Zusammenfassung
»Jedes Volk wird von einer Elite regiert...« so sagt einer der bedeutendsten Ahnherren der modernen Soziologie, Vilfredo Pareto1. Die »Elite« ist vorweg ein Problem der Wissenschaft von der Gesellschaft. Jede Analyse, die die »Elite« zum Gegenstand hat, muß diese Tatsache berücksichtigen. Welche Bedeutung hat das Eliteproblem im Rahmen der Wissenschaft von der Politik? Die Frage berührt die besonderen Funktionen und gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisse von Politik und Gesellschaft. Im Mittelpunkt jeder Untersuchung über Eliten, ob politisch oder soziologisch orientiert, steht zunächst die Frage nach der Macht, nach der sozialen und politischen Macht. Exponenten der neueren Eliteliteratur fassen die Elitebeziehungen als »Machtbeziehungen«, die Eliten als »Machtträger« auf2, sprechen besonders von der politischen Elite als der höchsten machtausübenden Klasse, »the top power class«3. Solche Versuche, das Eliteproblem auf die Kardinalfrage nach der Ausübung der höchsten sozialen und politischen Macht zurückzuführen und zu beschränken, können sich auf einige der bedeutendsten Vertreter der frühen Eliteforschung stützen.
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Literatur
Vilfredo Pareto: Allgemeine Soziologie, ausgewählt, eingeleitet und übersetzt von Carl Brinkmann, besorgt von Hans Wolfram Gerhard, Tübingen 1955, S. 44.
Urs Jaeggi: Die gesellschaftliche Elite, eine Studie zum Problem der sozialen Macht, Bern/ Stuttgart 1960, S. 13; unter dieser Hauptprämisse behandelt Jaeggi, a. a. O., S. 15–111, die einzelnen Elitetheorien. Dagegen besonders Hans P. Dreitzel: Elitebegriff und Sozialstruktur, eine soziologische Begriffsanalyse, Stuttgart 1962, S. 3 f.
So Harold D. Lasswell u. a.: The Comparative Study of Elites, an Introduction and Bibliography, Stanford (Cal.) 1952, S. 13.
Pareto, a. a. O., S. 222, 226, 230. Zu Pareto vgl. Gottfried Eisermann Vilfredo Paretos System der allgemeinen Soziologie, Einleitung, Texte und Anmerkungen, Stuttgart 1962.
Zum Unterschied von der »ausstrahlenden« Elite zur »anstrahlenden« Prominenz vgl. Hellmut Rösslers Bemerkungen in: Führungsschicht und Eliteproblem, Konferenz der Ranke-Gesellschaft, Frankfurt a. M./Berlin/Bonn, 1957, S. 136 ff.
Zur schwierigen Frage der Residuen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, vgl. Pareto, a. a. O., S. 50 ff., 90 ff. Nähere Ausführungen darüber, daß sich das Eliteproblem immer dann stellt, wenn alte Herrschaftsgefüge zerfallen, macht Hans Kähler: Das Eliteproblem in der Pädagogik, Diss. Göttingen 1951, Einleitung; ebenso Raymond Aron: Social Structure and the ruling class, in: The British Journal of Sociology, vol. 1, 1950, S. 1–42.
Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens, mit einem Nachw. v. Werner Conze, Stuttgart 1957; ders.: Die oligarchischen Tendenzen der Gesellschaft, ein Beitrag zum Problem der Demokratie, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 27. Bd., 1908.
ders., Oligarchische Tendenzen der Gesellschaft, S. 102, 114 ff.
Gaetano Mosca: Die herrschende Klasse, Grundlagen der politischen Wissenschaft, nach der 4. Aufl. übers. v. Franz Borkenau, München 1950, S. 68 f. Vgl. Lasswell, a. a. O., S. 6: »There are as many elites as there are values.«
Karl Mannheim: Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus, Darmstadt 1958, S. 96 f.
Für die Typologie des politischen Führertums, wie es hier verstanden wird, und die idealtypische Gegenüberstellung von Führung und Herrschaft vgl. Ferdinand A. Hermens: Demokratie und Kapitalismus, ein Versuch zur Soziologie der Staatsformen, München und Leipzig 1931, S. 7 ff., 22 ff. Zur Führung als Elitefunktion in der industriellen Gesellschaft auch Dreitzel, a. a. O., S. 133 ff.
Mißverständlich ist bei Lasswell, a. a. O., S. 13 die Gegenüberstellung von »offener« und »geschlossener« Elite. Deutlicher hingegen Louis Baudin: Die Theorie der Eliten, in: Masse und Demokratie, Geleitwort von Albert Hunold, Erlenbach—Zürich—Stuttgart 1957, S. 43; er charakterisiert die Elite gegenüber der Kaste als offene Menschengruppe, als »Doktrin des Willens«.
Michael Freund: Das Elitenproblem in der modernen Politik, in: Politische Bildung, Heft 46, München 1954, S. 236 f. Allerdings muß nicht unbedingt, wie Freund meint, die Möglichkeit einer »spontanen« Auslese gegeben sein.
Rössler, a. a. O. Vgl. auch Karl Bosl: Elitebildung gestern und heute, Charisma, Dienst, Leistung, in: Ein Leben aus freier Mitte, Beiträge zur Geschichtsforschung, Festschrift für Ulrich Noack, Berlin/Frankfurt/Zürich 1961, S. 372 f., 387 f.
Vgl. dazu Freund, a. a. 0., S. 240 ff. Auf die Minderheit stellt es besonders Max Graf zu Solms ab: Echte Demokratie und Elitegedanke, in: Aus der Werkstatt des Sozialforschers, Frankfurt a. M. 1948, S. 67, S. 70 ff. Seine Meinung: »Das Eliteprinzip steht unter dem Gesetz der kleinen Zahl von Menschen, die subjektiv hochqualifiziert und zugleich intensiv geschult sind« wird nur einem kleinen Teil der denkbaren Eliteformen gerecht.
Zum Verhältnis von Aristokratie und Elite vgl. Pareto, a. a. 0., S. 228 f.
Vgl. Dreitzel, a. a. 0., der das utopische Element (S. 13 ff.: die objektiv Besten sollen herrschen) und das ideologische Element (S. 24 ff.: u. a. die liberalen Vorstellungen) unterscheidet. Zur Begriffsbestimmung von »Stand« und »Klasse« vgl. Eugen RosenstockHuessy: Die europäischen Revolutionen und der Charakter der Nationen, Stuttgart 1961, S. 402.
Dreitzel, a. a. 0., S. 5 f. Zur allgemeinen Problematik der Beziehungen von Sozialstruktur, Herrschaftsstruktur, Gemeinschaft und Gesellschaft vgl. Alexander Rüstow: Ortsbestimmung der Gegenwart, eine universalgeschichtliche Kulturkritik, 1. Bd., Erlenbach—Zürich 1948, S. 95 ff.
Die Beschränkung der Elitebildung auf die Auslese, unabhängig von der sozialen Schicht, betont auch Helmuth Plessner: Über Eliten und Elitenbildung, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 6. Jg., 1955, S. 602 f., 606. Allerdings löse diese Freiheit der Elitebildung auch ihre Wertgebundenheit auf.
G. D. H. Cole: Studies in Class structure, London 1955, besonders S. 106, 144 f.
So Aron, a. a. O., S. 9. Vgl. auch Ralf Dahrendorf: Gesellschaft und Freiheit, zur soziologischen Analyse der Gegenwart, München 1961, S. 179.
Zu den funktionalen Elitetheorien vgl. Jaeggi, a. a. O., S. 111 ff., 138; Dreitzel, a. a. O., S. 126 ff.
Otto Stammer: Das Elitenproblem in der Demokratie, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 71. Jg., 1951; ders.: Demokratie und Elitenbildung, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 4. Jg. 1953.
Stammer, Elitenproblem, S. 9; ähnlich ders., Demokratie und Elitenbildung, S. 295 f.
Vgl. zu diesem Problem in der neuesten Literatur Wolfgang Schluchter: Der Elitebegriff als soziologische Kategorie, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 15. Jg. 1963, S. 233 ff.; Wolfgang Zapf: Wandlungen der deutschen Elite, ein Zirkulationsmodell deutscher Führungsgruppen 1919–1961, München 1965, S. 18.
Näheres über Staat und Gesellschaft vor der Großen Revolution, insbesondere über die soziale und politische Stellung von Geistlichkeit, Adel und Bürgertum bei Martin Göhring: Weg und Sieg der modernen Staatsidee in Frankreich, Tübingen 1946, S. 1–47; zu den »feudaloiden« geistigen Führungsschichten des 18. Jahrhunderts allgemein Rüstow, a. a. O., 2. Bd., 1957, S. 467 f. Ober Eliteerziehung in Frankreich vgl. Kähler, a. a. O., S. 65 ff.
Kähler, a. a. O., S. 83 ff.; Ernst Wilhelm Eschmann: Die Führungsschichten Frankreichs, Bd. I, von den Capetingern bis zum Ende des Grand Siècle, Berlin 1943, S. 255 ff.
Kähler, a. a. O., S. 96 f. Über Beamtentum und Staatsdienst, Feudalwesen und obere Stände vgl. Martin Göhring: Geschichte der Großen Revolution, Bd. 1, Tübingen 1950, S. 89–140.
Dazu Bernhard Groethuysen: Die Entstehung der bürgerlichen Welt-und Lebensanschauung in Frankreich, Bd. II, Halle/Saale, 1930, S. 190 ff., 207 ff., 212 ff.
Göhring, Moderne Staatsidee, S. 20 f.; ders., Revolution, Bd. I, S. 398 f., Bd. II, passim.
Reinhart Koselleck: Kritik und Krise, ein Beitrag zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Freiburg/München 1959, S. 155; vgl. auch S. 52 f., 146. Koselleck zeigt in seiner Analyse der politischen Ideen vor 1789, daß die Verdrängung des Bürgertums aus der politischen Verantwortung für die Entwicklung der eigenen Ideologie negative Folgen hatte, da die politischen Anliegen hinter einer unklaren Moralphilosophie zurücktraten, die vom eigentlichen konkreten Ansatz ablenken mußte. Vgl. auch Harold J. Laski: The Rise of European Liberalism, an Essay in Interpretation, 2. Aufl. London 1947, S. 161 ff.
Vgl. Kähler, a. a. O., S. 113 ff., 124 ff., 140. Zur historischen Entwicklung der englischen Adelselite vgl. II. Kap. 3) der vorliegenden Arbeit im Zusammenhang mit dem Selbstverwaltungsproblem.
a Dazu jetzt auch Emil H. Maurer: Der Spätbürger, Bern und München 1963, S. 20 f.
Zu dieser grundsätzlichen Problematik im englischen Liberalismus vgl. R. M. Mac Iver: Regierung im Kräftefeld der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1952, S. 179 f., 314 f.
Vgl. Leopold v. Wiese: Gesellschaftliche Stände und Klassen, München 1950, S. 45, zum Gebildetypus der Klasse besonders S. 47 ff. Ähnlich Friedrich Lütge: Deutsche Sozial-und Wirtschaftsgeschichte, ein Überblick, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1952, S. 302 f.; Bruno Seidel: Industrialismus und Kapitalismus, sozialethische und institutionelle Wandlungen einer Wirtschaftsform, Meisenheim/Glan 1955, S. 123 ff.
Nach Theodor Sdiieder: Strukturen und Persönlichkeiten in der Geschichte, in: HZ 195, 1962, besonders S. 286 ff., hängt mit der Verbreiterung der Elitenbasis das Entstehen von »hohen Durchschnittswerten« der Eliten zusammen.
Dazu und zum Folgenden Mannheim, Mensch und Gesellschaft, S. 1011f., 104 ff., 109 ff.
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Klotzbach, K. (1966). Einleitung: Das Problem. In: Das Eliteproblem im politischen Liberalismus. Staat und Politik, vol 9. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-98512-5_1
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