Zusammenfassung
Das Konzept des „doing gender“ entstammt der interaktionstheoretischen Soziologie und ist in der Geschlechterforschung zu einem Synonym für die in dieser Tradition entwickelte Perspektive einer „sozialen Konstruktion von Geschlecht“ geworden. „Doing gender“ zielt darauf ab, Geschlecht bzw. Geschlechtszugehörigkeit nicht als Eigenschaft oder Merkmal von Individuen zu betrachten, sondern jene sozialen Prozesse in den Blick zu nehmen, in denen „Geschlecht“ als sozial folgenreiche Unterscheidung hervorgebracht und reproduziert wird. Das Konzept wurde von West/Zimmerman 1987 in einer expliziten und programmatischen Abgrenzung zur gängigen „sex-gender-Unterscheidung“ entwickelt, in der implizit von einem „natürlichen Unterschied“ ausgegangen und die kulturellen Ausprägungen von „gender“ lediglich als gesellschaftlicher Reflex auf Natur gefasst wurde. Das Konzept des „doing gender“ wurde dagegen vor dem Hintergrund von soziologischen Analysen zur Transsexualität entwickelt und besagt im Kern, dass Geschlechtszugehörigkeit und Geschlechtsidentität als fortlaufender Herstellungsprozess aufzufassen sind, der zusammen mit faktisch jeder menschlichen Aktivität vollzogen wird und in den unterschiedliche institutionelle Ressourcen eingehen:
„Das Herstellen von Geschlecht (doing gender) umfasst eine gebündelte Vielfalt sozial gesteuerter Tätigkeiten auf der Ebene der Wahrnehmung, der Interaktion und der Alltagspolitik, welche bestimmte Handlungen mit der Bedeutung versehen, Ausdruck weiblicher oder männlicher ‚Natur ‘zu sein. Wenn wir das Geschlecht (gender) als eine Leistung ansehen, als ein erworbenes Merkmal des Handelns in sozialen Situationen, wendet sich unsere Aufmerksamkeit von Faktoren ab, die im Individuum verankert sind, und konzentriert sich auf interaktive und letztlich institutionelle Bereiche. In gewissem Sinne sind es die Individuen, die das Geschlecht hervorbringen. Aber es ist ein Tun, das in der sozialen Situation verankert ist und das in der virtuellen oder realen Gegenwart anderer vollzogen wird, von denen wir annehmen, dass sie sich daran orientieren. Wir betrachten das Geschlecht weniger als Eigenschaft von Individuen, sondern vielmehr als ein Element, das in sozialen Situationen entsteht: Es ist sowohl das Ergebnis wie auch die Rechtfertigung verschiedener sozialer Arrangements sowie ein Mittel, eine der grundlegenden Teilungen der Gesellschaft zu legitimieren“ (West/Zimmerman 1987: 14; Übersetzung in Gildemeister/Wetterer 1992: 237).
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Gildemeister, R. (2004). Doing Gender: Soziale Praktiken der Geschlechterunterscheidung. In: Becker, R., Kortendiek, B. (eds) Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Geschlecht & Gesellschaft, vol 35. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-99461-5_17
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