Ausbildung neu gedacht - A-STAR am Uniklinikum Regensburg Für eine optimale Patient*innenversorgung arbeiten viele Berufsgruppen im Gesundheitswesen wie Pflege, Medizin, Ergotherapie und Pharmakologie Hand in Hand. Die Ausbildung ist jedoch überwiegend monoprofessionell angelegt. Interprofessionalität ist aber, wie die WHO in ihrer Leitlinie 2010 konstatiert, keine Selbstverständlichkeit. Sie muss erlernt und geübt werden.

Die Bundesregierung hat die Notwendigkeit erkannt, eine interprofessionelle Ausbildung zu integrieren und dies sowohl im Pflegeberufegesetz als auch im Entwurf der neuen Approbationsordnung für Ärzt*innen betont. Zudem wird im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin die Implementation interprofessioneller Lernmodule und Prüfungen in der gesamten Ausbildung gefordert. Dennoch werden nach wie vor nur vereinzelt interprofessionelle Lerneinheiten in Ausbildung und Studium integriert angeboten. Dabei ist das Interesse daran auf Seiten der Auszubildenden und der Studierenden sehr hoch.

Schweden beispielsweise belegt mit überzeugenden Erfahrungen, dass eine anteilige professionsübergreifende Ausbildung ein Erfolgsfaktor für eine effektive und effiziente Patient*innenversorgung ist. Interprofessionalität schlägt hier eine Brücke zwischen Pflege und Medizin mit dem Ziel, ein partnerschaftliches und rollenspezifisches Miteinander der Professionen zu leben. Im Fokus steht der Austausch von berufsspezifischen Fachkenntnissen und Fertigkeiten, die sich wechselseitig ergänzen. Im interprofessionellen Miteinander werden Synergien erzeugt, die Effizienz wird gesteigert, Kompetenzen gebündelt und gemeinsam das Patient*innenwohl gestärkt. Interprofessionelle Zusammenarbeit ist ein Prozess, in dem unterschiedliche Berufsgruppen gemeinsam nach einem Handlungs- bzw. Lösungsansatz für eine Situation oder ein Problem suchen. Ausgehend von Schweden haben sich interprofessionelle Ausbildungsstationen in den letzten Jahrzehnten als ideale Lernumgebung bewährt. Auszubildende und Studierende verschiedener Gesundheitsberufe versorgen gemeinsam und eigenverantwortlich Patient*innen unter der Supervision von Lernbegleiter*innen. Im Stationsalltag ergeben sich zahlreiche Schnittpunkte als "Teachable Moments" in der interprofessionellen Lehre. Beispiele hierfür sind das Anamnesegespräch, das Entlassungsmanagement, die Visite und die Übergabe.

Das Konzept der A-STAR am UKR

Das Universitätsklinikum Regensburg (UKR) versorgt als Supramaximalversorger stationär wie ambulant Patient*innen vor allem aus dem ostbayerischen Raum. Als Einrichtung der Forschung und Lehre ist das UKR auch für die praktische Ausbildung unterschiedlicher Gesundheitsberufe zuständig. Damit ist der Grundstein für interprofessionelle Lehre gelegt. Nach mehreren kleineren interprofessionellen Projekten wurde auf Initiative der Klinik für Innere Medizin I unter der Leitung von Prof. Dr. med. Martina Müller-Schilling in Kooperation mit der Pflegedirektion und der Stabsabteilung Personalentwicklung ein gemeinsames Konzept entwickelt. Am 1.10.2019 wurde die Interprofessionelle AusbildungsSTAtion Regensburg "A-STAR" nach ca. einjähriger Vorplanung mit acht Betten feierlich eröffnet.

figure 1

© UKR

Planung, Versorgung, Bewertung und Evaluation - Lernende aus Medizin und Pflege gestalten eigenverantwortlich ihre Stationsarbeit.

Unter dem Motto "BE A STAR" gestalten die Lernenden aus Medizin und Pflege eigenverantwortlich die Planung, Versorgung, Bewertung und Evaluation ihrer professionsspezifischen Tätigkeiten. Dazu gehören im interprofessionellen Team organisierte Visiten, Fallbesprechungen, Fortbildungen und Reflexionen. Die Lernenden teilen sich einen Arbeitsraum, was wesentlich zu einem menschlich und fachlich gewinnbringenden Miteinander beiträgt. Durch die enge Zusammenarbeit und die intensive Kommunikation entsteht ein professionsübergreifender Lernzuwachs (Mahnke 2020). Begleitet wird dies durch ein Lehr- und Forschungskonzept mit Einheiten im Skills Lab, Vorträgen, Referaten und gemeinsam besuchten medizinischen und wissenschaftlichen Kongressen.

Perspektive der Lernbegleitung

Für die Supervision stehen den Lernenden pro Schicht eine examinierte Pflegefachkraft und eine Ärztin/ ein Arzt zur Seite. Beide Professionsvertreter*innen fungieren im Team als Lernbegleitung, deren Aufgabe es ist, bei Fragen und Problemen Hilfestellung zu leisten und den Lernenden dabei zu helfen, eine tägliche Stationsroutine zu etablieren, sich ansonsten aber eher im Hintergrund zu halten. Die Lernbegleiter*innen werden regelmäßig geschult und entwickeln ihre Kompetenzen weiter, auch und vor allem im Hinblick auf die interprofessionelle Zusammenarbeit.

Für die A-STAR wurde ganz bewusst der Begriff Lernbegleitung eingeführt, in deutlicher Abgrenzung zur sonst üblichen Praxisanleitung bzw. Betreuung der Studierenden im Praktischen Jahr (PJ-Betreuung). Eine Lernbegleiterin/Lernbegleiter versteht sich als Coach der/des Lernenden: Kernaufgabe ist es, die Lernenden darin zu bestärken, ihre Eigenständigkeit in Lern- und Entscheidungsprozessen auf- und auszubauen. Die Lernenden sollen nach Möglichkeit weitgehend selbstständig arbeiten, selbst entscheiden, was, wann und wie mit wem zu tun ist, und so ihre berufsspezifische und interprofessionelle Handlungskompetenz erweitern. Gleichzeitig trägt die Lernbegleitung aber immer auch die Verantwortung dafür, dass alle Patient*innen pflegerisch und medizinisch umfassend und fachgerecht versorgt werden. Das heißt, dass diese jederzeit und bei jedem Problem in der Lage sein müssen, zu erkennen, ob und wann eine Intervention nötig ist. Insofern erfordert die Aufgabe der Lernbegleitung ein hohes Maß an Urteilsvermögen, eine gute Beobachtungsgabe und die Fähigkeit, situativ einzuschätzen, ob die Lernenden den Anforderungen gewachsen sind oder mehr Unterstützung benötigen. Zudem braucht es kontinuierliches gegenseitiges Feedback, um Über- und Unterforderung zu vermeiden und Entwicklungen zu reflektieren.

Perspektive der Lernenden

Sowohl die Pflegeauszubildenden als auch die Medizinstudierenden erleben den Einsatz auf der A-STAR (Praktisches Jahr: zwölf Wochen, Pflegeausbildung: vier bis sechs Wochen) als große Bereicherung und umfassenden Kompetenzgewinn. So zeigt die begleitende wissenschaftliche Evaluation, dass 100 % der Pflegeauszubildenden und 98 % der Studierenden im Praktischen Jahr ihren Freunden einen Einsatz auf der A-STAR empfehlen würden. Nach nunmehr dreijähriger Erfahrung mit der A-STAR bestätigen sowohl die regelmäßig durchgeführten mündlichen als auch die standardisierten schriftlichen Befragungen, dass die Lernangebote von den Lernenden sehr gut angenommen werden. Das Konzept wurde daher sukzessive ausgeweitet - mittlerweile werden auch Pharmakologie-Studierende und Auszubildende der Physiotherapie auf der A-STAR eingesetzt.

Die Wertschätzung und das Verständnis für die jeweils andere Berufsgruppe wachsen im Laufe des Einsatzes kontinuierlich. Dies belegen die Ergebnisse der vergleichenden Befragung beider Berufsgruppen zu Beginn und am Ende ihres Einsatzes. Hier zeigt sich in standardisierten Fragebögen ein signifikanter Zuwachs an interprofessioneller Kompetenz. Durch den gemeinsamen fachlichen Austausch und die konkrete Zuordnung des Aufgabenspektrums erhalten die Lernenden vielfältige Einblicke in die Arbeit der jeweils anderen Profession. Alle Beteiligten sind offen für Fragen zu berufsspezifischen Tätigkeiten und geben gerne Informationen weiter. Die monoprofessionelle Perspektive wird erweitert, so dass eine interprofessionelle Zusammenarbeit möglich wird.

Kommunikative Kompetenz als Herausforderung

Neben der fachlichen Kompetenz erfährt auch die kommunikative Kompetenz im Laufe des Einsatzes eine stetige Steigerung. Zu Beginn ist sowohl für die Lernenden der Pflege als auch für die Medizinstudierenden die täglich geforderte Kommunikation mit der jeweils anderen Berufsgruppe noch ungewohnt. Schließlich gibt es in der Ausbildung wenig Berührungspunkte im Arbeitsalltag, weshalb die kommunikative Kompetenz im interprofessionellen Kontext eher gering ausgeprägt ist. Durch die interprofessionellen Lernangebote auf der A-STAR erwerben die Lernenden die erforderlichen Skills, um ihre kommunikative Kompetenz auszubauen.

Die Entwicklung der Fach- und Methodenkompetenz ist ein weiterer Gewinn für die Lernenden: Sie berichten von einer stetig steigenden Lernkurve im Verlauf des Einsatzes. Die selbstständig durchzuführende Patient*innenversorgung, die alle Prozessschritte von der Aufnahme bis zur Entlassung umfasst, ist gerade zu Beginn eine große Herausforderungen, die wesentlich zur Reifung von fachlichen und methodischen Kompetenzen beiträgt. J. H. Pestalozzi sagte: "Der Mensch lernt mit Kopf, Herz und Hand." Indem die Theorie in die Praxis transferiert wird, erhält das Gelernte eine neue Qualität - denn die Realität des Stationsablaufes erfordert eine ständige Überprüfung des theoretisch Gelernten. Was in der Praxis tatsächlich wie funktioniert und sich in das Zusammenspiel der Berufsgruppen einfügt, wird im Austausch mit dem interprofessionellen Team Tag für Tag deutlicher. Die unterschiedlichen Wissensbestände werden wechselseitig gehört, gesehen, diskutiert und selbst angewandt - das führt zu einem nachhaltigen Lernprozess.

In den Befragungen der Lernenden im Vorfeld ihres Einsatzes auf der A-STAR zeigt sich ein klarer Trend, was diese von einer Ausbildungsstation erwarten: Sie wollen eigenständiges und ganzheitliches Arbeiten lernen, ihre fachlichen Kompetenzen erweitern, ihr Zeitmanagement verbessern, im interprofessionellen Team kommunizieren, Eigenverantwortung übernehmen und auf das Berufsleben vorbereitet werden. All diese Erwartungen sind Bestandteil des zuvor beschriebenen Konzepts der A-STAR.

Perspektive der Institution

Eine interprofessionelle Ausbildungsstation bringt nicht nur Vorteile für die Lernenden, sondern auch für die Institution. Im Aufbau müssen Investitionen getätigt werden, die sich jedoch im Laufe der Zeit amortisieren. Eine interprofessionelle Ausbildungsstation erfordert eine Anpassung des Raumkonzeptes. So ist ein zentraler Bestandteil ein gemeinsamer Arbeitsraum. Es müssen Fachkräfte aus Medizin und Pflege und weiterer Berufsgruppen für die Aufgabe der Lernbegleitung gewonnen und geschult werden. Die unterschiedlichen Ausbildungsrahmenpläne sind zu beachten - die Pflege absolviert kürzere Einsätze als die PJ-Studierenden, was bei der Gesamtplanung der Stationsbesetzung organisatorisch durchaus herausfordernd ist. Hinzu kommen curriculare Veränderungen: So hat das Pflegeberufegesetz die Zeitfenster für einen Einsatz auf der A-STAR, für die Auszubildende der Pflege weiter eingeschränkt. Der Wechsel zwischen A-STAR-Betrieb und Normalbetrieb (Wochenenden sowie kurze Phasen, in denen keine Auszubildenden eingesetzt werden können) auf ein und derselben Station bringt Herausforderungen in der Dienstplanung mit sich.

Im Gesamtbudget für die A-STAR bilden die höheren Personalkosten den größten Posten. Die DRG-Erlöse sind auf der Ausbildungsstation vergleichbar mit denen auf konventionellen Stationen. Bei den Sachkosten zeigt sich ein verantwortungsvoller Umgang mit den Ressourcen. Die Abwägung, ob der Nutzen aus Sicht der Institution den finanziellen Mehraufwand rechtfertigt, muss im Vorfeld der Implementierung erfolgen. In Zeiten des Fachkräftemangels erweist sich die A-STAR für das UKR aber als Erfolgsfaktor: Die Möglichkeit des Einsatzes dort ist ein Alleinstellungsmerkmal sowohl der Pflegeausbildung als auch des Praktischen Jahres. Davon profitiert auch das Fachgebiet. Die neue Aufgabe als Lernbegleitung bietet den Mitarbeitenden eine interessante Entwicklungsmöglichkeit, die die Bindung an das Unternehmen festigen kann.

Perspektive der Patient*innen

Was im Kontext der A-STAR immer wieder in Frage gestellt wird, ist die Patient*innensicherheit. Während in anderen Ländern interprofessionelle Ausbildungsstationen fester Bestandteil in den Gesundheitsberufen sind, begeben sich Einrichtungen in Deutschland in unbekanntes Terrain - auch im Hinblick auf haftungsrechtliche Fragen. Die Frage, ob es überhaupt zulässig ist, die Patient*innenversorgung von Lernenden unter Supervision durchführen zu lassen, wird regelmäßig gestellt. Auch werden Bedenken geäußert, was die Patient*innen davon halten, wenn sie vorrangig von Auszubildenden und PJ-lern betreut werden. Doch das Konzept ist haftungsrechtlich abgesichert: Durch die durchgängige Präsenz von Lernbegleiter*innen aus Medizin und Pflege ist die Patient*innensicherheit jederzeit gewährleistet. Alle Behandlungsschritte werden von den Fachkräften supervidiert. Da viele Kliniken Lehr- und Ausbildungskrankenhäuser sind, ist es für Patient*innen normal, dass sie von Lernenden betreut werden. Insofern ergeben sich für die Patient*innen keine Nachteile, wenn sie auf die A-STAR aufgenommen werden. Im Gegenteil: Die Befragung der Patient*innen zeigt durchweg positive Ergebnisse. Besonders hoch ist die Zufriedenheit der Patient*innen mit der Behandlung, der Kommunikation und dem Ablauf des Krankenhausaufenthalts. Dabei wird der Faktor Zeit für Zuwendung und Information von den Patienten explizit hervorgehoben.

Zusammenfassend erleben die Patient*innen - die nicht nach Komplexität selektiert, sondern im Rahmen eines regulären Bettenmanagements auf die A-STAR gelegt werden - die Versorgung als großen Mehrwert: Die Betreuung durch die Auszubildenden und die PJ-Studierenden ist besonders intensiv und persönlich. Nahezu 100 % der Patient*innen würden die Ausbildungsstation Familie und Bekannten weiterempfehlen. 98 % der Befragten empfinden, dass Pflege- und Ärzteteam harmonisch Hand in Hand arbeiten und erleben diese Zusammenarbeit besser als auf konventionellen Stationen (Kasten).

Literatur

  • World Health Organization (2010) Framework for action on interprofessional education and collaborative practice. No. WHO/HRH/HPN/10.3. World Health Organization

  • Mahnke A, Müller-Schilling M (2020) Pflegende und Ärzte: Kommunikation auf Augenhöhe. Das Regensburger Modell - interprofessionell und wegweisend. Schlütersche, Hannover