sind Sätze wie »Setzt Euch! (S 20) oder »Wer bist du?« (S 22) als Imperativ- und Fragesätze nie wahr oder falsch. Kafka verarbeitet damit an entscheidender Stelle der Makrostruktur des Textes eine Erkenntnis, die in der modernen Sprachphilosophie, Logik und Semantik natürlicher Sprachen zu schwerwiegenden Problemen geführt hat; vgl. hierzu: David Lewis, General Semantics. In: D. Davidson and G. Harman (eds.), Semantics of Natural Language, Dordrecht/Holland (D. Reidel) 1972, S. 169–218, bes. S. 205ff.; (das Wahrheitsproblem abhängiger Nebensätze — Bsp.: ›Er glaubt (nicht), daß er Landvermesser ist‹ — läßt sich über (logische) mögliche Welten lösen;) die Struktur des Kafkaschen Satzes ist bislang in der Semantik nicht befriedigend zu definieren.
H. Politzer, Kafka, der Künstler, S. 321.
H. Politzer, a.a.O., S. 320.
H. Binder, Kommentar zu den Romanen, S. 279. — Ähnlich neuerdings auch H. Siefken, Ungeduld und Lässigkeit, S. 64.
H. Walther, Die Forschung der Transzendenz, S. 15.
K.-P. Philippi, Reflexion und Wirklichkeit, S. 41.
K.-P. Philippi, a.a.O., S. 41.
W. H. Sokel, Tragik und Ironie, S. 391.
W. H. Sokel, a.a.O., S. 391.
Anders als die ›Gesetze‹ von Schuld und Verurteilung wird das der Verhaftung ebenfalls nicht angegeben.
Vgl. oben S. 100.
Wolfgang Binder, Das stumme Sein und das redende Nichts. Ein Aspekt des Kafkaschen Schloß-Romans, in: W. B., Aufschlüsse, Studien zur deutschen Literatur, hrsg. v. R. Tarot, Zürich und München 1976, S. 369–384, meinte: »Das Wesen des Schlosses ist das Nichts.« (S. 380) Diese These ist nicht nur begrifflich unrichtig, weil ›das Nichts‹ schlecht Wesen von etwas sein kann, sondern auch interpretatorisch. Vor dem Nichts steht nur K. innerlich und äußerlich, als er dort ankommt; hinsichtlich seiner Vergangenheit ist er nichts mehr, als fremder Ankömmling ist er noch nichts. Er ist nicht mehr als die körperliche Gestalt mit ihrer geistigen und seelischen Geschichte. Auch K. ist am Ende »nichts« (S. 73) wie Amalia, die genau das weiß und deshalb schweigt — und nicht etwa weil sie, wie W. Binder meinte, »das Nichts hinter der Redemauer des Schlosses« (S. 381) erkannt hat. Das Nichts redet nicht. Amalias »stummes Sein« (S. 381) ist zwar Zeichen einer »Freiheit vom Schloß« (S. 381), einer furchtbaren Freisprechung allerdings, einem Fluch; und vom Wesen des Schlosses teilt Kafka eine Erfahrungsform mit, die gleichfalls wohl furchterregend zu nennen ist: »Es war, wie wenn sich aus dem Summen zahlloser kindlicher Stimmen — aber auch dieses Summen war keines, sondern war Gesang fernster, allerfernster Stimmen —, wie wenn sich aus diesem Summen in einer geradezu unmöglichen Weise eine einzige hohe, aber starke Stimme bilde, die an das Ohr schlug, so, wie wenn sie fordere, tiefer einzudringen als nur in das armselige Gehör.« (S 32)
Der Weg fordert, wie in der »Kleinen Fabel« die Maus, den, der ihn zu beschreiten wagt, am Ende zum Opfer. Die wahnhafte Paranoia (unter der keiner der K.s leidet) ist vielleicht eine Möglichkeit, diesen Punkt durch die Rekonstruktion von (teilweisen) ›Lügen‹ zu überleben (da sie sich mit denjenigen des Konsens und der Gemeinschaft jedoch nicht decken, gewährleisten sie allenfalls ein hermetisch subjektives inneres Überleben).
Vgl. oben 91.
K.-P. Philippi, Reflexion und Wirklichkeit, S. 113.
K.-P. Pbilippi, a.a.O., S. 113.
Aus: »Von den Gleichnissen«.
Vgl. oben Kap. III. 1. u. III. 2.2.
Kafkas Ethik schließt eine Freiheit der Wahl oder des freien Entwurfs, wie sie die Sartresche Philosophie propagiert und K.-P. Philippi, Reflexion und Wirklichkeit, S. 41 ff. u. S. 149f., sie auf die Situation K.s anzuwenden versucht hat, aus. K. ist weder, wie Philippi (a.a.O., S. 150) es interpretiert, ›in die Welt geworfen‹, sondern hat eine unabdingbare Geschichte, noch ist er ›zur Freiheit verurteilt‹: er wird an ihr (im Kafkaschen Sinn) versagen.
Da die Tat mehr ist als nur der Vorgang einer Veränderung des Dinglichen, nämlich Tatsache (fact), die unabhängig vom Dinglichen weiterbesteht, ist sie untilgbar, in gewissem, das Bewußtsein des jeweils vergessenden Einzelnen übergreifenden Sinn sogar ›ewig‹, weil es in diesem höheren Sinn »kein Vergessen« (P 191) gibt.
H. Walther, Die Forderung der Transzendenz, S. 122 f., hat es hier trotz seiner dem Phänomen selbst angemessenen Beschreibung (s. oben S. 190, Anm. 77) zu vereinfacht.
›strafend‹ nicht im naiv kausalen Sinn.
Aus: »Nachts«.
Auch hier fügt Kafka wieder symbolisch zu lesende Farben ein (vgl. oben S. 126); »blau« zielt auf die »Hoffnung« (H 46), meint aber nicht sie selbst im utopisch illusionären oder jenseitigen Sinn, sondern ›weiß‹ »in Wirklichkeit« (S 93): »Reinheit« nicht des utopisch visionären Dogmas.
Die im Text mit »A« versus »B« (S 92) bezeichneten Abteilungen deuten an, daß es auch für K. in der Frage seiner Berufung nur A oder B gab: nämlich ›entweder — oder‹.
Vgl. (S 55) bzw. (S 62).
W. Emrich, Kafka, S. 346.
Auch sie hat sich verändert, sie spricht jetzt »nicht mehr boshaft nach ihrer früheren Art, sondern traurig, als habe sie inzwischen die Bosheit der Welt kennengelernt, gegenüber der alle eigene Bosheit versagt und sinnlos wird« (S 417).
W. Emrich deutet, a.a.O., S. 341, diese Stelle ansonsten korrekt, läßt aber, und daraus resultiert sein Mißverständnis, genau diese vier einschränkenden ernüchternden Bestimmungen weg.
Zum »Gesetz« vgl. auch (S 324).
Pepi sagt es einmal folgendermaßen: »Frieda kann sich beherrschen wie nicht leicht jemand. Was sie nicht gestehen will, gesteht sie nicht, und dabei merkt man gar nicht, daß sie etwas zu gestehen hätte.« (S 147)
Zur Poetik dieses Verfahrens vgl. unten S. 154f.
Der Stall z.B. verweist wie der Kutscher auf das Treiben der Klammschen Dienerschaft (S 59ff.) und Olgas Nächte bei den Knechten im Stall (S 321); wie schon im »Prozeß« (»Kanapee« — »Ottomane«) verwendet Kafka häufig Synonyme oder semantisch ähnliche Begriffe zur Referenz- und Bedeutungsexplikation, oft auch leicht verschoben, indem das Gemeinte mit dem räumlich oder inhaltlich Naheliegenden ausgetauscht, aber deswegen keineswegs mißverständlich wird; gelegentlich erreicht dieses durch seine erwirkte Zweideutigkeit immer noch mildernde Verfahren eine Eindeutigkeit von kaum zu überbietender Kraßheit: So liegt die Brückenhofwirtin »in einem durch eine leichte Bretterwand von der Küche abgetrennten, fensterlosen Verschlag. Er hatte nur Raum für ein großes Ehebett und einen Schrank. Das Bett war so aufgestellt, daß man von ihm aus die ganze Küche übersehen und die Arbeit beaufsichtigen konnte.« (S 112f.) Sie erzählt K. dann dort die Geschichte ihrer Ehe; es ist jene Geschichte, die Kafka im »Prozeß« als »Roman mit dem Titel ›Die Plagen, welche Grete von ihrem Manne Hans zu erleiden hatte.‹« (P 67) angedeutet hat. Einige dieser Bilder tauchen im Werk Kafkas in ähnlicher Weise immer wieder auf (vgl. etwa den Pferdeknecht im »Landarzt« [E 146f.]).
Vgl. etwas das »Schloß«-Kapitel bei H. Siefken, Ungeduld und Lässigkeit, S. 42–106; nicht selten hat man die Erzählstruktur des Romans auf das Problem der Erzähl-perspektive beschränkt (vgl. auch R. Sheppard, ›Das Schloß‹, S. 458). Sie wird jedoch weitgehend vom Handlungs- bzw. Tatsachenablauf des Inhalts diktiert; dies gilt selbstverständlich ebenso für die ›Einsinnigkeit‹ wie in den früheren Romanen (vgl. oben S. 24ff.). Auch die von W. Kudszus, Erzählhaltung und Zeitverschiebung, S. 204f., festgestellte Verschiebung des »normalen menschlichen Zeitbewußtseins« der K.s (S. 204) hängt damit zusammen.
J. Kobs, Untersuchungen, S. 499 f.
A. Ritzmann, Winter und Untergang, S. 67. A. Ritzmann gehört zu den wenigen Autoren, die versucht haben, sich mit der Gesamtstruktur des Romans auseinanderzusetzen; sie geht von zwei Kreisen, einem progressiven »Aufstieg« (1.–7. Kap.) und dem nicht vollendeten regressiven »Abstieg« (S. 64), aus. Abgesehen von der kaum gerechtfertigten Zäsur nach dem vierten Tag K.s im Dorf verkennt diese Strukturanalyse die Radikalität des »alles« oder »nichts«, wie es in der zweiten Nacht entschieden wird.
J. Kobs, a.a.O., S. 500.
J. Kobs meinte, a.a.O., S. 499, ein solcher Progreß-Regreß-Zyklus sei das epische »Baugesetz des Zirkels«; die Zirkelthese beruht auch in der epischen Struktur auf einem Mißverständnis.
Vgl. auch die hier (S 324) vorangegangenen Zeilen.
Vgl. Brods erstes Nachwort (S 529f.), in dem dieser Begriff (einer anderen Geistestradition) eingeführt wird; ferner das von Brod bevorzugte Ende (vgl. unten S. 145).
Vgl. A. Ritzmann, Winter und Untergang, S. 64 u. S. 67.
W. Emrich, Kafka, S. 410. Die gegenteilige Meinung, wie sie H. Siefken, Ungeduld und Lässigkeit, vertritt, ist nicht mehr haltbar, bei Siefken endet es vollends lapidar: »K. blieb erfolglos.« (S. 106)
So R. R. Nicolai, Ende oder Anfang, S. 186, über den fehlenden Schluß. Nicolai führt hier wie auch Emrich (a.a.O., S. 410) als Abschluß den von Brod überlieferten und mit genugtuender Beschwichtigung gedeuteten, nur allerdings dort falsch verstandenen Schluß an.
R. R. Nicolai, a.a.O., S. 186.
R. R. Nicolai, a.a.O., S. 186, über Anfang und Ende von K.
Max Brod, Nachwort zur ersten Auflage, im Anhang zum »Schloß«, S. 526f.
C. David, Zwischen Dorf und Schloß, S. 711.
Vgl. M. Brod, a.a.O., S. 527.
M. Brod, a.a.O., S. 527.
Vgl. die Aussage des Dorfvorstehers: »Nun aber, da Sie so freundlich sind, selbst mich aufzusuchen, muß ich Ihnen freilich die volle, unangenehme Wahrheit sagen. Sie sind als Landvermesser aufgenommen, wie Sie sagen; aber leider, wir brauchen keinen Landvermesser. Es wäre nicht die geringste Arbeit für ihn da. Die Grenzen unserer kleinen Wirtschaften sind abgesteckt, alles ist ordentlich eingetragen. Besitzwechsel kommt kaum vor, und kleine Grenzstreitigkeiten regeln wir selbst. Was soll uns also ein Landvermesser?« (S 88).
Notizen
Daß ihn dieses oder jenes Schloßgemäuer angeregt hat, wo immer Kafka es als Eindruck aufgenommen hatte, wird damit nicht in Frage gestellt.
Vgl. K. Wagenbach, Wo liegt Kafkas Schloß?, S. 173; vgl. auch zum »Jäger Gracchus« den Aufsatz von H. Binder, »Der Jäger Gracchus«. Zu Kafkas Schaffensweise und poetischer Topographie, S. 384. Für Photographien gilt dasselbe.
Janoucb berichtet von einem Gespräch über den »Amerika«-Roman, in dessen Verlauf Kafka gesagt habe: »Ich zeichnete keine Menschen. Ich erzählte eine Geschichte. Das sind Bilder, nur Bilder.« G 54)
Vgl. den Bericht von Gerhard Kurz, Figuren, in: Kafka-Handbuch, Bd. 2, S. 108–130, bes. S. 108 ff. Der Ästhetik des Werkes und den Erkenntnissen der Forschung entgegen hat H. Binder, Kafka in neuer Sicht, 1976 allerdings einen autobiographischen Belebungsversuch unternommen.
B. Allemann, Kafka. Der Prozeß, S. 239.
Vgl. B. Allemann, a.a.O., S. 238f.
Martin Walser, Beschreibung einer Form. München 1961.
M. Walser, a.a.O., S. 49.
M. Walsers Studie räumt der ästhetischen Autonomie eine so weitreichende Priorität ein, daß es, a.a.O., S. 10, etwa heißt: »Er [Kafka] hat die Verwandlung der Wirklichkeit schon vor dem Werk vollzogen«. Dies, so meint Walser, a.a.O., S. 17, »heißt nichts anderes, als daß Kafka immer mehr den natürlichen Kontakt zur Wirklichkeit verliert und seine möglichen Reaktionen auf vorhandene Wirklichkeit nicht mehr die einer natürlichen bürgerlichen Persönlichkeit sind, sondern, daß diese Reaktionen gewissermaßen dem Diktat des autonomen Formvermögens der poetischen Persönlichkeit in ihm unterliegen.«
G. Kurz, a.a.O., S. 113.
Vgl. oben S. 119ff.
M. Walser, a.a.O., S. 49.
M. Walser, a.a.O., S. 17.
Vgl. oben S. 198, Anm. 9.
Die Meinungen und Urteile zu Amalia reichen von anerkennender Bewunderung für ihre Weigerung vor dem Schloß und dessen Beamten Sortini, wie sie Wolfgang Binder (vgl. oben S. 195, Anm. 74) — auf Grund einiger Mißverständnisse über das Schloß — ausspricht, über K.-P. Philippis These, der Amalia bestätigt, sie könne nur aus der »eigenen Selbstgewißheit« (Reflexion und Wirklichkeit, S. 68) leben, bis zu der gegenteiligen Deutung etwa R. R. Nicolais, Ende oder Anfang, S. 107ff., und ders., die Amalia-Episode im Lichte der Dreistufigkeit, S. 210ff., der sie für »eine der negativsten Gestalten des Romans«(S. 108 bzw. S. 210) hält. Der Meinung Nicolais, der die Frauengestalten mit einer ungewöhnlichen Subtilität interpretiert hat, ist m. E. völlig zuzustimmen; allerdings ist Amalia zugleich eine tief tragische Natur, die an ihrer Wahrheit, »dem Nichts, das sie selbst durch ihre Weigerung gegraben hatte« (C. David, Zwischen Dorf und Schloß, S. 705), zerbrochen ist, auch wenn sie diese — wie K. die seine — überlebt hat.
W. H. Sokel, Tragik und Ironie, S. 464.
Auf den äußeren Hergang der Geschichte können sich die »Kunstgriffe« schon der Poetik dieser Erzählung wegen nicht beziehen, da sonst ihr gesamter Mitteilungswert als unwahr in Frage gestellt würde. Gemeint sein kann deshalb nur, was der Text im übrigen selbst zurechtrückt: das fragwürdige Urteil Olgas von »den gemeinsten Ausdrücken, die«, wie sie fortfährt, »ich noch nie gehört hatte und nur aus dem Zusammenhang halb erriet.« (S 279) Von Sortinis Brief wird indirekt dann auch wenig später das Gegenteil festgestellt. »Wenn Klamm einen zarten Brief schreibt, dann ist es peinlicher als der gröbste Brief Sortinis« (S 286). Auch was der Text sonst, mehr verhohlen und verdeckt, über diesen Sortini berichtet, läßt ihn als einen der vornehmsten und feinsten Schloßbeamten erscheinen, vgl. hierzu (S 285ff.).
Im Text wieder bildlich formuliert: Sortini ist »über die Deichsel gesprungen, als er Amalia sah, mit den von der Schreibtischarbeit steifen Beinen ist er über die Deichsel gesprungen« (S 287).
K. sagt am Ende: »Wenn er zwischen Olga und Amalia zu wählen hätte, würde ihn das nicht viel Überlegung kosten. Und er drückte ihr noch herzlich die Hand […].« (S 337)
— »sie verhalten sich zueinander wie Weiß und Schwarz, und Weiß ist Frieda« (S 284), nämlich weil »Frieda in ihrer Unschuld mehr getan hat als Amalia in allem ihrem Hochmut« (S 290).
›Hinreichend‹ soll heißen, daß die wesentlichen Fragekomplexe problematisiert wurden.
Richard Sheppard, On Kafka’s Castle. A Study. London 1973.
R. Sheppard, a.a.O., S. 35–126.
Eine signifikante Zusammenfassung der einzelnen von ihm in »On Kafka’s Castle« untersuchten — nicht jedoch poetologisch ausgewerteten — Elemente findet sich in R. 5., Kafkas ›Schloß‹, S. 456.
R. Sheppard, On Kafka’s Castle, S. 36 (-53).
R. Sheppard, a.a.O., S. 36 (ff.).
R. Sheppard, a.a.O., S. 42 (ff.).
R. Sheppard, a.a.O., S. 36.
R. Sheppard, a.a.O., S. 42.
Die spezifischen Bedingungen etwa der Barnabas’schen Familie, die Sheppard, a.a.O., S. 36, anführt, sind andere als diejenigen K.s.
W. H. Sokel, Tragik und Ironie, S. 392.
Heinz Politzer, Das entfremdete Selbst — ein Schlüssel zu Kafkas ›Schloß‹? In: H. P., Hatte Ödipus einen Ödipus-Komplex? Versuche zum Thema Psychoanalyse und Literatur. München 1974, S. 9–28, S. 21.
Max Brod, Nachwort zur ersten Auflage, S. 535.
W. Emrich, Kafka, S. 312 (f.).
Heinz Hillmann, Franz Kafka, Dichtungstheorie und Dichtungsgestalt. 2., erw. Aufl. Bonn 1973.
H. Hillmann, a.a.O., S. 130–136.
H. Binders Buch, Kafka in neuer Sicht, bietet eine Übersicht aus dem Text destillierter Einzelgesten, wie sie in der Literatur andernorts nicht aufgestellt wurde. Vgl. ferner G. Kurz, Figuren, S. 126 f.
H. Hillmann, a.a.O., S. 134; Hillmanns Aussage bezieht sich auf eine Geste Josef K.s, der im Gegensatz zu seinem rhetorischen Widerstand den Wächtern den Rock unterbreitet (vgl. [P 18f.]); sie ist jedoch durchaus zu verallgemeinern.
G. Kurz, a.a.O., S. 126.
Vgl. oben S. 147f.
Vgl. oben S. 146 ff.
Die ästhetischen sind bereits angeführt; zu den prinzipiellen zählt einmal der, daß Kafka nicht von der Vorstellung ausging, Bewußtsein wäre so etwas wie eine materiale Substanz mit abhebbaren Schichten, sondern darunter viel nüchterner und weniger archaisch die Akte des Denkens und der Sprache verstand. Gegen einige solcher Mißverständnisse der Deutung, die letztlich auch ein adäquates Textverständnis verhindern, läßt sich ein Kafkas Denken charakterisierender Satz von ihm anführen, der bei Janouch zitiert ist: »Wir Juden […] können die Dinge nicht statisch darstellen. Wir sehen sie immer im Fluß, in der Bewegung, als Wandlung.« (J 90) Dazu gehört auch, daß Kafka sich zwar auch des Bildes von der Innenwelt als geschlossenem Raum bediente — es ist nur ein, allerdings sehr altes und weitverbreitetes Bild-, daß er sie aber, besonders was seine Figuren anbelangt, keineswegs nur so gefäß- und hohlraumförmig dachte, sondern eher relational als Beziehung, Affektions- oder AffinitätsVerhältnis. Über die Mitteilbarkeit von Gefühlen schrieb er in einem seiner Briefe an Felice: »Ich bin nicht der Meinung, daß einem jemals die Kraft fehlen kann, das, was man sagen oder schreiben will, auch vollkommen auszudrücken. Hinweise auf die Schwäche der Sprache und Vergleiche zwischen der Begrenztheit der Worte und der Unendlichkeit des Gefühls sind ganz verfehlt. Das unendliche Gefühl bleibt in den Worten genau so unendlich, wie es im Herzen war. Das was im Innern klar ist, wird es auch unweigerlich in Worten. Deshalb muß man niemals um die Sprache Sorge haben, aber im Anblick der Worte oft Sorge um sich selbst. Wer weiß denn aus sich selbst heraus, wie es um einen steht. Dieses stürmische oder sich wälzende oder sumpfige Innere sind ja wir selbst, aber auf dem im geheimen sich vollziehenden Weg, auf dem die Worte aus uns hervorgetrieben werden, wird die Selbsterkenntnis an den Tag gebracht, und wenn sie auch noch immer verhüllt ist, so ist sie doch vor uns und ein herrlicher oder schrecklicher Anblick.« (F 305f.)
H. Binder, Kafka in neuer Sicht, S. 492; Binder schreibt über diese Gehilfen: »Es liegt nahe, an von der Persönlichkeit des Helden abgespaltene Teilpsychen zu denken, an eine Art Weiterentwicklung des Kafka schon aus der Literatur bekannten Doppelgängermotivs, wobei die Zwei- heit und Gleichartigkeit der Gestalten, psychologisch gesehen, auf relativ undifferenzierte Seelenkräfte verwiese.« (S. 492) »Die Kräfte, die Kafkas Liebesfähigkeit tragen, werden in einer Weise personifiziert, die der Darstellung der Gehilfen entspricht« (S. 495); Kafka spricht in dem Roman zwar natürlich von K., auf ihn aber dürften die Thesen Binders zutreffen, wenn man sie genügend unmetaphorisch versteht; vgl. das zu den Figuren oben S. 150 Gesagte.
Vgl. oben S. 94ff.
Dem ging die Unterredung zwischen K. und Frieda voraus, in deren Verlauf sie ihn mit Vorwürfen überhäuft; sie endet mit Friedas Schweigen: »Schließlich fügte sich Frieda schweigend. Als K. draußen durch den Schnee stapfte — längst schon hätte der Weg freigeschaufelt sein sollen, merkwürdig, wie langsam die Arbeit vorwärtsging —, sah er am Gitter einen Gehilfen todmüde sich festhalten. Nur einen, wo war der andere? Hatte K. also wenigstens die Ausdauer des einen gebrochen? Der Zurückgebliebene war freilich noch eifrig genug bei der Sache; das sah man, als er, durch den Anblick K.s belebt, sofort wilder mit dem Armeausstrecken und dem sehnsüchtigen Augenverdrehen begann. ›Seine Unnachgiebigkeit ist musterhaft, sagte sich K. und mußte allerdings hinzufügen, ›man erfriert mit ihr am Gitter.‹ Äußerlich hatte aber K. für den Gehilfen nichts anderes als ein Drohen mit der Faust, das jede Annäherung ausschloß, ja, der Gehilfe rückte ängstlich noch ein ansehnliches Stück zurück.« (S 235f.) — Daran schließt sich die oben im Text nun zitierte Passage an.
Vgl. etwa die folgende Stelle, wo K. etwas sagt, »nicht um sich etwas bestätigen zu lassen, was er wußte, sondern um einem Angriff zuvorzukommen, den er fast fürchtete, so verletzlich war er jetzt« (S 160).
R. Sheppard, ›Das Schloß‹, S. 464.
Unter standardisierten mimetischen Ausdrucksformen sind literarische, oft Wirklichkeitszusammenhängen entnommene Andeutungs- bzw. Beschreibungsmuster zu verstehen, die — wie Stirnfalten-, Mundwinkelstellungen usw. als allgemeine Topoi gelten und deshalb als eindeutige Zeichen des Ausdrucks von Innenweltformen (-zuständen, -lagen) identifiziert werden können.
Zu einzelnen Ausdrucksformen vgl. H. Binder, Kafka in neuer Sicht, S. 128ff. u. S. 163–193.
Vgl. H. Binder, a.a.O., S. 187ff.
Vgl. u. a.: »So stand er, zerbiß sich die Lippen und sagte nichts.« (S 53) »Frieda ertrug trotzig seinen [Jeremias’] Griff, hatte den Kopf tief geneigt und biß auf die Lippen.« (S 361); »sie [Amalia] hatte nur zu schweigen, Aug in Aug mit der Wahrheit stand sie […]« (S 306). »Sie [K. und Frieda] schwiegen und gingen wieder nebeneinander auf und ab, ohne daß zu unterscheiden gewesen wäre, wer jetzt damit begonnen hätte.« (S 363)
Auch Briefe; vgl. R. Sheppard, On Kafka ›Castle‹, S. 122.
R. Sheppard, a.a.O., S. 120ff.
Vgl. R. Sheppard, a.a.O., S. 35 u. S. 120.
Dieser Dialog erstreckt sich über das gesamte sechste Kapitel.
Zur Bedeutung von »Kälte« und ähnlichen Bildern als Ausdruck menschlicher Innenwelt vgl. oben S. 89.
Vgl. oben S. 118.
Vgl. (S 189–197); das Kapitel endet mit dem Satz: »Damit schlug er die Tür zu.« (S 197), vgl. hierzu oben die Interpretation der Türhütergeschichte, S. 75 ff.
Den Zusammenhang von ›Heiligem‹, Sitten und Gewalt hat mit so aufschlußreichen wie erschreckenden Erkenntnissen René Girard in seinem Buch: La Violence et le sacré, Paris 1972, analysiert.
Zu den Krähenvögeln als Bild vgl. die bei Janouch zitierte Äußerung Kafkas: »Ich bin ein ganz unmöglicher Vogel […] Ich bin eine Dohle — eine kavka […]. Verwirrt hüpfe ich zwischen den Menschen herum. Sie betrachten mich voller Mißtrauen. Ich bin doch ein gefährlicher Vogel, ein Dieb, eine Dohle. […]« (J 36).
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Kessler, S. (1983). Strukturen des Mikrokosmos — »Das Schloss«. In: Kafka — Poetik der sinnlichen Welt. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03176-1_5
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