Zusammenfassung
Karl Korschs marxistische Sonderstellung im Verhältnis zum Logischen Empirismus reicht zurück in die freistudentische Bewegung, in der er als aktivistischer Theoretiker durch eine „logische Konstruktionsformel“ die innerorganisatorischen Konflikte überwinden will. Beeinflusst vom englischen Positivismus der Fabian Society bietet er in der deutschen Revolution 1918 eine Konstruktionsformel für die Sozialisierung der Volkswirtschaft. Das Scheitern des erhofften sozialistischen Aufbaus führt zur politischen Radikalisierung und Hinwendung zu einer eigenständigen Marxrezeption, aus deren Gedankenwelt er unter Aufnahme Diltheyscher Elemente das Scheitern des Marxismus der Zweiten Internationale erklärt und die Marxschen Feuerbach-Thesen als dialektisches Bindeglied zwischen Empirismus und revolutionärer Aktion im Sinne der Kommunistischen Internationale aufnimmt. Mit dem Sieg des Stalinismus schließt er den Leninismus in die marxistische Kritik mit ein und nähert sich erneut dem logischen Positivismus des Wiener Kreises (Carnap, Reichenbach). Durch den Nationalsozialismus in die Emigration gezwungen bemüht er sich um eine neue Marx-Interpretation, in der er den methodischen Ansatz der konsequenten historischen Spezifizierung als materialistisch-dialektischen Kern einer aufklärenden sozialwissenschaftlichen Forschung sieht.
Die erneute Annäherung an den logischen Positivismus (Unified Science Congress 1939) bleibt am Ende Episode, da aus seiner Sicht weder der Logische Positivismus noch der Marxismus-Leninismus in der realen geschichtlichen Welt tatsächlich weiterführende emanzipatorische Problemlösungen der zentralen Fragen der Menschheit liefern konnten.
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Karl Korschs marxistische Sonderstellung im Verhältnis zum Logischen Empirismus werde ich in den drei abgrenzbaren Entwicklungsphasen seiner philosophischen Positionierungen etwas genauer zu bestimmen versuchen. Dem Schwerpunkt dieses Bandes folgend soll erstens der ideengeschichtliche Ausgangspunkt in der freistudentischen Reformbewegung vor 1914 und ihren Konsequenzen bis etwa 1920 analysiert werden. Zweitens wird der Blick auf die unter diesen spezifischen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen gezeitigten Ergebnisse von Korschs Marxismus-Rezeption im Kontext seines politischen Engagements in der KPD beziehungsweise der wesentlich durch Moskau geprägten Kommunistischen Internationale gerichtet. Schließlich werde ich drittens zur Neureflexion und Wiederaufnahme der Behandlung des Problems der Funktion von Wissenschaft und Philosophie versus Marxismus in der Phase der „Krise des Marxismus“ Ende der zwanziger/Anfang der dreißiger Jahre übergehen. Seine Teilnahme am Internationalen Kongress der Unified Science 1939 in Chicago werde ich kurz kommentieren anhand von Korschs Selbstbewertung des faktisch von Kurt Lewin verfassten Papiers.
1 Jugend und Aktivismus: die vernünftige Gesellschaftsordnung
Der gesellschaftliche Aufstieg durch Bildung und Wissenschaft war für den 1886 letztgeborenen Sohn von sechs Geschwistern durch den ehrgeizigen, geistig ambitionierten Vater vorprogrammiert. Dieser hatte das ostpreußisch bäuerliche Milieu verlassen und war überwiegend durch Selbstbildung zum Gerichtsschreiber avanciert. Für dieses damals durchaus einflussreiche und verantwortungsvolle Amt publizierte er im Selbstverlag einen umfangreichen beruflichen Leitfaden. In Meiningen stieg er auf zum Prokuristen bei der Bank für Thüringen, einer Vorläuferin der späteren Deutschen Bank. Der Sohn dieses bekennenden Atheisten sollte Volljurist werden und es war des Vaters höchster Stolz, dessen gedruckte Dissertation seinem Chef, dem „hochverehrten Herrn Geheimrat“, Bankdirektor Dr. Gustav Strupp, überreichen zu dürfen.Footnote 1
Zu Beginn des Studiums trat der junge Korsch in eine schlagende Verbindung ein, das muss wohl 1906 in München gewesen sein. Ein Foto, das mir seine spätere Frau Hedda Korsch überließ, zeigt ihn in vollem Wichs mit Säbel, Bierseidel in der einen Hand, Tabakspfeife in der anderen. Die wohl kurze Erfahrung dieser Art der Gemeinschaftspflege führte zu konsequent abstinenter Lebensführung und politisch zur entschiedenen Gegnerschaft gegen Korporationen.Footnote 2 1908 gehört Korsch zu den Wiederbegründern der Freien Studentenschaft in Jena, verfasst eine Reihe sozialkritischer Artikel für die ab 1909 erscheinende Jenaer Hochschulzeitung, organisiert eine Reihe von sozialwissenschaftlichen Vorträgen (auch von Sozialdemokraten), beteiligt sich an den jeweiligen Unterabteilungen wie dem Studienamt oder Rudern. Sein Studentenleben ist überwiegend von konzentrierter Lektüre in Anspruch genommen. Am jugendbewegten Serakreis um den Verleger Eugen Diederichs nimmt er gelegentlich zwar teil, aber hier ist eindeutig die entflammte Liebe zu Hedda Gagliardi, seiner späteren Frau, die treibende Kraft. Hedda lebt mit Alexander Schwab, Rudolf Becker und den seit Berliner Wandervogeltagen befreundeten Hildegard Felisch und Ilse Neubart in einer Art Wohngemeinschaft, wo ein prächtiges musisches Leben gepflegt wird, das Karl Korsch eher meidet. Aber er wandert gerne und macht mit der Klicke (so bezeichnete sich die Gruppe) Ausflüge, wo große Reformprojekte besprochen werden wie zum Beispiel die Sommerakademien über das „Problem des Aufsteigens Begabter“ im herkömmlichen Universitätssystem.Footnote 3 Kultur im weitesten Sinne ist für ihn – nach eigener Aussage – nur über Dichtung zugänglich.
Vom Typ her war Korsch eher ein unmusischer, kopfgesteuerter Aktivist. Und so exponiert er sich bei den Freistudenten als scharfzüngiger, logisch versierter Debattenredner im neu entbrannten Streit um die sogenannte Organisationsfrage. Angesichts dieser komplexen Rechtsproblematik die Legitimation einer Organisationsform aller Nichtinkorporierten betreffend, die dem Ganzheitsanspruch einer zukünftigen Vertretung aller Studenten genügen sollte, argumentiert Korsch formallogisch. Er macht die Möglichkeiten freistudentischer Aktivitäten nicht von einem weltanschaulichen Standpunkt abhängig, sondern vom allgemeinen Zweck der Hochschule, nämlich der Förderung des akademischen Gemeinschaftslebens und der Erweiterung der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die freistudentische Organisation ist nur Mittel zur Verwirklichung des freistudentischen Ideals und erweist sich in der tatsächlich existierenden praktischen Arbeit. Damit bleibt, so Korsch, jeder Alleinvertretungsanspruch ausgeschlossen. Tatsächlich konnte sich Korsch mit seiner Argumentation nicht durchsetzen; er wurde als purer Logiker verspottet. Man hielt ihm vor, er wolle die Freistudentenschaft in einen „Verein für metaphysische Methodologie“ (Kranold, 1913, 21) umwandeln. Interessant ist freilich, dass mit der nachfolgenden Studentengeneration in Jena, vor allem durch die Tatkraft Rudolf Carnaps, und der Gründung einer Akademischen Vereinigung als Kulturpartei die Verwirklichung des Ideals der Einigung der gesamten deutschen Studentenschaft aufgegeben wurde.Footnote 4
Korschs Argumentation des reinen Formprinzips basiert nicht nur grundsätzlich auf der erkenntnistheoretischen Ebene der Form-Inhalt-Relation, sondern bezieht sich implizit auf eine wenig rezipierte rechtssoziologisch formierte Differenz zwischen Rechtssubjekt und Rechtszweck, wie sie 1908 von Gustav Schwarz in seiner Schrift „Rechtssubjekt und Rechtszweck“ formuliert worden war. Diese brachte Korsch auch in anderen rechtstechnischen Fragen analog zur Anwendung. Der Sache nach geht es um das Heiligtum der bürgerlichen Gesellschaft: das Eigentum, das der inneren Natur nach, so die herrschende Meinung, an das Rechtssubjekt geknüpft sein soll. Schwarz hält diese theoretische Natur des Rechtssubjekts als Idee für haltlos. Was einer bestimmten Vermögensgesamtheit juristische Einheit verleiht und was die eine Gesamtheit gegenüber der anderen individualisiert, mache nicht das Subjekt aus, dem das eine oder andere Vermögen gehöre, sondern das juristische Ziel, das dem Vermögen dient. Überhaupt diene aber Vermögen nicht jemandem, sondern etwas, das heißt von der Rechtsordnung anerkannten Zielen. Alle Ziele, auch die einer Person, müssten als notwendige, vernünftige Ziele der Gemeinschaft anerkannt werden. Fängt der Mensch an, sein Vermögen für unvernünftige, also für die Gemeinschaft nutzlose oder gar schädliche Ziele einzusetzen und zu verbrauchen, so müsse der Staat einen Verwalter einsetzen, der das Vermögen seiner objektiv vernünftigen Bestimmung wieder zuführe. Man solle also statt Rechtssubjekt den Begriff der Rechtszwecke setzen, so Schwarz.Footnote 5
Diese philosophischen Grundlegungen seiner in der Organisationsfrage zum Ausdruck kommenden Argumentation entwickelt Korsch 1917 – „im Felde“ liegend (Korsch, 2001, 255) – indirekt weiter und zwar in der Korrespondenz mit seinem Lehrer Heinrich Gerland. Er habe, so Korsch, in letzter Zeit mit besonderer Intensität das philosophische und juristische Nachdenken wieder aufgenommenen und eine kurze Abhandlung über den Gegenstand der Rechtswissenschaft abgeschlossen.Footnote 6 Diese Abhandlung schließe weniger an juristische (rechtsphilosophische) Gedanken an, als – wie Korsch in einem Brief an Gerland vom 11. Dezember 1917 (dem Jahrestag des ersten deutschen Friedensangebots) ausführt – „an reinphilosophische, d. h. Kant und die neueste ‚wissenschaftstheoretische‘ Richtung der erkenntnistheoretischen Philosophie und einige andere Philosophen. Z. B. ohne Dilthey, Simmel und Rickert, um nur einige zu nennen, hätte die Schrift nicht entstehen können“ (Korsch, 2001, 255). Die Schrift selber ist leider nicht erhalten.
In der Tat sind gedankliche Anleihen an Dilthey deutlich erkennbar. Darauf komme ich später zurück. Denn für Dilthey entstehen Kultursysteme wie etwa Kunst, Wissenschaft, Recht, Wirtschaft und Sittlichkeit (das heißt ein System des praktischen Handelns), wenn „ein auf einen Bestandteil der Menschennatur beruhender und darum andauernder Zweck psychische Akte in den einzelnen Individuen in Beziehung setzt und so zu einem Zweckzusammenhang verknüpft“ (Dilthey, 1959, 43).Footnote 7 Korsch lässt sich – grob skizziert – mit Abschluss seiner Studentenzeit als praktischer Sozialreformer gedanklich in die neokantianische Richtung verorten, der auch juristisch der positivistischen Denkschule folgt, ohne sich den plausiblen Reform-Argumenten der Freirechtsschule zu verschließen.
Für Korschs Entwicklung zum entschiedenen praktischen Sozialisten sind indes seine Erfahrungen in England mit der Fabian Society vor 1914 prägend. Er ist begeistert von der positivistisch-empiristischen Diktion der Fabier. Seine frühe sozialistische, an den Fabiern orientierte Konzeption ähnelt übrigens nicht unwesentlich jener Rudolf Carnaps, dessen Reformansätze jedoch im bürgerlichen Modell verbleiben und keine Bindung etwa an die Arbeiterbewegung erkennen lassen. Die „Anziehungskräfte, die aus dem chaotischen Atomismus der Welt einen Kosmos gestalten werden“ (Werner, 2015b, 472) bildeten auch die Grundlage von Carnaps 1928 erscheinenden Schrift Der logische Aufbau der Welt. Carnaps Hoffnung bestand, sehr vereinfacht formuliert, darin, dass eine Gesellschaft, die auf rationale Diskussion setzt und die sich der Methode der formalen Logik verpflichtet, am Ende kollektiv in eine Gefühlslage geraten werde, in der die Individuen dann solche Wertsetzungen vornehmen, die den Grundsätzen des Sozialismus nahekommen. Das Programm des Aufbaus war also das einer radikalen, auf die Fundamente des Denkens gehenden Reform der rationalen Seite des gesellschaftlichen Lebens mit dem Ziel, dadurch indirekt auch die irrationale Seite des Lebens zu reformieren.
Korsch orientiert sich frühzeitig an den Erfahrungen der englischen Arbeiterbewegung, die auf der Grundlage der von ihrer mit der sozialwissenschaftlichen Forschungsabteilung der Fabian Society erstellten konkreten, auf soziologisch fundierten Tatsachen basierenden Reformvorschlägen die Gesellschaft auf demokratischem, nicht wie damals noch die SPD auf revolutionärem Wege in eine sozialistische transformieren wollte. Korsch sieht ganz im Sinne der Begründer des französischen und englischen Positivismus die Funktion von Wissenschaft in der Erfassung der sozialen Tatsachen, um konkrete Vorhersagen treffen zu können und sie in der sozialen Praxis als wissenschaftlich geleitetes social engineering anzuwenden. Der Marxismus spielt in dieser Phase als Theorie kaum eine Rolle, allenfalls als Negativfolie der bürgerlichen Marx-Kritik.
Auch der Erste Weltkrieg veranlasst Korsch noch nicht zur theoretischen Revision seiner sozialistischen Grundhaltung. Zu Beginn des dritten Kriegsjahres, am 27.9.1916, übermittelt er dem drei Jahre jüngeren freistudentischen Mitstreiter und engen persönlichen Freund Walter Fränzel, der seit den ersten Kriegstagen den Machtwillen der Nation, ja den Krieg selbst in seiner individualisierenden Kraftentfaltung zu bejahen sich anschickte, folgendes Bekenntnis, das die Quintessenz seines reform-aktivistischen Lernprozesses darstellt:
Du mußt bedenken, daß für mich dieser Krieg der Zusammenbruch alles dessen war, wofür ich leben wollte. Das Verhältnis des Menschen zum Menschen feiner, geistiger zu gestalten, dadurch das Leben reicher, voller, breiter, lebendiger zu machen und dieses lebendige Leben durch und durch zu vergeistigen, – das ungefähr war mein Traum, damals von mir für einen kontinuierlich ausführbaren, in seinen Anfängen bereits ausgeführten Plan gehalten und ‚Sozialismus‘ genannt. – Jetzt werde ich vermutlich auf jede Gestaltung überhaupt verzichten – mit Ausnahme vielleicht der pädagogischen Individualgestaltung, ohne Garantie der Kontinuität des so begonnenen Werks mit allem Gleichzeitigen und Künftigen (die früher wesentliche condicio aller meiner Bestrebungen war) – und mein zersplittertes Einzelleben dem Dienst an einem Objektiven – der theoretischen Wahrheitserkenntnis (wiederum ohne Garantie der allseitigen Kontinuität) – widmen. Das ist ein Übergang vom „Menschen“ (was ich früher so nannte) zum Robinson, aus der Welt ins Kloster. Verzicht auf moralischen Monismus, – Resignation, Positivismus mit pluralistischer metaphysischer Hypothesis. (Korsch, 2001, 241)Footnote 8
Den kontinuierlich ausführbaren Plan der gesellschaftlichen Entwicklung in Richtung „Sozialismus“, den er in seinen Anfängen auf bestem Wege sah, zerschmetterte das gigantische Völker-Morden auf den europäischen Schlachtfeldern. Diese oft beschworene Urkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts zerstörte auch tief verwurzelte Freundschaften. Korschs Bruch mit seinem Freund Fränzel lässt sich ähnlich deuten wie das nie wieder wirklich ins Lot gebrachte Zerwürfnis zwischen Carnap und Flitner in der Auseinandersetzung um die gleiche Frage.Footnote 9 An der grundsätzlich divergenten Haltung zur Kriegsfrage ist vermutlich die Spaltung der Jugendbewegung auf der Führertagung im April 1919 in Jena festzumachen, die dann auf dem zehnten Jahrestag auf dem Hohen Meißner 1923 endgültig zum Bruch führt – zumindest geben die bereits erforschten Biographien davon Zeugnis.Footnote 10
2 Marxismus und Philosophie
Erst durch die Revolution 1918 scheint für Korsch die Zeit auch in Deutschland reif zu sein, eine positive „Konstruktionsformel“ für die Sozialisierung als Grundlage einer sozialistischen Gesellschaft zu entwickeln.Footnote 11 Er nennt nach der siegreichen Konterrevolution zwei Hauptgründe für das Scheitern der Verwirklichung des Sozialismus, wie er ihn sich bis dahin in seiner Konstruktionsformel vorgestellt hatte: erstens den orthodoxen Marxismus und die damit verbundene „fast unverständliche Rückständigkeit der sozialistischen Theorie gegenüber allen Problemen der praktischen Verwirklichung“ (Korsch, 1980c, 219) des Sozialismus und zweitens die „sozialpsychologischen Voraussetzungen“ bei den Massen, denen ein „fortreißender Glaube an die sofortige Realisierbarkeit des sozialistischen Wirtschaftssystems vereint mit einem klaren Wissen um die Natur der zunächst zu unternehmenden Schritte“ (Korsch, 1980c, 218) fehlte. In Summa also: fehlende politische Bildung der als revolutionär gedachten Massen. In der „neuen revolutionären Epoche“ ist für die „Weitertreibung der sozialen Revolution“ die „bewußte Weiterentwicklung und Klärung der auf die endliche Verwirklichung des Sozialismus gerichteten Tatgedanken“ (Korsch, 1980c, 219), das heißt der mit Bewusstsein vollzogenen Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Theorie, unbedingt erforderlich. Nachdem Korsch zunehmend seine früher vertretenen Reformkonzepte aufgegeben und sich politisch radikalisiert hatte, knüpft er nunmehr an den „wissenschaftlichen Sozialismus“ von Marx und Engels an. Aber sein Programm der Wiederherstellung und Weiterentwicklung der Marxʼschen Theorie der sozialen Revolution für die Erfordernisse der neuen Zeit steht von Anfang an unter dem Vorzeichen der Klärung der allgemeinen Frage des Verhältnisses der Marxʼschen Wissenschaft zur Philosophie und zugleich der Prüfung der Möglichkeit der Selbstanwendung dieser Wissenschaft auf ihre eigene Geschichte.
Es ist überaus aufschlussreich, dass Korsch seine berühmte Schrift „Marxismus und Philosophie“ von 1923, die einen Abschluss seiner ersten Marx-Rezeption darstellt und in der er als erster den methodischen Versuch der Anwendung der materialistischen Geschichtsauffassung auf die Geschichte des Marxismus unternimmt, selbst begreift als ersten Teil einer größeren Schrift mit dem Titel „Historisch-logische Untersuchungen zur Frage der materialistischen Dialektik“.Footnote 12 Anders ausgedrückt: Korsch geht es um die Frage, in welchem Verhältnis die empirische Methode der exakten Wissenschaften zur dialektischen Methode in der marxistischen Sozialwissenschaft steht. Denn verbleibt man zunächst einmal immanent im szientistischen Rahmen des auch von Korsch vertretenen Positivismus und will man auf der Ebene der Erkenntnistheorie und Methodologie klären, ob diese Wissenschaft tatsächlich noch dem geschichtlichen Stand der Entwicklung entspricht oder schon zur bloßen Ideologie herabgesunken ist, dann muss gezeigt werden können, durch welche anderen empirischen Methoden die veralteten ersetzt oder ergänzt, oder ob sie in einem erweiterten Interpretationsrahmen aufgehoben und dadurch in den geschichtlich-gesellschaftlichen Handlungsrahmen zurückgeführt werden können. Korsch will interessanterweise den argumentativen Nachweis führen, dass die richtig verstandene Marxʼsche Theorie diesem Erkenntnistypus entspricht, wenn er ausführt, dass an keiner Stelle „die auch von Marx“ vertretene „gründliche und exakte empirische Erforschung des Erfahrbaren in Natur und Gesellschaft“ jenen „naiven Realismus“ (Korsch, 1993b, 266) der vulgären Naturwissenschaft und vulgären Ökonomie ablehne. Korsch wertet sogar in umgekehrter Frontstellung die größten Triumphe der Naturforschung, wie zum Beispiel die Einsteinʼsche Relativitätstheorie, als einen Beleg dafür, dass sich ihr Begründer auch politisch und gesellschaftlich auf die Seite des Fortschritts stellt.Footnote 13 Was er allerdings an dieser empirischen Forschung kritisiert, ist ihre Selbstbegrenzung, über die mit der Marxʼschen materialistischen dialektischen Methode hinausgegangen werden müsse. Das Spezifische dieser Methode liegt nach Korsch darin, dass sie über jenen „von aller Philosophie verlassenen ‚naiven Realismus‘, der als erkenntniskritische Position der sogenannten empirischen Methode der vulgären Naturwissenschaft und der vulgären Ökonomie“ zugrunde liegt, ebenso hinausgehe wie über das „rein apriorische Verfahren der abstrakten Metaphysiker“ (Korsch, 1993b, 266). Dies sei möglich, weil die dialektische Methode ein Verfahren zur Bestimmung der Entwicklung der Begriffe selbst besitze, während der gewöhnliche Empirismus nur von willkürlich aufgestellten Hypothesen zu überprüfbaren Schlussfolgerungen fortschreite.
Korsch erweitert das anti-metaphysische Programm des Positivismus durch die materialistische Dialektik, die in sich die empirischen Methoden aufhebe und der Garant nicht nur für die höhere Genauigkeit der wissenschaftlichen Resultate, sondern auch für ihre revolutionäre Wirkung sei. Er spricht ausdrücklich vom „positiven Inhalt“, der durch diese dialektische Methode erreicht werde und der über den des „reinen Empirismus“ (Korsch, 1993b, 266) hinausgeht. Korsch hat aber diese seine Entdeckung der materialistisch-dialektischen Methode der Erforschung von Natur und Gesellschaft zu Beginn der zwanziger Jahre nicht weiter expliziert, sondern stattdessen selbst im praktischen Vollzug seiner eigenen geschichtlichen und gesellschaftlichen Untersuchungen und Erfahrungen demonstriert. Sein eigenes theoretisches und praktisches Engagement in der revolutionären Arbeiterbewegung, insbesondere der Dritten Internationale, lässt ihm die Einheit von Theorie und Praxis quasi als Faktum erscheinen, weil er dem geschichtlichen Forschungsprinzip der Dialektik selbst einen historischen Träger zugrunde legt: das Proletariat, das durch seine praktisch-revolutionäre Aktion eine abstrakte Methodendiskussion im Sinne der Wissenschaftstheorie als überflüssig erscheinen lässt.Footnote 14 Dies aber tun, wenn ich recht sehe, gerade die Vertreter der sich konstituierenden anti-metaphysischen „Wissenschaftlichen Weltauffassung“, die ihr Reformprogramm auf die Präzisierung des Wissenschaftsbegriffs und weniger auf die Frage der praktischen Vermittlung legen.Footnote 15 Die praktische Verwirklichung reduziert sich, verkürzt ausgedrückt, auf die behavioristisch konzipierte sozialtechnologische Realisierbarkeit wissenschaftlicher Programme.Footnote 16 Dass für den radikalen Flügel des Logischen Positivismus ebenfalls das Proletariat der Adressat der gesellschaftlichen Umwälzung ist, macht die beiden Konzepte nicht nur in der Intention vergleichbar, sondern auch in Bezug auf die Frage, welche Schlussfolgerungen zu ziehen sind, wenn der Adressat sich der intendierten Handlungskonzeption versperrt. Das aktuelle Scheitern der Arbeiterbewegung kann für die wissenschaftliche Weltanschauung keine grundsätzliche Anfechtung in Bezug auf die Wissenschaftstheorie, sondern allenfalls eine in Bezug auf die Mängel in der Durchsetzung der Volkspädagogik bedeuten. Denn, wie Neurath einfach konstatiert: „Gerade das Proletariat wird zum Träger der Wissenschaft ohne Metaphysik“ (Neurath, 1979, 310). Ganz anders gelagert ist die Konsequenz im Falle der Konzeption der materialistischen Dialektik von Korsch.
Wenn man wie Korsch die Methode der Dialektik in ihrer materialistischen Umstülpung durch Marx unmittelbar mit dem geschichtlichen Gang der revolutionären Selbstbefreiung des Proletariats als Emanzipation der Menschheit identifiziert und wenn gleichzeitig der aktuelle Verlauf der Geschichte als Erfahrung diese Identifikation zunichtemacht, sei es durch Nicht-Handeln oder durch die erkennbare Umkehrung des geschichtlichen Sinns der Aktion des Proletariats in ihr Gegenteil, wie im Stalinismus und Faschismus, dann muss die dialektische Methode selbst geschichtlich von ihrem Ursprung abgelöst und zudem mit den modernen Methoden der Forschung ergänzt und in Einklang gebracht werden, will man prinzipiell den Emanzipationsanspruch weiter aufrecht erhalten.
3 Krise des Marxismus und Logischer Empirismus
Schon 1929 spricht Korsch von der Krise des Marxismus. Aber er hält weiter am „wissenschaftlichen Prinzip“ der materialistisch-dialektischen Methode von Marx fest, die sich allen doktrinären und ideologischen Selbsttäuschungen kritisch widersetze und in der allgemeinen, auch auf die materialistisch-dialektische Auffassung selbst angewendeten Einsicht beruhe, „daß alle wissenschaftliche Theorie nur das Erzeugnis der historischen Bewegung selbst ist“ (Korsch, 1996a, 283). Und hier kommt wiederum Wilhelm Dilthey ins Spiel, also eine seiner philosophischen Prägungen aus der freistudentischen Bewegung. Denn diese Beschreibung der materialistisch-dialektischen Methode trägt stark die Züge der geisteswissenschaftlichen Methode Diltheys, die Korsch mit Hilfe der Marxʼschen Feuerbach-Thesen in einer aktivistischen Synthese zur praktischen Einheit umformt. Dies lässt sich plausibel zeigen, wo er in seiner Kritik an Karl Kautsky die Differenz zwischen dem Kantischen und dem Marxʼschen geschichtlichen Entwicklungsbegriff herausarbeitet.Footnote 17 Kants Entwicklungsbegriff beruhe auf der zweifach vollzogenen Trennung und Wiedervereinigung der beiden Wirklichkeitsbereiche ‚Natur‘ und ‚Gesellschaft‘. Die theoretische Vernunft bestimme letzten Endes auch die Gesellschaft als eine „zweite Natur“, der eine den in der Natur erkannten Gesetzen nachgebildete Gesetzlichkeit unterstellt wird. Umgekehrt bringe die praktische Vernunft beide Bereiche in einem Reich des Sollens autonom und unabhängig von dem naturgesetzlich bestimmten gesellschaftlichen Sein zur Synthese. Wenn Korsch dann behauptet, Marx habe ein halbes Jahrhundert später die „theoretisch materialistische, aber praktisch idealistische Gesellschaftsauffassung“ (ebd.) Kants dahingehend umgeformt, dass er den Materialismus auch auf die Praxis ausdehnte, dann nimmt er damit im Grunde nur eine materialistische Transformation der lebensphilosophisch fixierten Synthese Diltheys vor.
Auch Dilthey will die strikte Trennung zwischen Natur- und Gesellschaftswissenschaften überwinden. Haben die Naturwissenschaften ihren epochalen Erfolg durch Präzisierung ihrer Thematik und Methoden erreicht, so sieht Dilthey die Notwendigkeit, auch die Methoden und Erfahrungsgrundlagen der Geisteswissenschaften neu zu bestimmen. Dilthey setzt seine „Anpassung“ an die neuen naturwissenschaftlichen Erfahrungen mit einer Kritik an Kants Methode und Erfahrungsbegriff an. Er formt die Kritik der reinen Vernunft durch seine methodische Fundierung der Geisteswissenschaften zu einer historischen Kritik der Vernunft im geschichtlichen Werden oder, wie Dilthey sagt, zur „Kritik der historischen Vernunft“Footnote 18 um. Dann bringt er die Erkenntniskritik Kants mit dem objektiven Idealismus Hegels in Verbindung. Die Geisteswissenschaften sollen nach Dilthey eine Begründung der Erkenntnis des Historischen ebenso liefern wie eine Historisierung der gesellschaftlichen Erkenntnis sichtbar machen. Erfahrung ist damit nicht mehr nur formal wie bei Kant. Den Ausgangspunkt der Forschung soll das konkrete Leben in all seinen individualpsychologischen, kulturellen, ökonomischen, politischen und wissenschaftlichen Äußerungen bilden. In Diltheys Verständnis steht nicht mehr die Wissenschaft als allmächtige, reine und kritische Instanz der Wirklichkeit gegenüber, sondern die Wirklichkeit selbst ist aufgespalten in eine Vielfalt geistiger Wirklichkeiten, die in einem inneren Zusammenhang verbunden sind als geschichtlich-gesellschaftliche Gesamtwirklichkeit. Innerhalb dieser Gesamtwirklichkeit übernehmen die Teilwirklichkeiten verschiedene Funktionen für die Orientierung des praktischen gesellschaftlichen Lebens.
Aufgabe der Forschung ist einerseits die exakte empirische Rekonstruktion der geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit als äußere Erscheinung und andererseits deren innere Vermittlung und Wechselwirkung mit ihren geistigen Objektivationen. Es geht also um die dialektische Beziehung zwischen dem naturwissenschaftlich konstatierbaren Prozess der gleichförmigen materiellen Vorgänge (Natur) und den „geistigen Tatsachen“ des Bewusstseins. Der historische Forscher muss als Bedingung der Möglichkeit seiner Wissenschaft anerkennen, dass er selbst ein geschichtliches Wesen ist, „daß der, welcher die Geschichte erforscht, derselbe ist, der die Geschichte macht“ (Dilthey, 1927, 278). Grundsätzlich macht also auch bei Dilthey die Einheit von Subjekt und Objekt geschichtliche Erkenntnis erst möglich. Die Möglichkeit der Erkenntnis birgt in sich die Möglichkeit der Heilung der Welt von metaphysischer Befangenheit:
Das Messer des historischen Relativismus, welches alle Metaphysik und Religion gleichsam zerschnitten hat, muß auch die Heilung herbeiführen. Wir müssen nur gründlich sein. Wir müssen die Philosophie selbst zum Gegenstand der Philosophie machen. Eine Wissenschaft ist notwendig, welche durch entwicklungsgeschichtliche Begriffe und vergleichende Verfahren die Systeme selbst zum Gegenstand hat. (Dilthey, 1962, 234 f.)
Da diese eine Wissenschaft als empirische verstanden werden soll, die sich durch Selbstanwendung historisch reflektiert und damit eine Selbstbesinnung der historischen Zwecksetzungen erreicht, so ist bei Dilthey diese Form der Einheit von Geist und Natur in der Praxis wissenschaftlich grundsätzlich nicht mehr vollziehbar, sie bleibt leer. Sie ist intuitiv lebensphilosophisch, das heißt in der Irrationalität des Lebens gegen die Macht der Wissenschaft gesetzt. Denn wenn man das geschichtliche Bewusstsein bis in seine letzte Konsequenz hinein verfolgt und gleichzeitig jede geschichtliche Erscheinung in ihrer Endlichkeit als in einen fließenden Prozess auffasst, dann bleibt nichts. Dilthey als der Mann der Wissenschaft macht vor den materialistischen Konsequenzen seines Denkens Halt und flüchtet, zeitgeschichtlich verständlich, in die Lebensphilosophie. Korsch möchte diesen Irrationalismus von Dilthey korrigieren durch das „praktisch materialistische“ Prinzip der aktivistisch interpretierten Feuerbach-Thesen, bleibt aber zunächst im selben erkenntnistheoretischen Schema gefangen. Die Einheit von Theorie und Praxis bleibt eine geborgte.Footnote 19
Korsch versucht dieser Aporie zunächst dadurch zu entgehen, dass er die ersten geschichtlichen Erscheinungsformen der marxistischen Dialektik über eine Neubewertung der Philosophie Hegels, insbesondere der Dialektik historisch ablösen will. In mehreren Vorträgen im Hegel-Jahr 1931 sieht er die Hegelʼsche Philosophie nun überwiegend als Philosophie der Restauration.Footnote 20 Damit ist die Dialektik als Methode auch für den Marxismus historisch belastet und nur noch als Übergangserscheinung zu bewerten, von der sich ein weiterentwickelter Marxismus befreien müsse.
Korschs Bruch mit dem Parteikommunismus Mitte der zwanziger Jahre und die Beendigung seiner Karriere als Berufspolitiker durch sein Ausscheiden aus dem Reichstag 1928 forderten den kritischen und umtriebigen Intellektuellen zu veränderten Formen der öffentlichen Auseinandersetzung und Intervention heraus. Da ihm die Wiederaufnahme seiner Jenenser Professur durch das gerichtlich fixierte Berufsverbot versagt blieb, bot er nun in Berlin unter eigenem Namen öffentliche Vorlesungen über Marx und die Weiterentwicklung des Marxismus an.Footnote 21 Diese Öffnung in Richtung einer kritischen Verständigung auch mit anders orientierten philosophischen Ansätzen von Gesellschaftskritik zog eine Reihe von Intellektuellen und Schriftstellern an, die wie im Falle Bert Brechts zu lebenslangen Freundschaften führten. Auch alte Kontakte, die bis in die freistudentische Bewegung zurückreichten, lebten wieder auf, wie zu Hans Reichenbach oder Rudolf Carnap, die in der Emigration auch inhaltlich zur konkreten Zusammenarbeit führten.
Am 27. Oktober 1931 hält Korsch in Hans Reichenbachs Berliner Gesellschaft für empirische Philosophie einen Vortrag über den Empirismus in der Hegelʼschen Philosophie, der sich auch mit dem Problem der Umstülpung der idealistischen in die materialistische Dialektik befasstFootnote 22. Dass Hegel seine großen empirischen Beobachtungen insbesondere der bürgerlichen Gesellschaft nicht wegen, sondern trotz seiner idealistischen Methode gewonnen habe, gesteht Korsch den Kritikern gerne zu. Weit schwieriger hingegen sei die wirkliche Transformation der idealistischen Philosophie des Geistes in eine „materialistische Wissenschaft von Natur und der menschlichen Gesellschaft“ (Korsch, 1996c, 477), die Voraussetzung dafür, dass überhaupt eine vernünftige Diskussion zwischen ihr und den modernen, hauptsächlich am Vorbild der Mathematik und Physik orientierten exakten Wissenschaften möglich wird. Mit zwei gewichtigen Einwänden der modernen Empiriker gegen die dialektische Methode setzt sich Korsch kritisch auseinander: Erstens setze die Dialektik nicht bei der Erfahrung, sondern beim Begriff ein und zweitens sei der Fortgang der dialektischen Gedankenentwicklung wissenschaftlich nicht überprüfbar.
Hinsichtlich des ersten Einwandes kehrt er das Argument der Logiker gegen sie selbst. Auch die Mathematik beginne nicht bei der Erfahrung, sondern mit dem axiomatischen Begriffsrahmen. Es genüge, so Korsch, dass auch die abgeleiteten Begriffe empirisch erfüllbare und erfüllte Begriffe sind.Footnote 23 Insofern sind die beiden ersten Schritte der Hegelʼschen Dialektik völlig übereinstimmend mit den empirischen Prinzipien des entwickeltsten Stands der Naturwissenschaften. Schließlich sei auch die Naturwissenschaft nicht mehr auf dem Stand von Bacon, schon gar nicht die Mathematik. Was indes bei aller Produktivität des Denkens in Widersprüchen, Gegensätzen und der Einheit von Gegensätzen bei der Dialektik fehle, sei das formelle Kriterium dafür, zu entscheiden, wann eine dialektische Gedankenrichtung wahr oder falsch sei, wie man es im Falle der einfachen Widerspruchsfreiheit der Logik besitze. Man habe zwar in beiden Fällen das materielle Kriterium des Erfolgs, das allein aber reiche nicht aus. Tatsächlich ist für Korsch hier die Grenze der dialektischen Methode erreicht: „Eine positive Antwort auf die Frage, ob es solche bestimmte formelle Kriterien für die richtige Anwendung der dialektischen Methode gibt und worin sie bestehen, kann heute noch nicht gegeben werden“ (Korsch, 1996c, 493).
Wenn denn überhaupt eine Antwort möglich ist, so ist sie für Korsch nur denkbar aus einer intensiven Kooperation des kritischen Marxismus mit dem Logischen Empirismus. Weder die bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, die sich nach Korschs Urteil noch immer nicht von ihren religiösen Bindungen zu lösen vermochten, noch die Logiker allein können eine Weiterentwicklung der Methode im Korschʼschen Sinne vorantreiben. Wie ernst Korsch die angestrebte Synthese verstand, geht auch daraus hervor, dass er seine persönliche Freundschaft mit dem Mathematiker und Philosophen Walter Dubislav ebenfalls dazu nutzte, in einer Art Privatunterricht sich in neuerer Mathematik und Logik unterrichten zu lassen. Korsch erlernte auch die logische Formalsprache von Carnap, wie aus einem Brief von 1939 an seinen engen Freund und theoretischen Mitarbeiter Paul Partos hervorgeht, der seinerzeit an der TH Charlottenburg Mathematik und Elektrotechnik studierte.Footnote 24
Der Nachfolger auf Albert Einsteins Prager Lehrstuhl, Philipp Frank, hat in seinem Buch Das Kausalgesetz und seine Grenzen (1932) eine Kooperation mit dem Marxismus sowjetischer Bauart anvisiert, wurde dafür aber von Korsch in seiner Rezension kritisiert: So sehr er das Kampfbündnis zwischen Marxismus und „jener fortschrittlichsten Richtung des westeuropäischen Positivismus, die heute auf dem naturwissenschaftlichen Gebiet“ von Frank, Neurath, Carnap, Dubislav und anderen Mitgliedern des Wiener Kreises „gegen alle metaphysisch, idealistisch und philosophisch verkleidete Dunkelmännerei“ (Korsch, 1996c, 587) begrüße, übersehe Frank die willkürlichen theoretischen Positionen des autoritär verknöcherten Sowjetmarximus, die jenen erhofften Bruch mit der Schulphilosophie als Voraussetzung für das Kampfbündnis noch lange werde auf sich warten lassen.Footnote 25 Wenn man die Dialektik, so argumentiert Korsch weiter, die bei Hegel am Ende doch nur eine höhere Art von Erfahrung bleibe, zur exakten wissenschaftlichen Methode fortentwickeln wolle, dann könne man auf einen für Korsch zentralen Aspekt der Dialektik nicht verzichten, den die Hegelʼsche Philosophie bei aller Kritik gleichwohl fortführe, nämlich den der Aktion:
Der Hegelsche Begriff der Erfahrung ist nicht nur ungeheuer viel weiter als der heutige naturwissenschaftliche Erfahrungsbegriff, sondern er hat außerdem noch eine für die zukünftige Entwicklung des Empirismus ganz spezielle Wendung zum Subjektiven, zur Erfahrung als Handeln, als menschliche gesellschaftliche Praxis. Man wird vielleicht einmal sagen, dass der Philosoph Hegel der entscheidende Vorläufer einer exakten Empirie des denkenden und handelnden Subjekts gewesen ist. (Korsch, 1996c, 497)
Als zwei Fortführungen dieser Richtung der Hegelʼschen Philosophie betrachtet Korsch, für viele überraschend, einerseits den amerikanischen Pragmatismus und Behaviorismus und andererseits den revolutionären Marxismus.Footnote 26 Lässt sich aber aus all diesen Tendenzen eine neue Wissenschaft mit tragfähigen Ergebnissen entwickeln, die zur Lösung all der gravierenden Probleme der beginnenden dreißiger Jahre eine positive Perspektive aufzuzeigen in der Lage wäre? Korsch gibt nur die Richtung vor, in der er Möglichkeiten einer Lösung vermutet, bietet selbst aber keine Rezepte an.Footnote 27
Eine Weiterentwicklung der geistigen Kooperation zwischen den beiden erkenntnistheoretischen Richtungen wurde durch den Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 jäh unterbrochen und zwang die meisten ihrer Vertreter in die Emigration. Korsch verließ Deutschland im Oktober 1933 in Richtung Dänemark und fand zunächst bei Bert Brecht in Skovsbostrand Unterschlupf, bis er zur Bearbeitung seines geplanten Buches über Karl Marx nach London übersiedelte. Nach seiner Ausweisung 1935 folgte er 1936 seiner Familie in die US-amerikanische Emigration, wo seine Frau eine Professur am Wheaton College erhielt und seine älteste Tochter eine Assistenz bei seinem Freund, dem Gestaltpsychologen Prof. Kurt Lewin, annahm.
Korschs zaghafte Versuche im US-Exil sich vom Marxismus auf die amerikanische Soziologie „umzuspezialisieren“ und gar eine größere Arbeit über eine materialistische Theorie des Denkens in Angriff zu nehmen, können aus vielfältigen, zum Teil rein persönlichen Gründen nicht umgesetzt werden.Footnote 28 Der Grund ist sicherlich nicht, dass er die Vorurteile des alten Europa gegenüber den USA hegen wollte. Sehr einfühlsam und realistisch beschreibt er nämlich den funktionalistischen Charakter der spezifisch amerikanischen Sozialwissenschaft, auch in ihren positiven sozialen Auswirkungen.
Nach über zweieinhalb Jahren Exil charakterisiert Korsch Ende der dreißiger Jahre seine eigenen Arbeitspläne als „subjektiver, augenblicksbedingter und zugespitzter – zu sehr als ‚Bruch‘ mit eigenen früheren Einstellungen –“ (Korsch, 2001, 769). In Europa stand man noch „in einer Bewegung, die von einer wohlbekannten Vergangenheit über eine bekannte Gegenwart in eine hinreichend bekannte Zukunft hinüberführte. Man hatte eine Theorie, gegenüber der man sich beliebig ‚kritisch‘ verhalten konnte, gerade weil man so fest in ihr stand. Von alledem ist hier keine Rede“ (Korsch, 2001, 770). In Amerika erscheine alles zu groß und zusammenhangslos:
Eine abstrakte Unendlichkeit und Freiheit besteht für alle und für keinen. […] Ebenso verschieden wie die allgemeinen Verhältnisse ist von ihrem europäischen Äquivalent auch die amerikanische Wissenschaft. Ich meine nicht die Physik, die wie die Technik kosmopolitisch international ist. […] Ich meine die Wissenschaft vom ‚Menschen‘ oder um es gleich amerikanischer auszudrücken, die Wissenschaft von ‚behavior‘ (sociology, psychology, education, marriage, ‚economics and business‘, social work advertising, political science, mental hygiene, public relations, und hundert andere). (Korsch, 2001, 770 f.)Footnote 29
Was Korsch als Impuls für die eigene Produktivität am meisten fehlt ist eine breitere, wirkungskräftige politisch-praktische Einbindung in Handlungsmöglichkeiten, in eine soziale Bewegung ebenso wie institutionell in akademisch-wissenschaftliche Arbeitsmöglichkeiten.Footnote 30 Hier liegt auch ein essentieller Unterschied zu seinen Freunden der strengen Wissenschaft, die sich im akademischen Milieu in den USA weitgehend etablieren können, zuweilen sogar direkt als Innovatoren ins Land gerufen werden.
Natürlich weiß er, dass man „Wissenschaft, wenn man nicht mehr als Wissenschaft machen will, immerzu machen kann und niemals als Wissenschaftler mehr als das machen kann“ (Korsch, 2001, 766). Aber eine einfache „Positivierung“ und „Kalkülisierung“ bestimmter Teile der jetzt „positiv“ geltenden, aber noch nicht formulierten Systeme von Sätzen erachtet er als eine „ganz nutzlose Beschäftigung“, es sei denn man betrachtet sie „als bloße Vorarbeit für wirkliche Kritik. Also sozusagen ‚kopernikanische Tat‘ immer nur auf verschiedenen Reifestufen; aber diese ‚Tat‘ ist gar keine Tat, sondern allenfalls ein Index für geschichtliche Taten“ (Korsch, 2001, 766). Er verteidigt relativierend den „erfrischenden“ Ansatz des norwegischen Philosophen Arne Naess, besonders „im Vergleich zu den allzusehr an die philosophia perennis erinnernden (ihren Geist sozusagen auf dem metaphysischen Zeropunkt weitererhaltenden) Logistikern um und einschließlich Carnap“ (Korsch, 2001, 766. Er arbeitet wieder über soziologische Methodenfragen und logisches Kalkül, hält einen Vortrag über Sprachtheorie. Aber er bleibt doch auf Abstand. In einem anderen Brief an Paul Partos vom 12. Juni 1939 sieht man, wie die vormals angestrebte Synthese zunehmend aus dem skeptischen Blick verschwindet, „obwohl hierher gehörige Emigranten (Carnap, Hempel usw.) die Berührung mit Amerika nicht schlecht bekommen ist; sie sind sehr aufgelockert und alles ist, fast schon zu sehr, in Bewegung geraten“ (Korsch, 2001, 753).
Sein Auftritt auf dem Kongress der Unified Science 1939 in Chicago mit dem von Kurt Lewin in Eile verfassten Paper über „mathematical constructs in psychology and sociology‟ gibt durchaus eine Forschungsrichtung an, die Korsch für wichtig hielt auch für sein eigenes Forschungsanliegen. Gleichzeitig war seine Teilnahme an der Tagung einer der letzten Versuche, über diese in den USA anerkannte Wissenschaftsrichtung die eigene kommunistische Vergangenheit in der akademischen Welt etwas zu kaschieren und seine akademischen Berufschancen zu verbessern. Fast resignativ schreibt er seinem Freund Paul Partos, Spanienkämpfer im englischen Exil und von Beruf Naturwissenschaftler:
In Wirklichkeit glaube ich nicht an das ganze, von Bridgman aufgebrachte Gerede von sogenannten constructs, denen keine unmittelbare Erfahrung entsprechen soll. Es handelt sich dabei, im allgemeinsten Sinne, um weiter nichts als den Unterschied von „vorwissenschaftlicher und wissenschaftlicher Begriffsbildung“ (dieser term ist nur darum ebenfalls unsympathisch, weil er von den deutschen Kantianern, Rickert usw. aufgebracht worden ist!) und speziell bei den dynamischen constructs darum, daß diese besondere Gruppe von Begriffen oder terms sich nicht auf sogenannte einzelne Tatsachen (Formen), sondern auf ganze Gruppen und die zwischen ihnen bestehenden dynamischen Gesetze bezieht. (Korsch, 2001, 772 f.)Footnote 31
Wichtig ist vor allem die Feststellung, dass Korsch der Dialektik, oder wie immer die weiter entwickelte Methode der Wissenschaft heißen soll, zwar noch das aktivistische Moment der Synthese zumisst, ihr jetzt aber weder ein Individuum, noch eine Klasse, noch ein transzendentales Bewusstsein als Subjekt zuordnet. Das heißt, dass er die orthodoxe Zuordnung der materialistischen Dialektik zu dem geschichtlichen Subjekt Proletariat aufgibt. Stattdessen greift er hier, wie ich meine, einen altpositivistischen Gedanken auf, dass nämlich das wirkliche Subjekt der Wissenschaft nur die Wissenschaft selbst in ihrer geschichtlichen Entwicklung als realer Bestandteil der jeweils auf der Basis einer bestimmten materiellen Produktionsweise bestehenden und sich entwickelnden Gesellschaft ist.Footnote 32
Das vollständige Scheitern der europäischen, marxistisch orientierten Arbeiterbewegung hat zwar den Marxismus selbst noch nicht vollständig zur Literatur werden lassen, aber doch deutlich gemacht, dass die fehlende handlungstheoretische Dimension im Marxismus nicht einfach durch strengere wissenschaftliche Systeme korrigierbar ist. Die schwache aktivistische Liaison zwischen dem Reformeifer des linken Flügels des Logischen Positivismus und dem revolutionären Aktivismus des kritischen Marxismus eines Korsch brach angesichts der völligen Erstarrung in die zwei Weltblöcke des „freien“ Westens und des „totalitären marxistischen“ Ostens zwangsläufig wieder auseinander. Die Auflösung der bipolaren, auf wechselseitige Vernichtung getrimmte Welt ließe eine neue fruchtbare gedankliche Belebung dann in den Fokus der Möglichkeit treten, wenn zunächst die ausschließenden Positionen gedanklich zurückgeholt werden in das Reich der offenen und experimentellen theoretischen Positionen. Eine dialektische Logik darf nicht per se ausgeschlossen bleiben nur weil sie mit den Maximen der als geltend bestimmten Logik als nicht vereinbar scheint.
Die Auflösung des geschichtlichen Spannungsverhältnisses von Wissenschaft und Philosophie durch den logischen Aufweis als Scheinproblem und die Reduktion des Problems auf die Erörterung von Wissenschaftstheorie einerseits und die mechanizistische, natur-evolutionistische Dialektik der geschichtlichen Entwicklung zum unvermeidlichen Kommunismus andererseits bilden in der sozialwissenschaftlichen Theorieentwicklung Sackgassen: Weder der Logische Positivismus noch der Marxismus-Leninismus konnten tatsächlich eine weiterführende Problemlösung der zentralen Fragen der Menschheit eröffnen. Man gewinnt den Eindruck, dass die leidvolle und irrational geprägte geschichtliche Entwicklung des zwanzigsten Jahrhunderts den gemeinsamen revolutionären Kern des ursprünglichen Positivismus verschüttet hat: die Idee, dass die soziale Entwicklung durch die Entfaltung von Wissenschaft und Technik politisch und moralisch zum Positiven fortschreiten werde.
Notes
- 1.
Vgl. Carl Korsch, sen. an Gustav Strupp vom 14. Februar 1911, Thür. Staatsarchiv Meiningen, NL Strupp, Mappe Nr. 9. Vgl. auch Erck und Rauprich (1998).
- 2.
- 3.
Vgl. Werner (1999).
- 4.
Vgl. Werner (2015a, 117). Zu Rudolf Carnap vgl. auch die Beiträge von André W. Carus, Christian Damböck, Adam Tuboly und Meike G. Werner in diesem Band.
- 5.
Vgl. hierzu Pokrovskij (2015, 89).
- 6.
Die Arbeit wurde tatsächlich abgeschlossen und Gerland bemühte sich intensiv um eine Publikation, die sich nicht nachweisen lässt. Auch in den verschiedenen Teilnachlässen von Heinrich Gerland findet sich keine Spur zu diesem Manuskript.
- 7.
Vgl. auch Lessing (2011, 52 ff.).
- 8.
Interessant ist die Grundstimmung auch bei Rudolf Carnap, der Pazifismus, Rationalismus und Internationalismus wie Korsch als eine wie immer geartete Form von Sozialismus ansah, über die er nicht weiter nachdachte. Das war freilich bei Korsch doch schon etwas weiterentwickelt.
- 9.
- 10.
- 11.
Vgl. Korsch (1980b). Vgl. dazu auch seine gesamte Auseinandersetzung mit der Sozialisierungsliteratur.
- 12.
Das ursprüngliche Konzept umfasste eine weitgefächerte Gesamtdarstellung des Marxʼschen Systems, wie aus einem Brief an seinen Lehrer Heinrich Gerland vom 2.3.1922 deutlich wird (abgedruckt in Korsch, 2001, 303–306). Dieser Hinweis findet sich in der ersten Fußnote, die Korsch in der 2. Aufl. von 1930, und damit in allen späteren Auflagen, getilgt hat.
- 13.
Vgl. Korsch (1993c). Im Nachlass Korsch befindet sich eine stenographische Mitschrift eines Vortrags von Einstein vom 14. November 1930 (abgedruckt in Korsch, 1996a, 757–767); vgl. dazu auch seine Diskussion mit dem japanischen Marxisten Eichito Sugimoto in den Briefen vom 7.4. und 7.5.1931 in Korsch (2001, 380–389).
- 14.
Auch wo eine Methodendiskussion unter dem Vorzeichen des Fraktionskampfes in der Frage der Konstitution des Leninismus nach Lenins Tod in der Dritten Internationale geführt wird, wie sich am Beispiel von Korschs Kritik an August Thalheimer zeigt, stehen bei Korsch die Begriffe doch für andere Inhalte. Die materialistisch-dialektische Methode ist das konkrete Begreifen des geschichtlichen Prozesses und der geschichtlichen Aktion der proletarisch-revolutionären Klasse. Thalheimer unterstellt er mit seiner leninistischen „Widerspiegelungstheorie“ eine Umwandlung dieser revolutionären Methode in eine „rein historische Erfahrungswissenschaft und Praktik“, also auch das, was er selbst zum methodischen Prinzip erhoben hatte. Materialistische Dialektik wird ein Grenzbegriff, an dem sich ermessen lasse, ob man ins Lager des „Historismus, Positivismus und Praktizismus“ (der Sozialdemokratie) übergelaufen sei. Die „materialistische Dialektik“ wird zum aktivistischen Ferment stilisiert, das den „objektiv und dialektisch“ verlaufenden Prozess der lebendigen Wirklichkeit zwar auch nicht vollständig „erkennen“ lässt, aber immerhin im Prinzip die umwälzende Tätigkeit und die wissenschaftliche Tatsachenerkenntnis zur Einheit bringen kann. Vgl. Korsch (1924, 320 ff.). Zum historischen Hintergrund dieser Auseinandersetzung vgl. Prat (1988, 113 ff.).
- 15.
Vgl. hierzu die Gemeinschaftsarbeit von Rudolf Carnap, Hans Hahn und Otto Neurath: „Wissenschaftliche Weltauffassung des Wiener Kreises“ (Carnap et al., 1979, 81–101).
- 16.
Starke Anklänge hierfür finden sich bei Otto Neurath in seiner 1931 zum ersten Mal erschienen Empirischen Soziologie. Damit ist jedoch keine grundsätzliche Kritik an den fortschrittlichen Tendenzen der damaligen Wiener Volksbildung intendiert, wie sie von vielen Mitgliedern des Wiener Kreises aktiv betrieben wurde. Zu Otto Neurath vgl. auch die Beiträge von Günther Sandner und Gangolf Hübinger in diesem Band.
- 17.
Vgl. Korsch (1996a, 241 f.).
- 18.
Dilthey (1959, 116).
- 19.
Es ist aufschlussreich, dass Korsch in „Marxismus und Philosophie“ ebenfalls die Selbstanwendung der Philosophie, in diesem Fall des Marxismus, betreibt und Dilthey und seine Schule unter den bürgerlichen Philosophen als am weitesten fortgeschritten würdigt. Korsch hat in Jena Seminare des letzten Assistenten von Dilthey, Herman Nohl, besucht. Siehe dazu die Briefe an Fränzel vom 11.05.1910 und 26.11.1911; ferner ist ein Brief von Korsch an Nohl vom 22.12.1918 überliefert. Abgedruckt in Korsch (2001, 82, 138 und 280).
- 20.
Vgl. Korsch (1996b).
- 21.
Vgl. dazu die in Band 5 der KoGA abgedruckten Einladungen zu den Vorlesungen im Winter 1928/29, 1930/31 und 1932/33, 729 ff.
- 22.
Vgl. Korsch (1996c).
- 23.
Hier greift Korsch einen Gedanken auf, den er bereits in seinem ersten Vortrag in der Gesellschaft für empirische Philosophie, „Der Empirismus in den Gesellschaftswissenschaften“, am 24.2.1931 gehalten hat. Das Manuskript dieses Vortrags ist nicht überliefert. Die Vossische Zeitung vom 28. Februar 1931 berichtet über den Vortrag, dass nach Korsch „der Empirismus keine abstrakte Methode“ sei, „keine Lehre von einer ‚Erfahrung – an sich‘, sondern eine wissenschaftliche ‚Arbeitsform‘, die sich in gesellschaftlicher Praxis zu bestätigen hat“.
- 24.
Karl Korsch an Paul Partos vom 26. Juli 1939, abgedruckt in Korsch (2001, 762).
- 25.
Zur Haltung Philipp Franks zum Kommunismus vgl. Danneberg (1990).
- 26.
An Eichito Sugimoto schreibt Korsch am 7.4.1931: „Eine wirkliche Überwindung des metaphysischen Dualismus von Subjekt und Objekt, Wahrheit und Wirklichkeit gibt es nur vom Standpunkt des dialektischen Materialismus und vom Standpunkt einiger amerikanischer Pragmatisten (John Dewey und seine Schüler), die nach meiner Meinung eine zwar unvollkommene aber doch immerhin die beste Fortsetzung dieser Hegel-Marxschen Anschauung in der neueren Zeit darstellen“ (Korsch, 2001, 380 f.). Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die absolut gegensätzliche Beurteilung seitens der wissenschaftlichen Philosophie auf der einen und der „Kritischen Theorie“ auf der anderen Seite. Vgl. hierzu Reichenbach (1989). – Auf Korschs Anfrage an Horkheimer, ob er an den Veranstaltungen zu Deweys achtzigstem Geburtstag teilnehmen würde, zeigte sich Horkheimer äußerst desinteressiert und fragt ausweichend Korsch um Rat, der ihm am 5.10.1939 antwortet: „Es ist schwer zu beantworten, ob ich Ihre Teilnahme an Dewey-Geburtstags-Veranstaltungen für wichtig genug halte, um Ihre gewohnte Abgeschlossenheit zu unterbrechen. Ich selbst habe in meinem Leben noch viel weniger derartige Veranstaltungen besucht als Sie, und wenn ich es tat, war ich meist sehr enttäuscht. Immerhin denke ich, dass Sie als Philosoph und als ‚kritischer Philosoph‘ in unserm Sinne, hier eine vernünftige Veranlassung hätten, teilzunehmen“ (Korsch, 2001, 802).
- 27.
In einem Entwurf des Vorworts zu seinem Buch über Karl Marx (1938[?]), das später als Teil „Ergebnisse“ in den deutschen Text einging, notiert Korsch stenographisch: „Die kritische Fortbildung der in der materialistischen Dialektik enthaltenen Keime zu einer von allen philosophischen Überresten befreiten, strengen wissenschaftlichen Methode der Sozialforschung bleibt einer späteren Arbeit vorbehalten“ (aus dem Nachlass von Herbert Levi beim Verf.).
- 28.
Vgl. Karl Korsch an Bertolt Brecht vom 31. Juli 1939 (Korsch, 2001, 779 f.). Es erscheint mir mehr als nur ein taktisches Zugeständnis an den amerikanischen Wissenschaftsbetrieb, dass Korsch seinen „Plan for Works“ für die Guggenheim-Stiftung mit dem altpositivistischen Grundsatz von Comte schließt: „Savoir pour prévoir, prévoir pour prévenir“ (NL Korsch, IISG, Nr. 92).
- 29.
Vgl. auch die Schilderung im Zusatz zum genannten Brief über die amerikanische Wissenschaft (Korsch, 2001, 776).
- 30.
Mit Ausnahme einer kurzfristigen Kriegs-Vertretung in New Orleans bleibt Korsch ein beruflicher Neuanfang in der Neuen Welt verschlossen. Sein Marx-Buch verschwindet im Horizont der wachsenden Dominanz des Positivismus und erscheint für den akademischen Raum – trotz seiner Marx-kritischen Aspekte – eher als Fremdkörper im sich zuspitzenden Konflikt des beginnenden Zweiten Weltkrieges.
- 31.
Interessant ist die Tatsache, dass Korsch auf Andeutungen von Partos über die „Beziehungen“ zwischen ihm und Korsch nach so langer Zeit, geschrieben in der Carnapʼschen Symbolsprache, selbst ebenfalls in dieser Sprache antwortet: „ich nehme mir heute mal die Zeit, um zu sehen, ob ich für (‘x)(‘y)f(x,y) einen Inhalt φ finden kann, der uns wieder berechtigt, ein E! davor zu setzen ⊢: φ(‘x)(‘y)f(x,y).).E!(‘x)(‘y)f(x,y)“ (Korsch, 2001, 762).
- 32.
Der Gedanke der Selbstanwendung der Wissenschaft im Sinne Hegels, dass „der Weg zur Wissenschaft selbst schon Wissenschaft“ zu sein habe, taucht implizit bereits 1923 in seiner Schrift „Marxismus und Philosophie“ auf, in der er die Methode der materialistischen Geschichtsauffassung auf die Geschichte der Entstehung und Entwicklung dieser Wissenschaft selbst anwendet. In seinem Arbeitsexemplar von Hegels Phänomenologie des Geistes (hrsg. von Johann Schulze, 2. Aufl., Berlin: Duncker und Humblot 1841, 27 und 60 [Hegel, Werke in zwanzig Bänden, 1970, Frankfurt am Main: Suhrkamp, Band 3, 38 und 70]), das stenographische Annotationen aus der Zeit des amerikanischen Exils enthält, vermerkt Korsch an der entsprechenden Stelle des Zitates aus der Einleitung: „Soziologie des Wissens“, die Korsch in der Version Karl Mannheims allerdings ablehnte. Wenige Seiten vorher notiert er zum gleichen Stichwort: „Zum ganzen Problem: 1. Das Wissen von außen, als eine Tatsache von anderen, 2. besondre Beziehung, dass das Wissen von anderen Tatsachen weiß, 2. [sic!] das Wissen weiß vielleicht auch von sich selbst und von seinem Wissen, 3. seine (vielleicht auch nicht) Identität der Tatsachen, von denen das Wissen weiß und die wir über diese gewussten Tatsachen (und das Wissen von ihnen) wissen (‚für es‘ und ‚für uns‘) Nr. 3 ist das Problem der Ideologie“ (aus dem Nachlass von Korsch beim Verf.).
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Buckmiller, M. (2022). Karl Korsch und der Logische Empirismus. Ambivalenzen, Kritik, Perspektiven. In: Damböck, C., Sandner, G., Werner, M.G. (eds) Logischer Empirismus, Lebensreform und die deutsche Jugendbewegung. Veröffentlichungen des Instituts Wiener Kreis, vol 32. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-030-84887-3_13
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