Patient*innen und Angehörige einbeziehen Partizipation in der Palliativversorgung verspricht eine höhere Relevanz und Qualität der Forschung, eine bessere Rückführung in die Versorgungspraxis und damit eine Erhöhung der Versorgungsqualität. Ob die gesellschaftlich verstärkt geforderte Partizipation Betroffener in Forschungsaktivitäten umgesetzt wird und welchen Mehrwert sie für die Versorgungspraxis bringt, erhebt eine Befragung unter Forschenden der Palliativversorgung.

Zunehmend gesellschaftlich und politisch gefordert (Bundesministerium für Bildung und Forschung o. J.), aber bisher strukturell nur in wenigen Fällen unterstützt oder gar gefördert, gewinnt Partizipation von Patient*innen, Bürger*innen und Akteur*innen auch im Gesundheitswesen zunehmend an Bedeutung. Partizipative Forschung lässt sich im weitesten Sinne als Forschung 'mit' oder 'von' Mitgliedern der Öffentlichkeit und Patient*innen beschreiben und von Forschung 'an', 'über' oder 'für' sie abgrenzen (Involve 2012) und wird als "neue Generation von Forschung" (Biggane et al. 2019) bezeichnet. Wissenschaftler*innen verfolgen verschiedene partizipative Forschungsansätze und (Stufen-)Modelle (Wright 2011; Unger 2012; Kirschning et al. 2012; Schubotz 2020) und orientieren sich an (inter)nationalen Initiativen und Strategien (Patient Focused Medicines Development 2018; The Involve Foundation 2022).

Die Palliativversorgung (Sepulveda 2002) umfasst die Versorgung von Patient*innen mit lebensbegrenzenden Erkrankungen und ihren An- und Zugehörigen. Patient*innen können Einschränkungen ihrer Partizipationsfähigkeit auf verschiedenen Ebenen - beispielsweise Wohlbefinden, Konzentration, Kognitionen, Einwilligungsfähigkeit - aufweisen und benötigen dann Vertreter*innen, die für ihre Belange sprechen. An- und Zugehörige sind meist selbst stark belastet und ihre unterschiedlichen Rollen und Funktionen generieren vielfältige eigene Bedürfnisse: Neben der Trauer und dem unmittelbaren Mit-Erleben des Krankheitsgeschehen übernehmen sie vielfältige Aufgaben der Fürsorge sowie in vielen Fällen eine zentrale Rolle bei der Entscheidungsfindung im Sinne der Patient*innen (Oechsle 2019; Marco et al. 2022). Auch die in der Palliativversorgung tätigen multiprofessionellen Teams sind täglich mit Situationen des Leids, Sterbens und Todes konfrontiert und agieren entsprechend ihrer Werte und Ansprüche an die Versorgung (Kurkowski & Heckel 2021). Aufgrund der sensiblen und intimen Lebensphase des Lebensendes und der damit verbundenen Herausforderungen für alle Beteiligten, ist eine an den Bedürfnissen und versorgungsrelevanten Fragen orientierte Palliativforschung ethisch umso mehr geboten.

Partizipation in der Palliativforschung kann Möglichkeiten bieten, für die verschiedenen Betroffenengruppen relevante Fragen zu stellen und zu beantworten sowie gemeinsam Strategien für eine zielgerichtete, nachhaltige Wissenschaftskommunikation und den Praxis-Transfer der Ergebnisse zu entwickeln. Forschungsthemen könnten sich aus der Perspektive von Patient*innen auf ihre Einbindung in Entscheidungsprozesse beziehen. Für Angehörige können Zugangsbarrieren zur Palliativversorgung von Interesse sein und für Fachpersonen Fragen zu Bewältigungsstrategien bei beruflichen Herausforderungen oder Fragen nach der Wirksamkeit von beispielsweise symptomlindernden pflegerischen Interventionen.

Neueste internationale Literatur zu Forschung in der Palliativversorgung befasst sich mit den Potentialen und der Wirksamkeit von Patient and Public Involvement (PPI) in der Palliativforschung (Johnson et al. 2020; D'Eer et al. 2022), während in Deutschland wenige Erfahrungsberichte vorliegen (Herbst et al. 2019; Heckel et al. 2019, 2020). Möglicherweise findet in der Forschungspraxis (AG Forschung 2022) aber mehr Partizipation statt als in Veröffentlichungen berichtet wird (Price et al. 2018). Ziel des Beitrages ist die Pilotierung einer Befragung von Wissenschaftler*innen zu der Frage, inwiefern Partizipation in der Forschung in Deutschland stattfindet und für welche Forschungsfragen diese als besonders gewinnbringend erachtet wird. Die Betrachtung erfolgt am Beispiel der Palliativversorgung. Anhand der Ergebnisse diskutieren wir den erwarteten Mehrwert der Beteiligung von Patient*innen, An- und Zugehörigen, Bürger*innen und Fachpersonal an Forschung für die berufliche Praxis.

Methode: Befragung mittels Online-Survey

Eine Befragung von Forschungseinrichtungen der Palliativversorgung fand mit einem selbstentwickelten Fragebogen zwischen März und Juni 2022 statt. Der mittels Online-Survey (Unipark) erhobene Fragebogen enthielt 14 Fragen zum Verständnis von Partizipation, den üblichen Vorgehensweisen und Strukturen in der Forschung zur Palliativversorgung, zu den partizipierenden Personengruppen, zu förderlichen und hinderlichen Faktoren sowie zum Nutzen und der Evaluation der Qualität der Partizipation. Neben den Fragen mit Auswahloptionen konnten sich Teilnehmende auch in Freitextfeldern äußern. Für den Begriff und das Konzept von Partizipation wurden keine Definitionen vorgegeben. Wir nutzten die Kontaktdaten der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin e. V. (DGP) (Mitglieder AG Forschung, Newsletter an alle DGP-Mitglieder) für die Einladung zur Befragung. In der Instruktion wurde darum gebeten, den Bogen stellvertretend für die Forschungsabteilung zu beantworten und den Fragebogen auch dann auszufüllen, wenn keine partizipativen Ansätze umgesetzt werden, um Gründe dafür zu erfragen. Zur Auswertung der Häufigkeiten und der Freitextfelder wurden die Daten von Unipark in SPSS (Version 28.0.0.0) exportiert und deskriptiv ausgewertet.

Ergebnisse

Zehn Vertreter*innen von neun universitären und einer nicht-universitären Einrichtung nahmen teil. Die Hälfte war ausschließlich in der Forschung tätig. Zwei Einrichtungen gaben an, keine partizipative Forschung umzusetzen. Als Gründe wurden fehlende Methodenkenntnisse genannt. Die folgende Darstellung bezieht sich auf die acht Einrichtungen, die partizipative Forschungsansätze anwenden.

Die Anzahl der an Forschung partizipierenden Personen wurde zwischen 2 und 28 angegeben; den Freitexten ist jedoch zu entnehmen, dass in den Einrichtungen die Anzahl schwankt oder bedarfsabhängig variiert. In je sieben Einrichtungen partizipieren Fachpersonal und An- und Zugehörige von Patient*innen an Forschung und in vier Einrichtungen Patient*innen und -vertreter*innen. Mitglieder von Selbsthilfegruppen und andere (politische) Interessensgruppen spielen eine weniger zentrale Rolle.

Partizipation erfolgt in zwei Einrichtungen teils sporadisch teils regelmäßig (Tab. 1, e-only). Eingeschätzt anhand der vier Stufen nach Kirschning et al. (2012) gaben die Einrichtungen an, Partizipation erfolge vorrangig als Mitbestimmung (n=5), Mitwirkung (n=4) oder Beratung (n=6). Häufig erfolgt Partizipation bei der Dissemination, der Datenerhebung und der Datenauswertung- und Interpretation, sporadisch bei Antragsstellung und Methodenwahl (Abb. 1, e-only).

Die Befragten hielten Themen der Patient*innenversorgung (n=3), wie beispielsweise die Entwicklung geeigneter Interventionen, Behandlungskonzepte, Unterstützungsangebote und deren Implementierung, sowie Aufklärung und Einwilligung (in Bezug auf Information zu Studien, aber auch auf Behandlungs- oder Therapiemaßnahmen) für Partizipation geeignet. Studien zu Versorgungsstrukturen und -formen als Untersuchungsgegenstand wurden von vier Teilnehmenden sowohl als geeignet für die Partizipation von Patient*innen sowie An- und Zugehörigen als auch für Fachpersonen oder andere (politische) Interessensgruppen gesehen, wenn von diesen beispielsweise Empfehlungen in die Praxis umgesetzt werden. Eine Beteiligung bei der Interpretation von Daten und Ergebnissen wird insbesondere beim Vergleich zwischen Standorten als gewinnbringend betrachtet.

Zu den am häufigsten von den Teilnehmenden beobachteten Auswirkungen gehören eine Verbesserung der Qualität der Forschung (n=6) und eine erleichterte Verbreitung von Forschungsergebnisse (n=6). Bessere Chancen bei der Bewilligung von Anträgen für Drittmittelförderung zur Finanzierung von Forschungsprojekten oder bessere Chancen, die Studienergebnisse in Fachzeitschriften zu veröffentlichen, wurden selten gesehen (Tab. 1, e-only). Auswirkungen der Partizipation wurden, mit Ausnahme einer Einrichtung, nicht wissenschaftlich überprüft.

Diskussion

Die Ergebnisse dieser ersten Befragung in der deutschen Landschaft der Palliativforschung zeigen: Partizipation findet in der Palliativforschung vorwiegend durch mitwirkende und beratende Formate statt. Veröffentlichungen zu Forschungsprojekten bilden dies bisher noch selten ab (Price et al. 2018), wobei entsprechende Leitfäden für die Berichterstattung bereits vorliegen (Staniszewska et al. 2017). Die Bedeutung sorgfältiger Berichterstattung zu Art und Umfang der Partizipation ist angesichts einer Vielzahl von Konzepten, Begriffen, Herangehensweisen und Ausrichtungen der Partizipation hoch (Heckel et al. 2020). Unklar bleibt auch in der vorliegenden Befragung, ob die Art der Partizipation von Beratung bis Mitwirkung von allen Befragten gleich definiert wurde und wovon die Forschungsvorhaben im Konkreten durch partizipative Formate profitiert haben. In den Fachgesellschaften im Gesundheitswesen darüber in Diskussion zu kommen und die gebenenfalls unterschiedlichen Deutungen transparent zu beschreiben, erscheint den Autor*innen unverzichtbar. Auch die Frage, wer woran und zu welchem Zeitpunkt partizipiert, kann hier nur angerissen werden. Die Ergebnisse zeigen: Selbsthilfegruppen und Patient*innenverbände und Verbände oder Vertretungen von An- und Zugehörigen sind unterrepräsentiert, wobei an mehreren Stellen bereits auf deren Stellenwert und die damit einhergehenden Potentiale verwiesen wurde (Dierks 2019; Clausen 2020). Zugleich findet Partizipation eher dann statt, wenn Thema, Forschungsfrage und Methodenwahl schon feststehen. Wirklich Einfluss auf Themen und Forschungsfragen zu nehmen und damit eine Erhöhung der Relevanz für die Versorgungspraxis und Patient*innen- sowie An- und Zugehörigen-Anliegen, ist aber nur zu einem früheren Zeitpunkt sinnvoll möglich (Geissler et al. 2017). Dies verweist auf ein strukturelles Problem: Fehlende personelle, finanzielle und zeitliche Ressourcen in den forschenden Einrichtungen führen dazu, dass nur im universitären Setting und auch dort nicht überall, projektunabhängige Partizipationsgruppen dauerhaft bestehen können. Für die Mitglieder solcher permanenter Partizipationsgruppen ist es dann möglich, Schulungen zu besuchen, Abläufe und Prozesse kennenzulernen, sich entsprechende Kompetenzen anzueignen und dann auch etwa bei Antragsstellung kurzfristig oder bei der Entwicklung der übergreifenden Forschungsstrategie der Einrichtung langfristig zu partizipieren. Nur wenn die Kollaboration kontinuierlich erfolgt, evaluiert und berichtet wird, kann eine nachhaltige qualitativ hochwertige Partizipation erfolgen (Staniszewska et al. 2011).

Gerade Themen der evidenzbasierten Versorgungsforschung (Gräßel et al. 2015) eignen sich besonders für partizipative Formate, da die Ergebnisse der Versorgungsforschung nicht nur per se auf die Versorgungsangebote und -strukturen Einfluss nehmen, sondern auch gesundheitspolitische Schwerpunkte betreffen und damit entsprechende Implikationen abgeleitet werden können. Partizipierende Patient*innen, An- und Zugehörige und Fachpersonen kennen zudem den klinischen Versorgungsalltag aus eigener Erfahrung und aus sehr unterschiedlichen Perspektiven und können daraus konkrete Fragestellungen ableiten. Sie können Wissenschaftler*innen Einsichten in ihr Erleben als Teilnehmende an Forschung vermitteln - beispielsweise unter welchen Bedingungen sie zur Teilnahme bereit sind oder ob sie Informationsmaterialien wie Studieninformationen verständlich finden -, sowie die Forschenden unterstützen, die Ergebnisse einzuordnen (Brett et al. 2014).

Die Finanzierung von Forschung mit öffentlichen Mitteln verpflichtet, die Ergebnisse für Fachkreise und auch für die Öffentlichkeit verständlich zu berichten. Während die Autor*innen und Befragten annehmen, dass partizipierende Fachpersonen aus der klinischen Versorgungspraxis, sowie partizipierende Patient*innen und An- und Zugehörige die Relevanz der Forschungsfragen erhöhen, die Interpretation von Ergebnissen erleichtern und eine bessere Rückführung in die Versorgungspraxis ermöglichen, wurde dies bislang nicht ausreichend empirisch belegt (Mockford et al. 2012; Melchior et al. 2021). Zahlreiche Forschungsprojekte münden jedoch in konkreten Handlungsempfehlungen, die Praktiker*innen in der Versorgung dann, teils als Kitteltaschenbroschüren, zur Verfügung stehen - beispielsweise Empfehlungen zur Kommunikation mit An- und Zugehörigen (Projektgruppe Dy@Eol & Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V.) und zum Einsatz sedierender Medikamente am Lebensende (Forschungsverbund SedPall 2021). Nicht nur in der Palliativforschung, auch in anderen Fachdisziplinen (z.B. Allgemeinmedizin) finden sich vereinzelt erste Konzepte, die sich vor allem mit den forschungsinfrastrukturellen Notwendigkeiten (Engler et al. 2022a, b), aber auch mit methodischen Fragestellungen auseinandersetzen, um partizipative Forschung zu implementieren (Engler et al. 2022c). Allgemeinmedizinische Forschungsnetzwerke der Initiative DESAM-ForNet haben an ihren jeweiligen Standorten bereits partizipative Formate implementiert und durchgeführt (Engler et al. 2022a) und gestalten ein Konzept für eine netzübergreifende Kooperation in der Zukunft. Erste Übersichtsarbeiten, wie die der Initiative DESAM-ForNet, zeigen die Relevanz und die Bedeutung von partizipativen Ansätzen für die Forschungspraxis auf. Um weitere Einblicke in die Praxis partizipativer Forschung zu erhalten und Möglichkeiten der Zusammenarbeit bei Forschungsfragen mit Schnittmengen in verschiedenen Fachbereichen - beispielsweise Versorgungsübergänge - sowie den Bedarf an gemeinsamen Fortbildungsmöglichkeiten, einheitlichen Standards und strategischen Maßnahmen abzuschätzen, ist geplant, die Befragung auf weitere Fachbereiche auszuweiten.

Auf springerpflege.de und im eMag der PflegeZeitschrift finden Sie

Eine umfangreiche Literaturliste

Tab. 1 "Partizipierende, Häufigkeit, Auswirkungen der Partizipation"

Abb. 1 "Partizipation im Forschungsprozess"