Zusammenfassung
Das Profil der neueren Diskussion über die Rolle der Sozialwissenschaften im gesellschaftlichen Wandel bildet sich zu Beginn der 80er Jahre heraus — vor dem Hintergrund des Abklingens der gesellschaftspolitischen Reformeuphorie der 70er Jahre, die einer empfindlichen Ernüchterung über Möglichkeiten und Reichweite der Anwendung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse Platz gemacht hat, bei gleichzeitig voranschreitender „ Versozialwissenschaftlichung“ problemorientierter Diskurse in vielen gesellschaftlichen Praxisbereichen. Zum einen ‚Verlieren‘ sich Ende der 70er Jahre die heftigen Debatten um die Leitformeln „Gestaltung“ und „Diagnostik“ wie auch die Auseinandersetzung um das Postulat gesellschaftstheoretisch begründeter oder schlicht als parteilich sich verstehender politisch interessierter Sozialforschung, zum anderen rücken immer mehr ausgebildete Sozialwissenschaftler in die Praxis ein — und machen Sozialwissenschaften ‚praktisch‘.4 Ungeachtet der Ernüchterung — die zu einem Gutteil wohl als ‚Ent-Täuschung‘ zu verbuchen war, die aber auch als ‚Enttäuschung‘ bekundet wurde — provozierte der Anstieg von Begleit- und Evaluationsforschung und die sich ausweitende Beratungstätigkeit seitens der Sozialwissenschaftler in unterschiedlichsten Praxisfeldern wie last, not least das zunehmende berufliche Engagement von Sozialwissenschaftlern in Verbänden, Betrieben und Verwaltung, die Wahrnehmung von Unübersichtlichkeit und Unsicherheit bezüglich wissenschaftlicher Identität und Professionalität des Tuns von Sozialwissenschaftlern in der Gesellschaft außerhalb des engeren Hofbereiches der Wissenschaft selbst.
Der Soziologe kann nicht lehren, aber welche Freude für ihn, wenn er das Gefühl hat, den Akteuren dazu verholfen zu haben, daß sie verstehen, was geschieht. Wehe ihm, wenn er glaubt, inspirieren und dirigieren zu können. — Alain Touraine2
Macht Soziologie noch Sinn? — Peter L. Berger 3
Die folgende Darstellung greift in einigen Passagen auf den Text des Forschungsantrages „Zum Wandel des Verhältnisses von sozialwissenschaftlicher Forschung und gesellschaftlicher Praxis — Institutionelle Differenzierung und Anwendungsbezöge der Sozialwissenschaften“ (Schmidt 1996) zurück. An der Formulierung dieses Antrages sind Aida Bosch und Clemens Kraetsch wesentlich beteiligt gewesen.
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Literatur
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Schmidt, G. (1999). Nachfrage und Angebot im Widerspruch — Anmerkungen zur anhaltenden Problematik des Anwendungsbezuges von Soziologie. In: Bosch, A., Fehr, H., Kraetsch, C., Schmidt, G. (eds) Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis. Deutscher Universitätsverlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-88945-4_1
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