Zusammenfassung
Es war oben die Rede von strukturellen und inhaltlichen Einschränkungen, die Auswahl, Anordnung und in der Konsequenz den Stellenwert von Information im Text (als Antwort auf eine Quaestio) betreffen, und das könnte den Eindruck hervorgerufen haben, die Zahl der möglicherweise verschiedenen Texte, die dieselbe Quaestio beantworten, sei infolge der genannten Einschränkungen nur noch sehr gering. Dieser Eindruck wäre unbeabsichtigt und sicher unzutreffend. Es ist sogar eher anzunehmen, daß dieselbe Person auf dieselbe Frage — zum Beispiel Wie muß ich gehen, um zum Schloß zu kommen? — bei verschiedenen Gelegenheiten keineswegs dieselben Texte produziert. Und noch geringer ist die Wahrscheinlichkeit identischer Texte bei verschiedenen Personen, was sich auch in den Korpora klar zeigt. Das ist ein Gemeinplatz, und es ist auch ein Gemeinplatz, daß diese Variation ihren Hintergrund darin hat, daß Wortwahl und Aufbau eines Textes von viel mehr Gegebenheiten bestimmt sind als von den erwähnten Einschränkungen. Daß die Variation hier überhaupt zur Sprache kommt, ergibt sich aus methodischen Überlegungen, denen wir einige grundsätzliche Positionsaussagen voranstellen. Zu systematischen, zusammenhängenden und überprüfbaren Erkenntnissen braucht es nach allgemeinem Konsens das spekulative Moment, das neue synthetische Urteile erzeugt8, und das empirische Moment, das deren Vereinbarkeit mit den Beobachtungsdaten prüft. Beides muß sein; ein rein induktives Vorgehen führt ebensowenig zu gesicherter Erkenntnis wie ein rein spekulatives. Das schließt nicht aus, daß mal mehr Spekulation, mal mehr systematische Überprüfung stattfindet, je nach Gegenstand der Untersuchung und je nach Umfang und Genauigkeit schon vorhandener einschlägiger Kenntnisse. Ist zum Beispiel der Gegenstand der Untersuchung der Beobachtung selbst nicht unmittelbar zugänglich, wie etwa Abläufe menschlicher Geistestätigkeit, so entsteht mehr Erfordernis empirischer Absicherung, weil das Beobachtete auch von intervenierenden Gegebenheiten beeinflußt sein kann und damit die Sicherheit der Schlüsse, die die Beobachtungen zulassen, sinkt. In dem Maße, wie dem entgegengewirkt werden muß, steigen die Anstrengungen der empirischen Überprüfung, die Balance verschiebt sich kurz- oder längerfristig in diese Richtung und das spekulative Moment rückt an den Rand des Geschehens. In keinem Fall aber gibt es Erkenntnisfortschritte ohne neue Ideen.
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Literatur
Referentielle Besetzung heißt im Quaestio-Modell die jeweils aktuelle Referenz. Vgl. Kohlmann et al. (1989).
Vgl. auch v. Stutterheim & Klein (1989: 49).
Der im folgenden betrachtete Text ist eine von einer Serie von Nacherzählungen, die mit Material und nach Verfahren erhoben wurden, die im Zweitsprachenerwerbsprojekt der European Science Foundation (ESF-Projekt) entwickelt worden sind und mit denen mittlerweile Datenerhebungen in ca. zehn Sprachen vorliegen; vgl. Perdue (1984). Der Text stammt von einer ca. 60jährigen Deutschen.
Es wurde gelegentlich auf eine Einschränkung dieses Prinzips hingewiesen, die darin besteht, daß eine modalisierte Proposition nicht im Skopus derselben Modalisierung liegen kann, die sie selbst aufweist. Genauer müßte es heißen, daß eine Modal-Referenz nicht im Skopus einer lesartgleichen Modal-Referenz derselben semantischen Modalkategorie (Möglichkeit bzw. Notwendigkeit) liegen darf; vgl. zu weiteren einschlägigen Beobachtungen auch Wunderlich (1980: 33–34). Dort wird u.a. festgestellt,daß epistemisch relativierte mod-p nicht dem Rekursivitätsprinzip folgen. Darin kann eine weitere Bestätigung dafür gesehen werden, Epistemik gar nicht als Lesart aufzufassen, womit außerdem auch das Rekursivitätsprinzip aufrechterhalten bleiben kann.
Frei nach „Welt im Spiegel“, November 1972.
Wie gesagt, ist das stark verkürzt. Mehr über diese Bedeutungsanalyse des Präsens ist in Kap. 4 von Bhardwaj, Dietrich & Noyau (1988) und über die angedeutete Rahmentheorie in Klein (1991) enthalten.
Vgl. Friedrich der Große (1912: 218).
Das Bild ist das erste aus der Serie „Hier fällt ein Haus, dort steht ein Kran, und ewig nagt der Baggerzahn oder Die Veränderung der Stadt“ von Jörg Müller (1976).
Einzelheiten zur Anlage und Durchführung des Interviews enthält Senft (1981: Kap. 3). Das Beispiel findet sich im Anhang S. 70.
Zu den Bedeutungsunterschieden zwischen if und when vgl. wiederum Kratzer (1988).
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Dietrich, R. (1992). Analysen. In: Modalität im Deutschen. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-90759-2_7
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