Zusammenfassung
Plato schrieb über seine Tür: «Laß nur Geometer eintreten.» Die Zeiten haben sich geändert. Der größte Teil derer, die heute den Zugang zu Platos geistiger Welt suchen, haben erstens keine Ahnung von Mathematik und zweitens nicht den geringsten Sinn für den Widerspruch in ihrer Nichtbeachtung seiner Anordnung. Die schizophrene Trennung von «Geisteswissenschaft» und «Naturwissenschaft» in unserer Kultur stützt noch das Sicherheitsgefühl dieser Leute. Plato war Philosoph, und Philosophie gehört zu den Geisteswissenschaften, so sicher wie Mathematik zu den Naturwissenschaften gehört.
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Literatur
«Gedankenexperimente» haben in der Naturwissenschaft, besonders der Physik, eine große Rolle gespielt. Diese Experimente würden eine kritischere Haltung nach sich ziehen, wenn sie beim Nachdenken über Erziehung öfter eingesetzt würden.
Hier ist ein Witz intendiert. Leser, die mit Noam Chomskys neuerer Arbeit nicht vertraut sind, verpassen ihn vielleicht. Noam Chomsky glaubt, daß wir ein Spracherwerbsorgan SEO (language acquisition device — LAD) besitzen. Ich glaube das nicht: Das MEO (eigentlich mathematics acquisition device — MAD; Anm. d. Übers.) scheint nicht unwahrscheinlicher als das SEO. Vgl. Noam Chomsky, Reflektionen über Sprache (Frankfurt, Suhrkamp, 1977) bezüglich seiner Ansicht, daß das Gehirn aus spezialisierten neurologischen Organen besteht, die spezifischen intellektuellen Funktionen entsprechen. Ich glaube, die Grundsatzfrage für die Zukunft der Erziehung ist nicht, ob das Gehirn ein «Allzweckcomputer» oder eine Sammlung spezialisierter Organe ist, sondern ob unsere intellektuellen Funktionen auf eine Eins-zu-eins Beziehung zu neurologisch gegebenen Strukturen reduziert werden können.
Es scheint ohne Zweifel festzustehen, daß das Gehirn zahlreiche angeborene «Mechanismen» hat. Aber diese «Mechanismen» sind doch sicherlich viel primitiver, als Namen wie LAD und MAD vermuten lassen. Aus meiner Sicht bedeutet Sprache lernen oder Mathematik lernen, dafür zahlreiche «Mechanismen» einzuspannen, deren ursprünglicher Zweck keine Ähnlichkeit mit den komplexen intellektuellen Funktionen hat, denen sie am Ende dienen.
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Papert, S. (1982). Mathophobie: Die Angst vor dem Lernen. In: Mindstorms. Birkhäuser, Basel. https://doi.org/10.1007/978-3-0348-5357-6_3
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-0348-5357-6_3
Publisher Name: Birkhäuser, Basel
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Online ISBN: 978-3-0348-5357-6
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