Zusammenfassung
In der Entscheidungsgesellschaft werden immer mehr Handlungssituationen entscheidungsförmig bewältigt; und dies wird mit hohen Rationalitätsansprüchen verknüpft. Dem steht eine hohe soziale, sachliche und zeitliche Komplexität der Entscheidungssituationen gegenüber, die tendenziell auch noch immer weiter zunimmt. Die Kluft zwischen Komplexität und Rationalitätsanspruch des Entscheidens zeigt sich sowohl in der Qual vor als auch in der Qual nach der Wahl. Je größer die Entscheidungskomplexität ist, desto größer ist erstens die Unsicherheit des Akteurs, wie er sich entscheiden soll; und desto größer ist zweitens sein Risiko, eine Fehlentscheidung zu treffen, die er dann zu verantworten hat.
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Literatur
Siehe als systematische Zusammenstellungen weiterhin March/Simon (1958: 137/138) und Kirsch (1970: 27–42).
In der entscheidungstheoretischen Literatur gibt es verschiedene Vorschläge für eine solche Komponentenanalyse, die in ihren Grundzügen übereinstimmen. Das hier vorgelegte Schema lehnt sich vor allem an Dill (1962: 34–36), Katz/Kahn (1966: 274–282), Biasio (1969: 44–48) und Kirsch (1970: 72–75) an.
Eine empirische Widerlegung der These einer klaren Phasenabfolge findet sich bei Witte (1968). Siehe weiterhin auch Mintzberg et al. (1976).
Siehe Bitz (1981: 287–346) zu „mehrperiodigen Entscheidungsproblemen“.
Dies ist die simpelste Form der Wert-Erwartungs-Theorie (Esser 1999: 247–293).
Zum Folgenden siehe Kirsch (1970: 29/30), Bronner (1999: 9–14), Bamberg/ Coenenberg (2002: 18–27).
Siehe auch Luckmanns (1992: 48–92) phänomenologische Analyse des Handelns mit der Abfolge von Entwurf, Entschluss und Vollzug.
Insbesondere Dietrich Dörners (1989) Experimente zur „Logik des Misslin-gens“zeigen, wie beschränkt der Horizont der meisten Entscheidungen ist.
Siehe auch die Unterscheidung von „Scheitern“auf der ganzen Linie und „Misslingen“als „Scheitern im Kleinen“bei Dimbath (2004: 3/4).
Die psychologischen Voraussetzungen eines besseren Umgangs mit hoher Komplexität werden von Dörner et al. (1983) untersucht. Siehe ferner Gige-renzer/Goldstein (1996) und Gigerenzer/Todd (1999) zu „simple heuristics that make us smart“, sowie Hertwig/Hoffrage (2001) zu „ökologischer Rationalität“. Ob diese psychologischen Merkmale etwa mit sozialer Lage, z.B. Bildungsniveau, korrelieren, ist eine offene Frage. Zwar sind z.B. Frauen offenbar davon überzeugt, bessere Entscheider zu sein (Veeder 1994) — aber wahrscheinlich käme bei einer Befragung von Männern das Umgekehrte heraus (Warum sollten Männer weniger sexistisch sein als Frauen?).
Die im Weiteren eingestreuten Beispiele aus Berufs- und Studienwahlent-scheidungen stammen von den Teilnehmern zweier Seminare, die ich mit Mitarbeitern durchgeführt habe: „Individualisierung — Die Last der Freiheit“(Fernstudienzentrum Steyr, 22.–31.8.2001, mit Ute Volkmann) und „Entscheidungshandeln — am Beispiel biographischer Entscheidungen“(Studienzentrum der FernUniversität in Hagen an der FU Berlin, 19.–21.10.2001, mit Thomas Kron). Siehe zu diesem Feld biographischer Entscheidungen auch Hodkinson/Sparkes (1997) sowie die materialreiche empirische Studie von Dimbath(2003).
Siehe für politische Entscheidungsprobleme Zahariadis (1998: 76). n nur umso deutlicher.
Siehe weiterhin das bekannte Arrow-Paradox der mathematischen Entscheidungstheorie (Bamberg/Coenenberg 2002: 255–263).
Harrison White (1992: 301) konstatiert: „explicit goals or preference order-ings… are appropriate and relevant only to entities which are inertial as well as isolate — angels, in short.“
Für Unternehmer siehe Goold/Quinn (1990). Ferner allgemein zu „unvollständigen Lernzyklen“in Organisationen March/Olsen (1975: 386–396). Insbesondere werden positive Nebeneffekte oft übersehen (Hirschman 1967: 160–188).
Psychologische Experimente zeigen, dass Umtauschrechte den Effekt haben, dass Akteure leichter zum Schlechtreden getroffener Kaufentscheidungen neigen. Man arrangiert sich also schneller mit dem, was irreversibel ist, oder freundet sich sogar damit an (Gilbert/Ebert 2002; Schwartz 2004: 161–163).
Siehe auch Gilboa/Schmeidler (1995: 608).
Siehe z.B. entsprechende Bemerkungen bei Moore/Thomas (1976: 55/56, 122, 195–197). Ein Teil dieser Probleme ließe sich möglicherweise mit Fuz-zy-Logik zumindest reduzieren — siehe den Vorschlag von Kron (2005).
Siehe Conlisk (1996: 683–686) zur Darstellung und Kritik der einschlägigen Argumente, die für die Nichtberücksichtigung von Rationalitätsbegrenzungen gegeben werden.
Unter diesem Titel resümieren Becker et al. (1988) die entsprechenden Forschungslinien der Organisationssoziologie.
Als Vertreter der Gegenseite meint Bronner (1999: 46) zwar versöhnlich: „Die empirische Entscheidungstheorie versteht sich… keineswegs als eine Forschungsrichtung, die stets den Nachweis der Unzulänglichkeit des Menschen führt.“Das ist aber eine entschieden zu freundliche Beurteilung einer Forschungslinie, „in der die Rationalitätsfrage als letztlich irrelevant ausgeklammert wird.“(Kirsch 1994: 114)
Siehe als neueres Beispiel, an dem sich viele der alten Probleme wiederholen, die von Bogumil/Holtkamp (2002) analysierten Sozialraumbudgets.
Es geht hier wohlgemerkt, wie im Kapitel 1 erläutert, stets um prozedurale Rationalität. Im Ergebnis kann sogar ein nicht weiter reflektiertes Nichtstun rational sein, wenn sich etwa durch einen „Cournot-Effekt“(Boudon 1984: 173–179) günstige Umstände entwickeln, die das Problem beseitigen. Auch ein Bauer beispielsweise, der überhaupt nicht gegen Schädlinge auf seinen Äckern vorgeht und dieses Unterlassen auch nicht etwa damit begründet, dass er auf eine natürliche Gegenreaktion setzt, kann das Glück haben, dass ein plötzlicher Wetterwechsel die Schädlinge vernichtet.
Siehe dazu auch die empirischen Befunde bei Payne et al. (1996).
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Schimank, U. (2005). Perfekte und begrenzte Rationalität. In: Schimank, U. (eds) Die Entscheidungsgesellschaft. Hagener Studientexte zur Soziologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80606-2_6
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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