Skip to main content

Der Citoyen und die Selbstverwaltung des 19. Jahrhunderts

  • Chapter
Engagierte Bürgerschaft

Part of the book series: Bürgerschaftliches Engagement und Nonprofit-Sektor ((BENPS,volume 1))

Zusammenfassung

„Daß die Selbstverwaltung nützlich, notwendig, unentbehrlich sei, darüber ist alles einig; aber was hier eigentlich ist, worauf ihr Wesen beruht — darüber ist alles uneinig.“ Die Vieldeutigkeit des Begriffs der Selbstverwaltung, die hier kein geringerer als Hugo Preuß (1914: 199) in seinem Handbuchartikel über die „Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland“ beklagt, hat historisch-politische Gründe (Mettele 1993: 343ff.). Wenn für die Liberalen des frühen 19. Jahrhunderts und des Jahres 1848 die Idee der Selbstverwaltung eine zentrale politische Forderung war, so meinten sie damit freilich etwas völlig anderes als der Rechtstheoretiker Rudolf von Gneist, der sich eine Generation später für eine „obrigkeitliche Selbstverwaltung“ aussprach und den kommunalen Bereich, dem allein die Selbstverwaltung in diesem Konzept vorbehalten blieb, als die „Verwaltung von Straßen und Rinnsalen, Allmenden und Hospitälern und solchen Dingen“ abwertete (zit. nach Heffter 1950: 739). Die Anziehungskraft der Idee der Selbstverwaltung, die von den Parteien rechts und links grundsätzlich bejaht wurde, reicht sogar noch so weit, daß auch die Nationalsozialisten es fur angebracht hielten, das geistige Erbe des Freiherm vom Stein, dessen Name in der Regel mit der Idee der Selbstverwaltung verbunden ist, fur die nationalsozialistische „Deutsche Gemeindeordnung“ in Anspruch zu nehmen, wo jedoch jede echte Selbstverwaltung radikal beschnitten wurde (Matzerath 1978: Iff). Hinzu kommt die bemerkenswerte Tatsache, daß gerade der Freiherr vom Stein, dessen Reformwerk in der Regel als der Anfang der neueren deutschen Selbstverwaltung gih, das Wort selbst überhaupt nicht kannte. Was er in seiner altväterlichen und moralistischen Sprache formulierte, etwa in der Nassauer Denkschrift, waren formelhaft wiederkehrende Wendungen, die einem sehr viel breiteren Ansatz verpflichtet schienen. Da war die Rede von der „Belebung des Gemeingeistes und Bürgersinnes“, von der „Teilnahme der Nation an Gesetzgebung und Verwaltung“, den in verschiedenen „Selbsttätigkeiten der Nation“ oder von den „Kräften der Nation“(Unruh 1981: 62f), denen eine freie Tätigkeit und eine Richtung auf das Gemeinnützige zu geben sei. Damit kam das Ethos der Selbstverwaltungsidee hinter allen verwaltungstechnischen Organisationsfragen ans Licht, auch wenn die Selbstverwaltung nur auf den provinzialen und kommunalen Bereich beschränkt bleiben sollte. Als Schlagwort erscheint der Begriff der Selbstverwaltung erst in den 1840er Jahren, nachdem das Wort in einem Gesetzestext zum ersten Mal 1816 in der Konstitutionsergänzungsakte der Stadt Frankfurt/Main formuliert wurde. Dort heißt es: „Alle der[…] Stadt Frankfurt zustehenden Hoheits- und Selbstverwaltungsrechte[…] beruhen auf der Gesamtheit ihrer christlichen Bürgerschaft,“ (Mettele 1993: 343) Damit ist zugleich ein Hinweis gegeben, daß die Idee der Selbstverwaltung ihre Wurzeln nicht nur in Aufklärung und Revolution, sondern auch in der Tradition stadtbürgerlicher Freiheiten hat.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Subscribe and save

Springer+ Basic
$34.99 /Month
  • Get 10 units per month
  • Download Article/Chapter or eBook
  • 1 Unit = 1 Article or 1 Chapter
  • Cancel anytime
Subscribe now

Buy Now

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 49.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 64.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Similar content being viewed by others

Literaturverzeichnis

  • Brandt, H. (1978): Ansätze einer Selbstorganisation der Gesellschaft in Deutschland im 19. Jahrhundert. In: Gesellschaftliche Strukturen als Verfassungsproblem. Intermediäre Gewalten, Assoziationen, Öffentliche Körperschaften im 18. und 19. Jahrhundert. Beihefte zu „Der Staat“. Zeitschrift ftir Staatslehre, Öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte. Heft 2, S. 51–67

    Google Scholar 

  • Faber, K.-G. (1965): Die kommunale Selbstverwaltung in der Rheinprovinz im 19. Jahrhundert. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 30, S. 132–151

    Google Scholar 

  • Gall, L. (1976): Liberalismus und „bürgerliche Gesellschaft“. Zu Charakter und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland. In: ders. (Hg.) Liberalismus. Köln: Kiepenheuer&Witsch, S. 126–186

    Google Scholar 

  • Gall, L. (1991): Das liberale Milieu. Die Bedeutung der Gemeinden ftir den deutschen Liberalismus. In: Liberalismus und Gemeinde. 3. Rastatter Tagung zur Geschichte des Liberalismus am 10./11. November 1990. Sankt Augustin, S. 17–34

    Google Scholar 

  • Gall, L. (Hg.) (1993): Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modernen Gesellschaft. Beihefte zur Historischen Zeitschrift, Bd. 16 Hardtwig

    Google Scholar 

  • Wolfgang (1981): Politische Gesellschaft und Verein zwischen aufgeklärtem Absolutismus und der Grundrechtserklärung der Frankftirter Paulskirche. In: Birtsch, G. (Hg.): Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte. Beiträge zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte vom Ausgang des Mittelalters bis zur Revolution von 1848. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht, S. 336–358

    Google Scholar 

  • Heffter, H. (1950): Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Stuttgart: Koehler

    Google Scholar 

  • Hein, D. (1990): Badisches Bürgertum. Soziale Struktur und kommunalpolitische Ziele im 19. Jahrhundert. In: Gall, L. (Hg.): Stadt und Bürgertum im 19. Jahrhundert. München: Oldenbourg, S. 65–96

    Google Scholar 

  • Hettling, M. (1990): Reform ohne Revolution. Bürgertum, Bürokratie und kommunale Selbstverwaltung in Württemberg von 1800 bis 1850. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht

    Google Scholar 

  • Koch, R. (1983): Staat oder Gemeinde? Zu einem politischen Zielkonflikt in der bürgerlichen Bewegung des 19. Jhs. In: Historische Zeitschrift 236, S. 73–96

    Google Scholar 

  • Koselleck, R./Spree, U./Steinmetz, W. (1991): Drei bürgerliche Welten? Zur vergleichenden Semantik der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland, England und Frankreich. In: Puhle, H. J. (Hg.): Bürger in der Gesellschaft der Neuzeit. Wirtschaft — Politik — Kultur. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht, S. 14–58

    Google Scholar 

  • Langewiesche, D. (1989): „Staat“ und „Kommune“. Zum Wandel der Staatsaufgaben in Deutschland im 19. Jahrhundert. In: Historische Zeitschrift 248, S. 621–635

    Google Scholar 

  • Lipp, C. (1986): Verein als politisches Handlungsmuster. Das Beispiel des Württembergischen Vereinswesens von 1800 bis zur Revolution 1848–1849. In: Francois, E. (Hg.), Sociabilité et Société en France, en Allemagne et en Suisse, 1750–1850. Paris, S. 275–296

    Google Scholar 

  • Matzerath, H. (1978): Nationalsozialistische Kommunalpolitik: Anspruch und Realität. In: Die alte Stadt. Zeitschrift ftir Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege, Jg. 5, S. 1–22

    Google Scholar 

  • Mettele, G.(1993): Verwalten und Regieren oder Selbstverwalten und Selbstregieren ? In: Gall, L. (Hg.): Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modernen Gesellschaft. München: Oldenbourg, S. 343–365

    Google Scholar 

  • Nolte, P. (1991): Gemeindeliberalismus. Zur lokalen Entstehung und sozialen Verankerung der liberalen Partei in Baden 1831–1855. In: Historische Zeitschrift Bd. 252, S. 57–93

    Google Scholar 

  • Nolte, P. (1992): Bürgerideal, Gemeinde und Republik. „Klassischer Republikanismus“ im frühen deutschen Liberalismus. In: Historische Zeitschrift Bd. 254, S. 609–656

    Google Scholar 

  • Nolte, P. (1994): Gemeindebürgertum und Liberalismus in Baden 1800–1870. Tradition, Radikalismus, Republik. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht

    Google Scholar 

  • Preuß, H. (1914): Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland. In: Laband, P. u.a. (Hg.): Handbuch der Politik. Bd. 1

    Google Scholar 

  • Reichardt, R. (1978): Die revolutionäre Wirkung der Reform der Provinzialverwaltung in Frankreich 1787–1791. In: Hinrichs, E./Schmitt, E.A Iierhaus, R. (Hg.): Vom Ancien Régime zur Französischen Revolution. Forschungen und Perspektiven. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht, Bd. 55, S, 66–124

    Google Scholar 

  • Rotteck, K. von (1843): Gemeindeverfassung. In: Rotteck, K. vonAVelcker, K. Th. (Hg.): Staats- Lexikon oder Encyclopädie der Staatswissenschaflen. Bd. 6. Altona, S. 428–435

    Google Scholar 

  • Sedatis, H. (1979): Liberalismus und Handwerk in Südwestdeutschland. Wirtschafls- und Gesellschaflskonzeptionen des Liberalismus und die Krise des Handwerks im 19. Jh. Stuttgart: Klett-Cotta

    Google Scholar 

  • Thamer, H.-U. (1983): Emanzipation und Tradition. Zur Ideen- und Sozialgeschichte von Liberalismus und Handwerk in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Schieder, W. (Hg.): Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vormärz. Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht, S. 55–73

    Google Scholar 

  • Unruh, G.-Chr. (1981): Ursprung und Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung im frühkonstitutionellen Zeitalter. In: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis. Bd. 1, Heidelberg 1981, S. 57–70

    Google Scholar 

Download references

Authors

Editor information

Annette Zimmer Stefan Nährlich

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2000 Leske + Budrich, Opladen

About this chapter

Cite this chapter

Thamer, HU. (2000). Der Citoyen und die Selbstverwaltung des 19. Jahrhunderts. In: Zimmer, A., Nährlich, S. (eds) Engagierte Bürgerschaft. Bürgerschaftliches Engagement und Nonprofit-Sektor, vol 1. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-92316-5_15

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-92316-5_15

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-8100-2289-9

  • Online ISBN: 978-3-322-92316-5

  • eBook Packages: Springer Book Archive

Publish with us

Policies and ethics