Zusammenfassung
Die Diskussion um Transnationalisierung, Globalisierung und Europäisierung hat eine vielfältige Forschungsliteratur auch zu Interessenverbänden und sozialen Bewegungen hervorgebracht. Dabei sind die Diskussionen, obwohl sie sich auf ähnliche Phänomene beziehen,1 erstaunlich wenig aufeinander bezogen. Drei Hauptströmungen lassen sich unterscheiden: die Forschung zu transnationalen Nicht-Regierungsorganisationen (Kap. 2.1.1), die Untersuchung von Lobbying in der EU einschließlich des Lobbyings durch Vertreter von Gemeinwohlinteressen (Kap. 2.1.2) und Forschung zu Protest jenseits des Nationalstaates (Kap. 2.1.3). Diese Forschungsströmungen sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden, um dann vor diesem Hintergrund die vorliegende Studie zu verorten.
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Nicht nur die Phänomene sind ähnlich, zu einem erheblichen Teil handelt es sich auch um die selben Personen, die sich auf europäischer Ebene und globaler Ebene, also bei den Vereinten Nationen (UN) engagieren. Nach Schätzung eines Interviewpartners, der hier anonym bleibt, arbeiten etwa 50 % der auf UN-Ebene engagierten Personen auch zu Themen der EU.
In der Diskussion wird meist nur von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) gesprochen, wobei überwiegend transnationale NGOs gemeint sind. Was genau die Transnationalität ausmacht, ist nicht immer einheitlich. Meist wird sowohl eine länderübergreifende Organisationsstruktur als auch eine Beschäftigung mit transnationalen Themen gefordert. Dies kann für einzelne Organisationen (Definition der UN ECOSOC bis 1996, vgl. Roth 2000: 8) oder Netzwerke (Janett 1997: 146f.) gelten.
Vgl. die Überblicke bei Roth (2000) und speziell mit Blick den Umweltbereich Brand (2000), sowie die Sammelbände von Altvater u.a. (1997), Brunnengräber u.a. (2001), Walk/Böhme (2002), Weiss/ Gordenker (1996) und die Sonderausgaben der Zeitschriften Comparativ (Heft 4, 1997), Millenium (Heft 3, 1992) und des Forschungsjoumals Neue Soziale Bewegungen (Heft 2, 1996 und Heft 1, 2002). Speziell zu TNGOs im Umweltbereich Princen/Finger (1994a).
Rucht schlägt daher vor, den Begriff aus dem soziologischen Vokabular zu streichen (1996b: 31). Ein Klärungsvorschlag findet sich bei Kriesberg (1997). Vgl. auch Smith u.a. (1997), die sich auf transnationale Bewegungsorganisationen konzentrieren.
Arts kommt in seiner Studie über 18 Fälle von Verhandlungen auf UN-Ebene im Bereich Klimaschutz und Biodiversität ebenfalls zu diesem Ergebnis (1998: 242).
Vgl. Furtak (2001), Greenwood (1997), Greenwood/Ronit (1994), Greenwood/Aspinwall (1998), Lahusen/Jauß (2001), Mazey/Richardson (1997; 1998) und van Schendelen (1993). Erste Studien wurden bereits kurz nach Gründung der Europäischen Gemeinschaft vorgelegt (Haas 1958; Kriesberg 1960).
Ansatzweise beleuchten dies Hey/Brendle (1994, insbesondere 432 ff.).
Von Rootes (2000b) wurden Probleme mit europäischer Umweltarbeit nicht erhoben.
In der Studie sind Deutschland, Großbritannien, Niederlande und Spanien berücksichtigt.
Für Deutschland Hey/Brendle (1994: 159ff.), für Großbritannien (1994: 207ff.).
Dass es seit der Erhebung von 1990 erhebliche Veränderungen gab, unterstrich auch Christian Hey selbst im Interview (16.1.2001, Brüssel).
Zu den Seattle-Protesten vgl. Epstein (2000), und Schlote (2000); zu einer umfassenderen Perspektive auf den Zusammenhang von Globalisierung und Protest auch Rucht (2000a; 2001d).
Vgl. Imig/Tarrow (2000), Klandermans (1999), Kolb (2000), Reising (1999) und Rucht (2000b; 2002).
Vgl. Roose (1999), Rootes (2000b), Rucht (2000b: 194ff.; 2001b).
Offen bleibt, welche Instanz dann entscheidet, ob ein Protestinhalt europäisch ist oder nicht. Diese Begriffsdefinition hätte den paradoxen Effekt, dass bei einer Verlagerung von Kompetenzen auf die europäische Ebene sich der Protest zwangsläufig europäisiert. Dies wäre auch dann der Fall, wenn die Protestakteure ihr Protestverhalten nicht ändern und gar nicht realisieren, dass ihre Protestthemen nun europäisch geregelt werden.
Vgl. auch zur internationalen Dimension von Protesten in Deutschland Neidhardt/Rucht (1999) und Rucht(1998c).
Die Daten zu Umweltprotesten werden mit leicht modifizierter Erhebung in Kapitel 6.1.1 ausführlich dargestellt.
Für diese Untersuchung operationalisieren Imig und Tarrow europäischen Protest so, dass in der Meldung „an institution or policy of the EU had to be mentioned in the first sentence“ (2000: 83).
Für eine Ausnahme vgl. die Arbeiten von Klandermans und de Weerd, die niederländische Landwirte zu der Bereitschaft befragen, an Protesten gegen EU-Politik teilzunehmen. Dabei konzentrieren sich die Autoren auf die Möglichkeiten des Framing (Klandermans/Weerd 1999; 2000; Weerd/ Klandermans 1999).
Vgl. dazu Anhang A.5.
So auch die Kritik von Koopmans und Statham (1999), die zusätzlich das öffentliche Vertreten von Positionen (claims making) zum Gegenstand der Analyse machen. Vgl. auch Rucht (2001c)
Zur Diskussion des Bewegungsbegriffs vgl. della Porta/Diani (1999: 13ff.), Kriesi (1987), Neidhardt/Rucht (1991), Raschke (1987) und Tarrow (1998: 4f). Zur Operationalisierung dieser und weiterer Definitionen vgl. Kap. 3.8 und Anhang A.2.
Zum Formwechsel von einer Bewegung hin zu einem Verband, also einer organisatorischen Institutionalisierung einer Bewegung, vgl. Rucht (1999a) und Rucht/Roose (2001d).
Auf die Ausnahmen (Hey/Brendle 1994; Ward/Lowe 1998b) hatte ich oben hingewiesen.
Protest wird gerade im TEA-Projekt sehr weit definiert (vgl. Anhang A.2). Es handelt sich also keineswegs um eine sehr enge Beschränkung, wohl aber um eine entscheidende.
Hier liegt der zentrale Unterschied zu Rootes’ Diskussion über eine europäische Umweltbewegung (2000b). Um von einer „europäischen Umweltbewegung“ reden zu können, müsste diese Bewegung nach dem vorliegenden Begriffsverständnis (das Rootes in zentralen Aspekten teilt) auch Protest einsetzen. Die „Europäisierung nationaler Umweltbewegungen“, wie sie hier untersucht werden soll, erfordert dagegen aus definitorischer Sicht lediglich, dass die Bewegungen auf nationaler Ebene weiterhin Protest einsetzen und auf europäischer Ebene in beliebiger Weise aktiv werden.
Eine ähnliche Perspektive wählen Hellferich/Kolb (2001), die eine Kampagne der European Women’s Lobby untersuchen.
Zentrale Texte des Forschungsansatzes sind Kitschelt (1986), Koopmans (1995), Kriesi u.a. (1992; 1995), McAdam (1996; 1999), Rucht (1994a: 291ff. und 479ff; 1998a), Tarrow (1998). Vgl. auch die Diskussion im Sociological Forum, Vol. 14(1), 1999.
Vgl. zu dieser Unterscheidung Cohen (1985), Koopmans (1995: 17ff.), Raschke (1988: 109ff.) und Rucht (1988b; 1994a: 82ff).
Vgl. etwa Kriesi et al. (1995), Kriesi/Giugni (1996), della Porta (1996) und Rucht (1996a).
Die Variablen sind: potenzielle Verbündete, die Möglichkeit formeller und informeller Einflussnahme sowie die soziale Stabilität der zu mobilisierenden Bevölkerungsgruppe.
So etwa Neidhardt/Rucht (1991: 444f.), Gamson (1996: 275), Opp (1996a), Rucht (1994a: 307).
Vgl. auch Touraine (1988; 1998).
Ähnlich auch Koopmans (1999).
Dies widerspricht im Übrigen auch der Lesart von McAdam (1996), dass der Ansatz von Rucht mit den Ansätzen von Tarrow, Brockett und Kriesi u.a. weitgehend übereinstimme.
Hier und im Folgenden ist mit Umwelt nicht allein die natürlich Umwelt, sondern alles dem Akteur Äußerliche gemeint.
Damit ähnelt das Konzept der Kontextstruktur bei Rucht dem Situationsbegriff, wie er in handlungstheoretischen, insbesondere interaktionistischen, Ansätzen benutzt wird (vgl. Esser 1996; Strübing 2002). Die zweite Bedingung der Kontextstruktur bei Rucht (1994a: 305) findet sich ebenfalls in der interaktionistischen Diskussion zur Handlungssituation, nämlich die Erhebung der wahrgenommenen Situation. Diese Forderung wurde berühmt im Thomas-Theorem formuliert (Thomas/ Thomas 1932:572).
Tilly (1995b) geht eher von einer Lerntheorie aus, bei der die Akteure durch Versuch und Irrtum ihr Handeln den Strukturen anpassen. Dies käme im Mechanismus einem evolutionären Prozess gleich.
Die Annahme dieses ungerichtet variierenden Verhaltens muss nicht zwangsläufig individuelle Akteure voraussetzen, die ohne jedes Nachdenken handeln. Plausibel könnte auch von Akteuren ausgegangen weiden, die zwar ihr Handeln bewusst abwägen, allerdings aufgrund stark unterschiedlicher Weltvorstellungen, Informationszugänge, Ressourcenausstattungen etc. zu so unterschiedlichen Wahrnehmungen und Entscheidungen kommen, dass im Aggregat das Resultat eine ungerichtete Variation des Handelns wäre.
Alternativ könnte es zu einer Selektion kommen, die durch das System und nicht die bewusste Entscheidung der Akteure gesteuert ist, was Bedingung für einen evolutionären Prozess im eigentlichen Sinne wäre. Doch ein solcher, akteursunabhängiger Selektionsprozess ist im Fall der Bewegungsakteure nur schwer vorstellbar.
Zur Rational Choice Theorie vgl. Balog (2001: 141 ff.), Treibel (2000: 91 ff.), Wiesenthal (1987).
Es würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen, ausführlich die Gesellschaftstheorien der Soziologie zu referieren und gegeneinander abzuwägen. An dieser Stelle müssen einige kursorische Bemerkungen zur Erläuterung der Wahl von Giddens’ Strukturierungstheorie ausreichen.
So die Verwendung des Begriffs „Structuration“ bei Tarrow (1998: 7). Kriesi (1996: 154ff) bezeichnet mit „Structuration“ die Ausbildung von festen Strukturen. Dabei unterscheidet er „internal structuration“ und „external structuration“. Die internal structuration bezieht sich auf „processes of fomalization, professionalization, internal differentiation and integration“ (154). Dies sind Phänomene, die auch oft mit Institutionalisierung verbunden werden (vgl. Rammstedt 1978; Rucht/Roose 2001d). External structuration bezeichnet bei Kriesi „the integration of an SMO [Social Movement Organization, J.R.] in its organizational environment“ (155). Beide Arten der Strukturierung bezeichnen damit die Verfestigung von Strukturen und Beziehungen. Damit unterscheiden sie sich grundsätzlich von dem hier verwendeten, auf Giddens’ Theorie der Strukturierung beruhenden Begriff von Strukturierung.
Vgl. auch della Porta/Diani (1999), Hellmann (1998), Klandermans (1997), Neidhardt/Rucht (1991) und Tarrow(1998).
Der Structural Strains-Ansatz weist vor allem auf die gesellschaftlichen Bedingungen für die Entstehung von Bewegungen hin und stellt dabei auf die Problemlage ab. (Vgl. zusammenfassend Brand 1998; della Porta/Diani 1999: 24ff.; Hellmann 1998: 17ff.). Objektive Betroffenheit oder eine Zunahme eines objektiven Problems allein kann aber Bewegungen und ihre Aktivitäten nur schwerlich erklären, ist doch, wie Neidhardt bemerkt, „die Geschichte der Gesellschaften (…) eine Geschichte sozialer Bewegungen, die nicht stattgefunden haben — obwohl die Probleme ihrer Gesellschaften gute Gründe zur Mobilisierung gaben“ (1985: 198). Der Structural Strains-Ansatz hilft vor allem, die unterschiedliche Partizipation von gesellschaftlichen Gruppen zu erklären, eine Frage, der hier nicht nachgegangen wird. Auch wird hier vorausgesetzt, dass es Umweltprobleme gibt und dass die Politik, auch die EU-Politik, nicht alle denkbaren Maßnahmen zur Behebung von Umweltproblemen getroffen hat. Eher beispielhaft sei hier auf die Kritik von Hey an der Umweltpolitik der EU hingewiesen (Hey 1994; 1998). Alles weitere, also die Kompromisse zwischen Umweltschutz und anderen Interessen oder die exakte Problemdefinition und-behebung, sind Fragen politischer Aushandlung, zu deren Analyse der Structural Strains-Ansatz kein geeignetes Instrument bietet.
Vgl. dazu insbesondere die Sammelbände von Rucht (1991a), Klandermans et al. (1988), McAdam/ McCarthy/Zald (1996a) sowie Neidhardt/Rucht (1991), Klandermans (1997), Tarrow (1998), McAdam/Tarrow/Tilly (1996b; 2001 ) und della Porta/Diani (1999).
Zentrale Texte dieses Forschungsansatzes sind Gamson (1990), McCarthy/Zald (1977), Jenkins (1983), Garner/Zald (1987), McCarthy (1996). Vgl. auch die Überblicksdarstellungen bei Neidhardt/ Rucht (1991 ) und della Porta/Diani (1999).
Auf die Bedeutung von Vernetzung gerade bei transnationalem Protest weisen auch Keck/Sikkink (1998a; 1998b) hin.
So die Ausgangsbehauptung von McCarthy/Zald (1977: 1215).
Zentrale Texte dieses Forschungsansatzes sind: Benford/Hunt (1995), Gerhards (1992), Gerhards/ Rucht (1992), Snow/Benford (1988; 1992), Snow et al. (1986) und Turner (1969). Vgl. auch zusammenfassend Zald (1996) und den ausführlichen Überblick bei Kliment (1994).
Zum Begriff des Mobilisierungspotenzials vgl. Kriesi (1992).
Die Diskussion um „Staatsknete“, also um die Finanzierung durch ein politisches System, das abgelehnt wird, wäre ein Beispiel, wo erheblicher argumentativer Aufwand notwendig wird, um einen empfundenen Widerspruch zwischen dem Ziel und den Mitteln zu legitimieren.
Zentrale Texte des Collective Identity-Ansatz sind Bader (1991: 104ff.), Calhoun (1991; 1997), Johnston (1994), Lichterman, (1995; 1996), Melucci (1984; 1989) und Rucht (1995). Vgl. auch die Diskussion bei Cohen (1985), Hellmann (1998) und Roth (1998).
Vgl. Larana/Johnston/Gusfiled (1994), Rucht (1995) und Schmidtke (1995).
So beispielsweise bei Larana/Johnston/Gusfiled (1994) und Rucht (1995). Vgl. für die Psychologie auch Frey/Haußer (1987). Die personale Identität, die zum Teil auch als individuelle Identität bezeichnet wird, bezieht sich auf die Einheit einer Person. Die soziale Identität bezieht sich auf das Rollenset, das eine Person ausfüllt (vgl. zur Rollentheorie Kap. 3.2, Fußnote 6). Die kollektive Identität schließlich bezieht sich auf kollektive Akteure.
Die Unterscheidung zwischen neuen und alten sozialen Bewegungen ist nicht abschließend geklärt (vgl. Kriesi 1987), zumal mit diesem Begriff teils bestimmte Bewegungen, teils ein theoretisches Konzept bezeichnet wird. Mit neuen sozialen Bewegungen als empirische Bezeichnung sind in der Regel, wie auch hier, die Bewegungen ab den 1970er Jahren gemeint, also die neue Frauenbewegung, die neue Ökologiebewegung, die Dritte Welt-bzw. Solidaritätsbewegung etc..
Vgl. Johnston/Larana/Gusfield (1994), Kriesi (1987), Melucci (1980; 1989; 1996) und Offe (1987).
Rucht (1995: 10). Vgl. auch die Betonung der Bildung einer Wir-Gruppe bei Neidhardt/Rucht (1993), Rammstedt (1978) und Raschke (1988).
Friedman und McAdam (1992) gehen davon aus, dass die kollektive Identität strategisch eingesetzt werden kann. Bader (1991: 115f.) und Calhoun (1991; 1997) bestreiten diese Möglichkeit.
So Lichterman (1996; 1995), der das enge Zusammenspiel von Identitäts-und Strategieelementen für die US-amerikanische Ökologiebewegung beschreibt. Zur Unterscheidung von instrumentellen und expressiven Bewegungen Rucht (1994a: 82).
Die Hervorhebung von Identitätsaspekten schmälert natürlich nicht die Bedeutung der formulierten Ziele. Selbstverständlich werden die formulierten Probleme in aller Regel von den Bewegungsteilnehmerinnen tatsächlich für Probleme gehalten — und das meist zu Recht.
Etwa Melucci (1996: 68ff.; 1995), Rucht (1995) und Schmidtke (1995).
Cohens Frage nach „Strategy Or Identity“ (1985) muss entsprechend dieser Ausführungen nicht im Sinne eines Strategie und Identität beantwortet werden (Hellmann 1996; 1995), sondern es muss heißen: Strategie ist Identität und Identität impliziert Strategie.
Vgl. illustrierend die Darstellung von Rucht über die Demonstrationen am 1. Mai in Berlin (2001a).
Auch Daltons Konzept der „Ideologically Structured Action“ (1994: 10ff.) betont den Einfluss von Ideologie auf strategische Entscheidungen. Allerdings nimmt er diesen Einfluss nur für Organisationen an, die grundsätzlich die bestehende gesellschaftliche Ordnung in Frage stellen (environmentalists). Konservativere Gruppen dagegen, die in der Tradition des Naturschutzes stehen, kommen nach Daltons Ansicht „closer to the value-free behavior of RM [Resource Mobilization] theory“ (Dalton 1994: 19, vgl. auch 77ff.). Diese Zuordnung von rationalem Handeln zu konservativen Organisationen und ideologiegeleitetem Handeln zu progressiven Organisationen ist allerdings unhaltbar. Selbstverständlich sind auch konservative Gruppen ideologiegeleitet, wenn sie die bestehende Ordnung akzeptieren und tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen ablehnen.
Später machen sie den politischen Charakter in ihrer Definition deutlicher, ohne ihr Verständnis grundlegend zu ändern (McAdam u.a. 2001: 5).
Ob ein solches Vorhaben grundsätzlich Erfolg haben kann, wurde bereits bezweifelt (Lichbach 1997; Seibin 1997).
Eine grundlegende Konzeption der Strukturierungstheorie hat Giddens mit der „Konstitution der Gesellschaft“ vorgelegt (1995). Überlegungen zu dieser Theorie gibt es aber bereits in früheren Büchern (1976; 1979; 1981). Eine Diskussion der Theorie findet sich bei Cohen (1989), Craib (1992) und Joas (1992a), sowie in den Sammelbänden von Clark u.a. (1990) und Held/Thompson (1989).
Der Wissensunterschied zwischen Soziologinnen und den sozialen Akteuren in der Gesellschaft ist ein relativer, es ist kein Verhältnis von Wissen und Nicht-Wissen. Vielmehr führt die Produktion soziologischen Wissens tendenziell zu einer Ausweitung der Kompetenz der sozialen Akteure, wird doch die soziologische Literatur nicht allein von Fachpublikum rezipiert. Damit wird Giddens’ Grundtheorem einer basalen Anforderung an Gesellschaftstheorien gerecht: Die Entstehung von Gesellschaftstheorien muss mit der Theorie selbst vereinbar sein; die Theorie muss also in sich selbst vorkommen können (vgl. etwa Luhmann 1993: 9).
Die Einschränkung „kompetent“ bezieht sich darauf, dass Akteure zunächst in ihrer eigenen Gesellschaft diese Kompetenz haben, ihnen in anderen Gesellschaften dagegen grundlegende Kenntnisse über soziale Regeln fehlen können.
Das Unbewusste bleibt bei Giddens unklar. Entgegen seiner früheren Schriften unterscheidet Giddens bei der Einführung vom „Stratifikationsmodell des Bewusstseins“ zunächst neben praktischem und diskursivem Bewusstsein als Drittes das „grundlegende Sicherheitssystem“ (1995: 92) und nicht etwa das Unbewusste (1979: 24f). Später aber spricht er vom Unbewussten (95ff.); auch in der Einleitung ist vom „potenziell explosiven Inhalt des Unbewussten“ die Rede (37).
Ähnlich ist auch das Erfordernis der Komplexitätsreduktion bei Luhmann (etwa 1993: 45ff., 249ff.; 1989) und das menschliche Grundbedürfnis einer minimalen Erwartbarkeit und Kontrolle der Umwelt in der Kritischen Psychologie zu verstehen (Holzkamp 1983; Holzkamp-Osterkamp 1976: 17ff.). Diese Grundbedürfnisse laufen jeweils auf die Möglichkeit einer rudimentären Erwartbarkeit hinaus, die durch Antizipation zumindest ein mentales Einstellen, gegebenenfalls auch entsprechende vorbereitende Maßnahmen und somit ein Minimum an Umwelt,kontrolle’ erlauben. Vgl. auch die Krisenexperimente von Garfinkel (1963).
Genau diese Wiederholung kann auch im Sinne einer Entlastung als „rational“ bezeichnet werden. Für den Rational Choice-Ansatz bedeutet dies allerdings den Verlust seines spezifischen Erklärungsgehalts, wird doch dann eine Handlung eben nicht mehr durch die Situation und eine rationale Abwägung von Kosten und Nutzen erklärbar. Die Prämisse einer Wahl der jeweils günstigsten Option würde so in die Beliebigkeit erhoben, weil gegebenenfalls gerade der Verzicht auf die Auswahl der günstigsten Option die günstigste Option wäre. Vgl. dazu aber den Lösungsvorschlag von Esser (1999).
Allerdings sind Aussagen über die „Mengenverhältnisse“ von diskursivem und praktischem Bewusstsein kaum sinnvoll möglich sind.
Das Beispiel der Sprache verwendet Giddens (1979: 67) nicht zufällig, sind doch viele seiner Annahmen aus der Sprachphilosophie entnommen (vgl. die zahlreichen Verweise in 1979; 1976).
Diese Darstellung entspricht bereits einer durch Sewells Argumente modifizierten Lesart von Giddens. Sewell kommt zu dem Schluss, daher Ressourcen nicht weiter verweisen zu müssen, sondern schlägt für die Untersuchung von Strukturen eine Beschränkung ausschließlich auf Regeln vor. Damit wird aber meines Erachtens die Bedeutung von Gegenständlichem, was unter Ressourcen gefasst ist, nicht ausreichend gewürdigt.
Vgl. dazu die berühmte Diskussion bei Hegel über Herr und Knecht (1988: 127ff.).
Dies gilt, wie sich leicht vorstellen lässt, für das Ignorieren von Herrschaftsverhältnissen noch in viel stärkerem Ausmaß, um auf das oben genannte Beispiel zurück zu kommen. Wird allerdings ein Herrschafts-und Unterdrückungsverhältnis gleichzeitig von allen oder zumindest fast allen ignoriert, bricht die Herrschaft zusammen.
Vgl. das Werk von Goffman (1971; 1977; 1967) oder Garfinkel (1963; 1967).
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Roose, J. (2003). Forschungsstand und theoretische Bausteine. In: Die Europäisierung von Umweltorganisationen. Studien zur Sozialwissenschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-86892-3_2
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