Keine Gesundheit ohne Hygiene (Teil 2) Hygiene und Infektionsprävention berühren alle gesellschaftlichen Aktivitäten. Zusammen mit den multiresistenten Bakterien stellen RNA-Viren die derzeit größte Herausforderung an die Pflege in unserer Gesundheitsversorgung.

Der überwältigende Fortschritt im 19. Jahrhundert im Verständnis von Seuchen (z.B. Tuberkulose, Cholera) durch bakterielle Erreger lässt andere schwerwiegende Epidemien wie Pocken, Masern oder Influenza noch unverstanden. Die grundsätzliche Unterschiedlichkeit in Dimension, Struktur und Biologie der diesen Epidemien zugrundeliegenden Agenzien wird erst ab den 1930er Jahren aufgedeckt. Die Spanische Grippe von 1918/19 war in ihrem infektiösen Agens ungeklärt (Salzberger et al. 2018) und stellt die bereits verausgabte Gesundheitsversorgung am Ende des ersten Weltkrieges vor allerschwerste Herausforderungen (Robinson 1990). Verluste im medizinischen und pflegerischen Personal werden als "Opfer treuer Pflichterfüllung" betrachtet (Braunschweig 2019) und sind nicht umfassend beziffert.

Die Dimension der Grippeerreger wurde erst in den 1930er Jahren klar. Rachenspülungen von Patienten, früh nach dem Beginn definitiver Symptome einer saisonalen Influenza, konnten, auch nach einer Filtration zur Entfernung von bakteriellen Keimen, bei Frettchen Grippe-ähnliche Symptome auslösen und anschließend von infizierten auf zuvor gesunde Tiere übertragen werden (Smith et al. 1933). Smith legte die Grundlage für die Zuordnung der Pathogene zu den Viren und eröffnete die systematische Analyse dieser neuen Gruppe von Krankheitserregern. Es ist ein aufwändiges Stück Medizingeschichte, an dem auch Studien mit der Schweinegrippe beteiligt waren. Smith und Kollegen, die eigentlich mit Frettchen arbeiten wollten, hatten mit ihren Frettchen Pech. Zur selben Zeit bekam Smith die Grippe und war der (humane) Virus-Spender. Dadurch gab es die direkte Verbindung zum Menschen. Die Grippe wurde damit zum Ziel der Impfstoffherstellung (Barberis et al. 2016).

Wiederkehrende Grippe-Pandemien im 20. Jahrhundert verweisen auf ein erhebliches Bedrohungspotenzial (Kilbourne et al. 2006). Grippeviren besitzen Wege zur Reorganisation des genetischen Materials zwischen Virusstämmen, welche die respiratorischen Gewebe verschiedener Säugetier- und Vogelarten infizieren. Bei der asiatischen Grippe 1957/58 und der Hongkong-Grippe 1968/69 wurden neu angeordnete Elemente aus zirkulierenden Nachfolge-Stämmen des "Spanischen Grippe"-Virus von 1918/19 und von Vogelgrippe-Stämmen gefunden (Taubenberger et al. 2001).

Das antibiotische Zeitalter und bakterielle Anpassungsmechanismen

Erste Erfolge im Kampf gegen Infektionen zeichneten sich in den 1930er Jahren ab. Mit der Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming und der Herstellung des Penicillin G zum 2. Weltkrieg im industriellen Maßstab, wurde ein dramatischer Erfolg bei der Behandlung von Infektionen durch Gram-positive Bakterien erreicht (Chain 1972). Allerdings werden bereits im Jahr 1940 Bakterienstämme mit enzymatischer Aktivität zum Abbau von Penicillin auffällig (Abraham und Chain 1988). Gene für Lactamasen - die zur Inaktivierung von Antibiotika wie Penicillin verantwortlichen "schwarzen Schafe" unter den Enzymen - verbreiteten sich in bakteriellen Genomen zunächst im 2. Weltkrieg, dann ab den 1970er Jahren in Wellen in verschiedenen Bakterienstämmen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts verdichtete sich die Wahrnehmung einer globalen Bedrohung durch pan-resistente, gegen alle verfügbaren Antibiotika resistente Bakterienstämme (Jean et al. 2022).

Das 21. Jahrhundert im Zeichen hochinfektiöser RNA-Viren

Bereits 1931 wird eine augenscheinlich neue respiratorische Erkrankung bei jungen Hühnchen beschrieben, welche in Nordamerika zahlreiche Zuchtbestände erfasst und zwischen 40% und 90% der infizierten Tiere tötet. Der zu derselben Virusgruppe gehörende SARS-CoV-2-RNA Virus markiert 2019 den dritten Eintrag aus der Gruppe der Coronaviren in die menschliche Bevölkerung (V'kovski et al. 2021). Nach zwei Epidemiewellen mit den verwandten Coronaviren SARS-CoV-1 (2002/2003) und MERS (2012) löst das neue Corona-Virus SARS-CoV-2 (RKI 2022) 2019 eine massive, anhaltende Pandemie-Welle aus, der nach zwei Jahren über sechs Millionen menschliche Todesfälle weltweit zugeordnet werden.

In der Ebola-Epidemie von 2014-2016 (Kamorudeen et al. 2020) konnte sich ein RNA-Virus hoher Mortalität in mehreren westafrikanischen Staaten ausbreiten. Dabei stellt sich die Frage, wie Deutschland auf ein ähnliches Ereignis vorbereitet ist (Grünewald 2014)? Die Situation in der COVID 19-Pandemie spricht hier eine differenzierte Sprache. Die Zahl von Infektionsausbrüchen in der laufenden COVID 19-Pandemie in Pflegeheimen bleibt hoch (RKI 2022). Von dort kommt der überproportionale Anteil der Todesfälle vor dem Einsatz erster Impfstoffe im Jahr 2020. So sind nicht alle Bereiche der Gesundheitsversorgung ausreichend gewappnet.

Hygienekompetenz und saubere Hände

Die Grundlagen für unser Verständnis von Hygiene in der Gesundheitsversorgung wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelegt. Die dramatische Verringerung der Sterberaten durch eine Grundsauberkeit in der Umgebung verwundeter Soldaten und dem desinfizierenden Waschen der Hände in Entbindungsstationen, ebenso wie die Vermeidung von Wundinfektionen und Sepsis bei Operationen durch Desinfektion von OP-Besteck, Chirurgen-Hände und Patienten-Umgebung steht im Einklang mit der Keimtheorie der Infektionsauslösung (Ernsberger 2023). Durch Fortschritte in jedem Teilbereich etablierten sich chemische und thermische Sterilisationsverfahren, eine auf geeigneten Temperaturen und Waschmitteln basierende Reinigung von Textilien sowie das desinfizierende Händewaschen und die Verwendung von Einmalhandschuhen. 100 Jahre nach den Befunden von Ignaz Semmelweis und Robert Koch wird von amerikanischen und deutschen Leitinstituten die Hand-Hygiene als eines der effizientesten Elemente zur Verhinderung nosokomialer Infektionen und als die wirksamste Einzelmaßnahme zur Unterbrechung von Infektionsketten bewertet (Simmons 1983; KRINKO 2016).

Durch den Wechsel der Hände-Desinfektion zu Alkohol-basierten handverträglichen Desinfektionsmitteln und die damit verbundene Zeitersparnis, wurde eine Steigerung der Compliance mit den Regeln zur Händedesinfektion, mit einer Reduktion Pflege-assoziierter Infektionen und Antibiotika-resistenter Pathogene erreicht (Vermeil et al. 2018). Dennoch wird die Empfehlung zum Händewaschen oder Handschuhwechsel immer noch zu wenig befolgt (Imhof et al. 2021), und verschmutzte Einmalhandschuhe sind ein erheblicher Faktor bei der Keimverschleppung in der Patientenversorgung (Lindberg et al. 2020).

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Ausbildung, Wissen und Compliance sind essentiell

2020 wurden die Gesundheitssysteme weltweit bis an die Grenzen herausgefordert: Mit verschiedenen Bausteinen wird nach wie vor versucht, den Herausforderungen durch die COVID 19-Pandemie und die multiresistenten bakteriellen Pathogene zu begegnen. Das One Health-Konzept (Niedrig et al. 2017) zielt auf einen bedarfsgerecht begrenzten Einsatz von Antibiotika in der Krankenversorgung, der Landwirtschaft und der Umwelt ab. Ein weiterer Baustein ist die verbesserte Infektionsprävention in der pflegerischen Versorgung (Schwerdtner & Graf 2021). Durch die Verschleppung von Pathogenen von der Klinik über das Pflegeheim bis in die gesunde Bevölkerung (Gastmeier 2010) wird ein besonderer Anspruch an Ausbildung und Wissen gestellt. Hohe Aufmerksamkeit gilt dabei den Arbeitsroutinen und der Basishygiene in der Pflege, die sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich zentrale Schutzfunktionen erfüllen. Die Compliance mit den Empfehlungen zur Handhygiene und bei der Verwendung von Einmalhandschuhen sowie die Benutzung von Mund-Nase-Schutzmasken zur Vermeidung respiratorischer Infektionen (Sommerstein et al. 2020) sind essenziell.

Die potentielle Verschleppung viraler und bakterieller Pathogene aus Aerosolen und Körperausscheidungen, von Haut und Kleidung oder einer Vielzahl von Oberflächen in einer Patienten-Umgebung verlangt eine präzise Anpassung von Arbeitsabläufen und das Vermeiden der Berührung unreiner Oberflächen in aseptischen Arbeitsabläufen. Diese Anforderung geht deutlich über das bloße Händedesinfizieren hinaus (Gartmeier et al. 2017) - mit dem Ziel, nosokomiale Infektionen, das Leid Betroffener und gleichzeitig die Behandlungskosten zu reduzieren (Vermeil et al. 2019).

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