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Die biographische Dimension des kulturellen Veränderungsprozesses bei den Otomi

Die Auswertung der autobiograpisch-narrativen Interviews mit den indianischen Kulturmittlern im Untersuchungsgebiet

  • Chapter
Indianische Lokalkultur und gesellschaftlicher Wandel in Mexiko

Part of the book series: Biographie und Gesellschaft ((BUG,volume 29))

  • 48 Accesses

Zusammenfassung

Im vorangegangenen ethnographischen Kapitel wurde unter anderem versucht, die kollektiv-historische Perspektive auf die Prozesse der Modernisierung der Otomi-Gemeinden darzulegen. Es ist deutlich geworden, daß diese Veränderungsprozesse von Einzelpersonen, den Protagonisten vor Ort, mit voran getrieben wurden. An der Rolle der Kulturmittler wird aber nur exemplarisch deutlich, was auch alle anderen Ortsgesellschaftsmitglieder betrifft: Die Menschen vor Ort sind nicht nur als Gruppe von den gesellschaftlichen Transformationsprozessen betroffen, sondern in erster Linie auch als Individuen. Das heißt, die beobachteten gesellschaftlichen Veränderungen werden auch individualbiographisch betrieben und erlitten. So stellt sich beispielsweise die Frage, was die lokalen Kulturmittler als Einzelpersonen dazu brachte, die Position eines zentralen Aktivisten/einer zentralen Aktivistin innerhalb der Vorhaben der Gemeindemodernisierung einzunehmen.

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Literatur

  1. Die nachfolgende Darstellung ist eine komprimierte Zusammenfassung der Abhandlung Schützes (1984) zu den kognitiven Figuren des autobiographischen Stegreiferzählens

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  2. Die nachfolgende Darstellung ist eine Zusammenfassung der detaillierten Beschreibung der narrativen Zugzwänge durch Schütze (1983, zit. in: Riemann 1983: 12–14) u. ders. (1989: 19–21).

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  3. Amanda Weber wertet in ihrer Dissertationsforschung über den Malinche-Mythos in Mexiko ein Interview aus, dem eine solche „religiöse“ Darstellungsfolie zugrunde liegt. Sie führt daran vor, wie diese besondere Form der Sachverhaltsdarstellung in Anlehnung bzw. durch die Einbeziehung des Turnerschen Modells zu den Statuspassagen analysiert werden kann. Die Vermittlung von alltäglichen und höhersymbolisch abgegrenzten Sinnbereichen wird dort modellhaft vorgezeichnet.

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  4. Nur einer der insgesamt einunddreißig Interviewpartner konnte mir nicht seine Lebensgeschichte erzählen. Offensichtlich reichten seine Spanisch-Kenntnisse für die komplexe Darstellungsaufgabe nicht aus.

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  5. Zur systematischen Untersuchung dieses Zusammenhanges wäre allerdings die kontrastive Erhebung von lebensgeschichtlichen Erzählungen auf otomi erforderlich gewesen. Das hätte aber den Rahmen dieser Untersuchung gesprengt.

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  6. vgl. H. Fromm (1985): Nachwort zur Kalevala, In: Kalevala. Das finnische Epos des Elias Lönnrot, Stuttgart: 364–372

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  7. Vgl. auch für die nachfolgende Zusammenfassung: Schütze (1989: 37–45)

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  8. Die Schwester wurde „geraubt“. Das heißt, ein Junge nahm sie unter Umgehung der Heiratsregeln mit, die vorschreiben, das der Bräutigam die Mitgift mitbringen muß. Der junge Mann bittet mit einem Geschenk für die Eltern der Auserwählten um deren Hand. Nehmen die Eltern das Geschenk an, wurde der Ehevertrag quasi geschlossen. Der Bräutigam ist jedoch verpflichtet, bis zur endgültigen Ratifizierung des Ehevertrages, der dann auch die Höhe der Mitgift oder besser gesagt des Brautpreises festlegt, weiterhin den zukünftigen Schwiegereltern Geschenke zu machen. Um diesen kostspieligen Vertragsbedingungen zu entgehen, kommt es häufig zum „Raub“ der Ehefrauen. Die Entscheidung zur Eheschließung oder Familiengründung liegt darüber hinaus dann allein bei dem jungen Paar. Die Kontrollinstanz der Eltern ist ausgeschaltet.

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  9. Zum Konzept der Verlaufskurve vgl. Schütze 1981; Riemann/Schütze 1991; Schütze 1995 u. Kapitel IV, 1.1.2

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  10. Dadurch wird sich Dona Marina sich auch dem Geschlechterkonflikt auf eine abstrakte Weise bewußt und lernt, zwischen Männer- und Frauenperspektiven zu unterscheiden. Das äußert sich z.B. auf der sprachlichen Ebene als Differenzierung zwischen Männern und Frauen zur geschlechtsspezifischen Bezeichnung von Kollektiven, die gemeinhin mit dem Sammelbegriff „Leute“ benannt werden.

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  11. Frauen mit unehelichen Kindern werden in der Otomi-Gesellschaft als sogenannte „gefallene Frauen“ bezeichnet. Das heißt, sie trifft die alleinige moralische Schuld. Dem Mann wird demgegenüber der vor- und außereheliche Geschlechtsverkehr zugebilligt. Er brüstet sich mit seinen sexuellen Eroberungen und zieht daraus Bestätigung für seine Männlichkeit.

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  12. Die ‚Schweigsamkeit‘ und ‚Hilflosigkeit‘ der Frauen ihrer Eiterageneration verdeutlicht Marina am Beispiel ihrer Mutter, die schweigsam die Willkürakte des Familienvaters über sich ergehen ließ. („Die Frauen sprachen (früher, M.A.) nicht, verteidigten sich nicht. Ich erinnere mich immer wieder, daß für meine Mutter oder meine Eltern, immer sah ich sie, nicht (?) Und meine Mutter erhob nie ihre Stimme, was auch passierte. (..., M.A.) Und Mutter sagte niemals etwas“ S. 12/14–47) Ähnliches berichten auch Patricia und Diana in einem Interview. Vielen Frauen sei es früher von ihren Männern verboten gewesen, beispielsweise bei den Marktbesuchen mit anderen zu sprechen.

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  13. Veronika Kugel hat mich mündlich darauf hingewiesen, daß es in den Otomi-Gemeinden, die nicht so stark vom Katholizismus geprägt wurden, durchaus gesellschaftlich akzeptiert ist, daß sich die Frau vom Mann trennen kann, wenn dieser seine Pflichten für die Ernährung der Familie vernachlässigt und in exzessivem Maße gegen Frau und Kinder Gewalt ausübt. Dona Marina stammt aus einer sehr religiösen Familie. Ihr Heimatdorf und insbesondere das ihres Mannes sind in der Gegend als „sehr katholisch“ angesehen. Die starken moralischen Vorbehalte gegen eine Trennung, die erst durch die deutschen Priester relativiert werden, gehen also mit der starken Prägung Dona Marinas durch den traditionellen Katholizismus zusammen.

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  14. Das Interview mit dem Ehemann Dona Marinas führte Teresa Sierra bereits 1980. Sie hat mir die Interviewtranskription zur Bearbeitung zur Verfügung gestellt. Außerdem lag mir ein Protokoll von der Auswertung eines Teils des Interviews im Rahmen des Forschungskolloquiums für Biographieforschung Fritz Schützes aus den achtziger Jahren vor.

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  15. Angeregt durch den wissenschaftlichen Kontakt zu Fritz Schütze hat Teresa Sierra im Rahmen ihrer diskursanalytischen Forschungsarbeit über den lokalpolitischen Prozeß in den Otomi-Gemeinden im Alto del Valle damit begonnen, sich für die Lebensgeschichten der wichtigen Führungspersönlichkeiten zu interessieren. Eine genauere Untersuchung der biographischen Tiefe der von ihr untersuchten sozialen Prozesse der Machtpräsentation und kulturellen Transformation hätte allerdings den Rahmen ihrer Untersuchung gesprengt. Eines der von ihr mit einer biographischen Themenstellung erhobenen Interviews ist das mit Pedro Petate. Bei dem Interview handelt es sich allerdings nicht um ein autobiographischnarratives Interview in dem im Methodenteil beschriebenen Sinne. Dennoch konnte es mit dem Zwischenschritt der konversationsanalytischen Untersuchung der Frage-Antwort-Sequenzen und der Identifizierung von selbstläufigen Erzählabschnitten mit Hilfe der Schützschen Auswertungsmethode bearbeitet werden. 105 An dieser Stelle sei noch einmal auf die besondere Gastfreundschaft der Menschen vor Ort hingewiesen. Viele kümmerten sich um uns, gaben uns Tips und Ratschläge, um uns als Fremde vor Ort zurechtfinden zu können, und luden uns zum Essen und Familienfeierlichkeiten ein. Man achtete sozusagen darauf, daß wir uns in der Fremde nicht so einsam fühlten. So entwickelten sich die engeren Kontakte zu einigen Nachbarn aus der näheren Nachbarschaft.

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  16. In der offiziellen Ämterhierarchie war das Amt des „Representante“ der höchsten Autorität des Dorfes vorbehalten. Heute existiert dieses Amt nicht mehr.

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  17. Auch in anderen Interviews taucht diese Form einer quasi künstlerischen Darstellung der eigenerlebten Geschichte in Gestalt der szenischen Reinszenierung wichtiger Kommunikationssituationen in direkter Rede und parabelgleichen Anekdoten auf. Es ist nachgerade erstaunlich, wie die Menschen trotz der vielfältigen Schwierigkeiten und Leidenserfahrungen in ihrem Leben einen solch „spielerischen Umgang“ mit ihren lebensgeschichtlichen Erfahrungen entwickeln. Hier kommen natürlich das Fortbestehen gewisser Elemente der oralen Erzähltradition und der entsprechenden Stilmittel, die anscheinend noch aus der Kolonialzeit herrühren (vgl. Lockart 1991), zum Zuge.

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  18. Die Polygamie war bei den Otomi im Untersuchungsgebiet traditionell kulturell akzeptiert. M. Nadig (a.a.O.) erklärt das Bestreben des Mannes ‚ Kinder von verschiedenen Frauen zu haben, als Ausdruck des vorherrschenden Machismo (Kult der männlichen Überlegenheit): Der Mann bestätige seine Männlichkeit in der Frauenbeziehung. Der sichtbare Ausdruck seiner Potenz seien die Kinder, die aus seinen Frauenbeziehungen entstehen. Im Rahmen meiner Feldforschung wurden mir Anekdoten über frühere lokale Kaziken erzählt, die die These der Bestätigung der Männlichkeit durch Kinderreichtum aus Verbindungen mit unterschiedlichen Frauen unterstützen. Der Kinderreichtum dieser Kaziken wurde als Symbol für deren Macht beschrieben. Ein Ausdruck der Modernisierung der lokalen Otomi-Gemeinschaften ist die allmähliche Verschiebung der Werteorientierungen dahingehend, daß die Formen der Polygamie zunehmend moralisch diskreditiert werden. Das hat natürlich auch mit dem Umstand zu tun, daß durch die Veränderung der ökonomischen Rahmenbedingungen es gleichsam unmöglich geworden ist, mehrere Familien zu unterhalten bzw. der gleichwohl auch kulturell erwarteten Versorgungsverpflichtung nachzukommen. San Pedro gilt heute allerdings in der Region als ein Dorf, in dem die Polygamie immer noch weit verbreitet ist. Die Tatsache, daß einige Männer dort mehrere Frauen haben, begründet jedenfalls in der Region entscheidend den Ruf des Dorfes. Die Männer, die mir davon berichteten, haben selber ein ambivalentes Verhältnis zur Polygamie. Selbstverständlich sind sie für die damit symbolisierte Macht der Männer empfänglich und kokettieren mit der potentiellen Möglichkeit bzw. lassen durchblicken ‚ selber mehrere Frauen zu haben. Gleichzeitig sind sie sich aber dessen bewußt, daß die polygame Praxis in den Lokalgesellschaften heute ökonomisch und moralisch problematisch geworden ist. Im übrigen lehnen beide vor Ort tätigen Kirchen die Polygamie ab.

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  19. Mauricio hebt mit seiner Formulierung vom lasterhaften Leben insbesondere auf den Konsum des traditionellen alkoholischen Getränkes Pulque durch die Dorfbewohner ab. Durch den exzessiven Alkoholkonsum würden die Familienväter die knappen finanziellen Ressourcen auf Kosten der Existenzsicherung der Familie verausgaben. Außerdem würden ihre Arbeitsleistungen davon beeinträchtigt.

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  20. Innerhalb des Lebenszusammenhanges der von mir untersuchten Otomi-Gemeinschaften ist es außergewöhnlich, wenn ein junger Familienvater weiter die Schule besucht. Nach dem allgemein geteilten Verständnis ist die Heirat und Familiengründung vielmehr gleichbedeutend mit dem Ende aller Ambitionen und Möglichkeiten, weiter zur Schule zu gehen. In vielen Interviews, die ich erhoben habe, symbolisiert die Heirat vor Abschluß der schulischen und beruflichen Ausbildung den Rückfall bzw. das Verharren im Teufelskreis der Armut, die Fortsetzung des ewig gleichen Schicksals. Wenn Jorge nun trotz seiner Heirat, seine schulische Ausbildung weiterführt, hat das nicht nur mit der Unterstützung durch den Vater zu tun, sondern zeigt auch seine außergewöhnliche Entschiedenheit, sein biographisches Handlungsschema trotz widriger Umstände zu realisieren. (Jorge selber weist in einem biographischen Kommentar auf diese Basisposition hin.)

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  21. Wie aus den unterschiedlichen biographischen Interviews, die ich mit Mitgliedern der Familie führte, und ethnographischen Informationen hervorgeht, beginnt der Aufstieg der Familie Corona zu einer der einflußreichen und wohlhabenden Familien des Dorfes in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts. War noch der Großvater Don Martins ein armer Kleinbauer wie viele andere im Dorf, wurden die vier Söhne- — unter ihnen auch Martins Vater — wirtschaftlich äußerst erfolgreich. Meine Informationen geben Anlaß zu der Vermutung, daß sich die Brüder die Grundkapitalien zur sukzessiven Ausweitung ihres Landbesitzes auf der Basis ihres rationalen wirtschaftlichen Handelns erwarben. Die Einkommen aus der landwirtschaftlichen Produktion (Pulqueverkauf, Verkauf der Mais- und Bohnenernte) wurden nicht nur für den unmittelbaren Verbrauch eingesetzt, sondern es wurden Rücklagen gebildet, mit denen schließlich die Landaufkäufe finanziert wurden. Auf diese Weise erwarben die Brüder einen bedeutenden Landbesitz, der ihren wirtschaftlichen Wohlstand im Vergleich zu den anderen Dorfbewohnern begründete. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg war auch der politische Machtgewinn verbunden. Viele Dorfbewohner, die als Knechte auf den Ländereien beschäftigt waren, befanden sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zu der Familie Corona. Das heißt, die Brüder sicherten ihren machtpolitischen Einfluß mit Hilfe des traditionellen Patronagesystems ab.

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  22. Die Agentes Pastoral sind laienkirchliche Mitarbeiter, die in der Pfarrei von Pedregal später sogar mit ursprünglich priesterlichen Aufgaben betraut wurden wie die theologische und praktische Vorbereitung der Gläubigen auf die Taufe, Erstkommunion und Heirat.

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  23. Davon berichtet etwa der Priester Leonardo, mit dem ich ein Interview über dessen Priesterzeit in der Pfarrei von Pedregal führte. Er selber arbeitete in El Fresno eng mit Don Martin zusammen.

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  24. Wie mir aus zusätzlichen ethnographischen Informationen bekannt ist, ist ihm von einigen Dorfbewohnern vorgeworfen worden, daß seine persönliche Lebensführung teilweise seinen öffentlich vertretenen moralischen und religiös legitimierten Prinzipien widerspricht. Sein zeitweiliger Rückzug aus den ortskirchlichen Angelegenheiten kann also auch damit im Zusammenhang stehen.

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  25. Darauf weist auch der Priester in dem Interview, das ich mit ihm führte, hin.

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Appel, M. (2001). Die biographische Dimension des kulturellen Veränderungsprozesses bei den Otomi. In: Indianische Lokalkultur und gesellschaftlicher Wandel in Mexiko. Biographie und Gesellschaft, vol 29. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93268-6_5

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-93268-6_5

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