Ältere Menschen heute sind deutlich vitaler und reisefreudiger als ihre Altersgenossen noch vor zehn Jahren. Mobilität und Lebensqualität bedingen sich gegenseitig. Welchen Herausforderungen sieht sich die Tourismusbranche gegenüber?

Altersbedingte Phänomene, wie eingeschränkte Mobilität oder chronische Erkrankungen, brauchen Wellness-Angebote auch jenseits einer Rehaklinik oder eines Pflegehotels. Entsprechend werden verbesserte Ausstattungen auch in regulären Hotels zunehmend gesucht. Diese Entwicklung gilt es aufzugreifen und Verbesserungen einzuführen. Denn: die Branche boomt. „Global betrachtet stellen wir ein enormes Wachstum fest. Wir beobachten seit wenigen Jahren konstant zweistellige Wachstumsraten“, berichtet Michael Schlenke, The Caretakers, Kaarst. Auf einem Symposium in der Landesvertretung des Saarlandes in Berlin informierte er über Erfahrungen und Ansätze von Gesundheits- und Wellnesshotels für ältere sowie motorisch eingeschränkte Menschen. Fragen zu Barrierefreiheit, Sicherheit und Bewegung standen im Zentrum. Es zeigt sich, so Schlenke, dass im Bereich des Wellness-Tourismus nach Lösungen nicht stigmatisierenden Angeboten gesucht wird.

Zauberwort „Qualität“

Qualität kann sogar vor dem Hintergrund individuellen Wohlbefindens messbar werden. So etwa liegt mit INSEL, einem Leitfaden für Bewertung und Steuerung der Pflege, ein Instrument für die Praxis vor, das belastbare Ergebnisse erzielen kann, die Rückschlüsse auf bauliche Qualitäten zulassen. Ausstattung und Dienstleistung stehen dabei im Fokus.

Wenn ältere, manchmal auch motorisch und kognitiv eingeschränkte Menschen und deren Begleitung auf Reise gehen, stellt dies die Hotelbranche durchaus vor neue Aufgaben. Ansprüche einer stark wachsenden Personengruppe, deren Qualitätsbewusstsein es gerecht zu werden gilt. Eine Chance für etablierte Marken hier Terrain zu erobern. Vom Geschirr bis zum Bett: Wegweisende Details, zukunftsfähige Ausstattungen und neue Gesundheitsangebote werden in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen. Anhand von drei Schlagwörtern „Bewegung, Sicherheit und Exkurs“ werden Schwerpunkte vorgestellt.

Bewegung: Bewegung als Schlüssel zu körperlich wie geistig gesunden Lebens — erfährt derzeit in vielen Bereichen verstärkte Beachtung. Rückschlüsse auf Orte und Motive, in ihren unterschiedlichsten Varianten lassen sich finden. Das vielleicht bedeutendste Merkmal ist, dass durch Bewegung ein Rückgang verabreichter pharmazeutischer Produkte nachweisbar ist: Das Thema würdigen Alterns, auch auf Reisen.

Ein erstes Augenmerk gilt baulichen Gestaltungen und Ausstattungen von Orten, an denen bewegungsfördernde Maßnahmen in der Pflege eingesetzt werden. Bewegungsförderung in ambulanten und stationären Einrichtungen kann Vorbild sein und Schule machen, um im Wellnessbereich fortgeschrieben zu werden. So wird die Überwindung von Distanzen im Umfeld der Wohnung von älteren Menschen mehrheitlich angestrebt. Mobilität in den eigenen vier Wänden wird zum Schlüssel guten Lebens. Vertrautheit und Sicherheit prägen sich hier aus, an denen sich Einrichtungen des Tourismus und der Pflege in ihren regionalen Ausprägungen orientieren sollten.

Geborgenheit, so wissen die Architekturpsychologen seit den 1970er Jahren, entsteht im Erinnern an eine schützende Umgebung. Erkennen und Erinnern bedingen sich gegenseitig und schaffen Sicherheit. Bei Tag und erst recht bei Nacht. Ausstattung und Beschaffenheit häuslicher Umgebung sichern und motivieren den Gang durch das Zimmer, die Wohnung oder das Haus, wenn die Aussicht auf ein Treffen, ein Gespräch, eine Mahlzeit in der Gruppe oder der Besuch einer Veranstaltung besteht. Bewegung stimuliert und schafft Bilder, deren Einprägsamkeit mit dem Grad emotionaler Identifikation zusammengeht.

Spiele, Singen, Tanzen, Kochen, Ausflüge sowie gemeinsame Reisen stehen auf der Skala der Beliebtheit an oberster Stelle. Bewegung ist allen Aktivitäten gemeinsam. Das angestammte Haus zu verlassen und mit einem Erlebnis zurückzukommen, etwas erzählen zu können, sich mitzuteilen, nach Jahren noch darüber zu sprechen, prägt und festigt die Gemeinschaft. Nicht nur das oft lang ersehnte Ereignis vermittelt einen Haltepunkt im Alter, auch neu gewonnene Bilder klingen meist noch sehr lange nach. Planung, Aufbruch und Rückkehr fördern Sicherheit und festigen das Selbstbewusstsein. Dabei gilt es, das Bewusstsein des eigenen Körpers zu erhalten und zu fördern, dies erst stärkt die Persönlichkeit und gibt Sicherheit.

Sicherheit: Sicherheit im Gebäude und in geschützten Außenräumen braucht Haltepunkte und Stationen, die vertraut sind. Ohne Treppengeländer ist es den Älteren kaum möglich, ein Stockwerk sicher zu meistern. Ohne Fahrstuhl wird der Gang durch die Stockwerke zum Gipfelsturm mit Belohnung. Am besten jeden Tag, mehrmals.

Fehlt aber in Krankenhäusern und Altenwohneinrichtungen ein zuverlässiger Handlauf so meiden die Menschen den Gang, der für sie als Risiko eingeschätzt wird. Ähnlich verhält es sich in öffentlichen Parkanlagen und den Gärten, die nur dann regelmäßig frequentiert werden, wenn Halte- und Ruhepunkte in Gestalt von Zonen der Sicherheit angelegt sind. Schon die kleinste Anstrengung lohnt. Jede Parkbank im öffentlichen Raum ist mehr als eine höfliche Geste an die älteren Mitglieder der Gemeinschaft, es ist das Angebot zum Verweilen und zur Teilhabe. Wie ein Magnet können Parkbänke wirksam werden. Gelingt es, den Rückgang täglich bewältigter Strecken sowie nachlassender motorischer Aktivität durch Attraktionen als erstrebenswerte Orte zu identifizieren, so werden Kräfte mobilisiert. Der Weg wird zum wertvollen Ziel, positive Rückwirkungen auf das motorische und kognitive System des Menschen sind spür- und messbar. Wer sich bewegt gewinnt, immer und in allen Lebensaltern. Unabhängig von den Strecken, die gemeistert werden.

Gleichzeitig wird von einem vielfältigen und multimotorischen Begriff der Bewegung ausgegangen. Zu Fuß oder auch mit den Augen. Wer die Seiten eines Buches lesend abschreitet, ist ebenso mental auf Reisen, wie ein Mensch, der eine musikalische Komposition hörend nachverfolgt und als Schwingung und Resonanz im Körper erlebt. Idealerweise ergänzen sich Lektüre, Musik und Wanderungen. Je reichhaltiger die Angebote an alle Sinne sind, desto besser werden kognitive Fähigkeiten gefördert und bewahrt. Ein Leben lang, von der Wiege bis zur Bahre. Wenn einer eine Reise tut, ja, dann kann er was erzählen.

Genau darum geht es, wenn körperliche und geistige Stimulanzen in einem architektonischen Rahmen angeboten werden. Wir müssen also dringend eine Infrastruktur schaffen, die sanfte körperliche Aktivitäten zur Aufrechterhaltung der eigenen Gesundheit ermöglicht, ohne dass man sich dazu in einer stigmatisierenden Umgebung aufhalten muss, fordert Michael Schlenke. Infrastrukturen spiegeln Lebensqualität und motivieren den Diskurs.

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Kurorte wie Wiesbaden haben als Marke einen Klang, der an eine längst vergangene Kultur des Reisens erinnern kann.

© RiverNorthPhotography / Getty Images / iStock

Exkurs: Ein Künstler wurde zum Kritiker der Architektur und deren Ausstattung. Joseph Beuys, dem anthroposophisch inspirierten Wanderer durch die Welten der Nachkriegsjahre, verdanken wir einige Hinweis auf die schlechte Wohnqualität der 1960er und 1970er Jahre, die Beuys in minderwertig erstellten Gebäuden, schlechtem (Bau-) Material sowie dem mangelhaften Mobiliar beklagte. Noch nie in der Geschichte sei das Niveau so schlecht gewesen. Was Beuys, der Schüler des Anthroposophen Rudolf Steiner, beklagt, ist das Fehlen natürlicher Materialien wie Holz, Lehm, Leder und Stein, die als sensorische Erfahrungen den Menschen anregen. Gewachsenes Material lässt, nach seinem Verständnis, den Menschen am Kreislauf der Natur teilhaftig werden und ihn an seine Natur erinnern.

Nicht nur Mobiliar und räumliche Gestaltung, auch die Lage von Objekten und deren Einbindung im öffentlichen Raum entscheidet über die Qualität. Bewegung braucht ein Ziel, keine Handlung ohne Absicht, kein Weg ohne einen Rahmen, der Bewegung auch gedanklich — intuitiv vorbereitet — anstrebt. Wenn Orte als Ziele erscheinen und erreicht werden, so hat dies eine Vorgeschichte, die jedoch selten reflektiert wird. Notwendig dazu sind körperliche wie mentale Haltestellen, die jede Wegstrecke absichern. Denn nur ein vermeintlich ungefährlicher Weg wird mit zunehmendem Alter noch freiwillig und mit eigenen Kräften regelmäßig bewältigt. Haltepunkte, Orientierung, Sicherheit und Vertrautheit spielen zusammen, wenn es um die Beschreibung erfolgreicher Wegstrecken und auch deren Planung geht. Gefordert sind daher multisensorische Räume, die den Körper und die Seele des Menschen unmittelbar ansprechen.

Gute Räume und Raumfolgen lassen sich intuitiv erfassen. Dabei bieten selbst wenig vertraute Räume in sensorisch ansprechendem Material gestaltet, wie Holz, offene Putzarten, eine blendfreie Lichtführung (z.B. zur Verringerung der Sturzgefahr) mit hohem Anteil an Tageslicht, klaren thermischen Zonen im Gebäude sowie gut lesbarer Gebäudetechnik, unmittelbar Orientierung. Idealerweise erfolgt die Erschließung intuitiv. Das Einrichten in der Fremde muss künftig erleichtert werden, um ältere Menschen unmittelbar anzusprechen. Ihre mentalen Anforderungen gilt es in der Planung zu berücksichtigen. Die Ausstattung der Gebäude und das pflegende Personal gewinnen daher an Bedeutung. Soll Mobilität zur Sicherung der Individualität erhalten werden, so lassen sich Maßnahmen aus der Vergangenheit in Erinnerung rufen, die aktualisiert werden müssen.

Politische Dimensionen — Praxis und Orte der Kurstätten

Naheliegend ist es in diesem Kontext, an Funktionen von Kurorten zu erinnern, die vor mehr als 150 Jahren die Erholung mit der Genesung zu verbinden wussten und daraus nicht selten zum Zentrum gesellschaftlicher Ereignisse wurden. Gespräche und Erholung, Spiel und Unterhaltung prägten Merkmale von Städten, die heute in Vergessenheit geraten sind. Kurorte wie Bad Kissingen, Bad Reichenhall, Bad Orb, Schlangenbad, Bad Doberan, Baden-Baden, Bad Homburg oder auch Wiesbaden haben als Marke einen Klang, der an eine längst vergangene Kultur des Reisens erinnern kann.

Was noch in den 1960er und 1970er Jahren florierte, brach Jahre später, kurz vor dem Mauerfall und der deutschen Wiedervereinigung, 1989 ab. Die staatlich verordnete Gesundheitsreform stellt einen gravierenden Einschnitt in die Funktion von Kuraufenthalten dar. Fortan wurden Heil- und Badekuren so massiv in ihrer Bezuschussung durch öffentliche Krankenkassen reduziert, dass es zu einem dramatischen Rückgang binnen eines Jahres kam. Nahezu 50% weniger Kuren wurden innerhalb eines Jahres verschrieben. Kleinere und private oft über Generationen geführte Häuser mussten schließen, persönliche Kontakte brachen ab. Ein Traditionsmodell, das Pflegen und Kurieren, verlor unwiederbringlich seine Handschrift, gleichzeitig schreibt sich ein Sanierungsstau fort, der in seinem Strudel negativer Ereignisse ganze Regionen verändert hat. Der Verlust von Arbeitsplätzen im Hotel- und Gastronomiegewerbe war unausweichlich, Orte verlieren ihren Stellenwert als Ziele des Wanderns. Die meisten Regionen sind der politisch geschuldeten Situation ausgeliefert. Fehlen die Gäste, bleiben die Kassen der Kommunen und Gemeinden leer, Thermal- und Freibäder sind kaum mehr zu bewirtschaften, der Niedergang kann selten durch einen Strukturwandel abgefangen werden. Er betrifft jene Regionen umso stärker, die außerhalb stark wachsender Städte liegen. Je weiter also Kurorte von Metropolen entfernt sind, desto härter ist der Kampf ums Überleben.

Das Jahr 1997 gilt als nächster Meilenstein eines weiteren herben Einschnitts, wo durch ein zweites Sparpaket die Kürzung bei den Reha-Zeiten und neue Berechnung der Urlaubstage, die mit den Kuraufenthalten verbunden werden, zum Verlust von 40.000 Arbeitsplätzen im Kurwesen, sowie zur Schließung von 120 Kliniken allein im Jahr 1999 kam.

Neue Konzepte sind nötig

Auch wenn die deutsche Heilbäderbranche — als ein Schwergewicht mit rund 350 Kurorten — derzeit noch einen Umsatz von jährlich ca. 26 Milliarden Euro erzielt, so steht doch deren Zukunft vor der Herausforderung, die Ausfälle der Vergangenheit durch neue, attraktive Angebote im Bereich der Ausstattung und der personellen Besetzung zu beheben. Dabei können sich in Angeboten klassischer Kurorte auch Teilaspekte abbilden, die in Bereichen des Gesundheitstourismus aufgegriffen werden, um vielfältige Formen der Bewegung als Schlüssel gesunden Lebens als Angebote auszubilden. Gefordert sind klassische Kurformate, jenseits von Reha- und Kurkliniken, die aktuell im Bereich des Wellness-Hotels wiederentdeckt werden. Entscheidend dabei sind Lage und Umgebung des Hotels. Barrierefreiheit in Parkanlagen mit zahlreichen Sitzmöglichkeiten, Handläufe, Tretbecken, Thermalbäder, Wandelhallen, Gradierwerke bestimmen die Palette. Eine bewegungsfördernde Ausstattung muss durch architektonische Voraussetzungen zur Verfügung stehen. Endlich kann auch die Bewegung in freier Natur durch Zugabe mineralisch und salzhaltig angereichter Luft die Reise an die See erübrigen.