Der Anteil der Gesundheitstouristen und damit der Reisenden, die angegeben haben, im Urlaub etwas aktiv für ihre Gesundheit getan zu haben, lag 2015 in Deutschland bei 59 Prozent. Eine stolze Zahl! Was steckt dahinter, wer reist und warum und welche Chancen ergeben sich dadurch vielleicht auch für die Pflege?

Die Hauptaufgabe der Tourismusbranche ist die Befriedigung von Reisebedürfnissen. Deshalb werden Reiseangebote entwickelt, die die Nachfrage beim Kunden wecken und die Wünsche der Kunden erfüllen sollen. „Gesundheit“ spielt dabei eine immer größer werdende Rolle. Aus diesem Grund hat sich das Marktsegment des Gesundheitstourismus entwickelt. Denn der Tapetenwechsel allein genügt heute nicht mehr, um Menschen den Wunsch nach „gesund sein“ und „sich wohlfühlen“ nachhaltig zu erfüllen. Zu den gesundheitsorientierten Reisen zählen vielmehr alle Aufenthalte, bei denen auch medizinische Behandlungen und Gesundheitsdienstleistungen einen Schwerpunkt bilden. Der Zweck des touristischen Aufenthalts dient dabei der Erhaltung, Stabilisierung und Wiederherstellung sowohl der physischen als auch der psychischen Gesundheit (Kaspar 1996).

Dies ist nicht neu: Bereits die Römer gründeten Heilbäder in Europa (z.B. Aachen und Baden-Baden). Dorthin reiste man, um die vorhandenen natürlichen Thermal- und Mineralquellen zu therapeutischen Zwecken zu nutzen — die erste Form des klassischen Kuraufenthalts. Damit war damals bereits der Grundstein für den Gesundheitstourismus gelegt. Heute versteht man darunter weitaus mehr. Das Spektrum gesundheitsorientierter Reisen reicht mittlerweile vom Wunsch, einfach Wellness zu genießen und fitter zu werden, über die medizinisch verordnete klassische Kur, Rehabilitation und Prävention bis hin zu freiwilligen operativen Eingriffen.

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Vielfältige Zielgruppe: Gesundheitstouristen

Eigentlich ist jeder, dem seine Gesundheit am Herzen liegt, ein Gesundheitstourist, sobald er in den Urlaub fährt. Doch ganz so einfach ist es nicht: Bei näherer Betrachtung ergeben sich aufgrund von unterschiedlichen Reisemotivationen auch unterschiedliche gesundheitstouristische Zielgruppen mit individuellen Herausforderungen an Angebot, Infrastruktur und Personal. Schauen wir uns die einzelnen Reisezielgruppen genauer an:

Zunächst sind diejenigen zu nennen, die sich in ihrem Urlaub aktiv erholen wollen. Sie buchen gezielt gesundheitstouristische Angebote, um sich vom Arbeitsalltag zu regenerieren und fitter zu werden. Sie suchen bei ihrer Reiseplanung besonders nach Hotels mit einem vielfältigen Wellness- und Fitnessangebot. Reisende dieser Zielgruppe möchten sich aktiv etwas Gutes tun und freuen sich über geschultes Personal in den Bereichen Beauty, Fitness und Massage.

Darüber hinaus gibt es die Gruppe mobilitätseingeschränkter Menschen, die auf ihren Urlaub nicht verzichten möchten, aber mehr Barrierefreiheit im Urlaub und während der Reise benötigen und deshalb besonderen Wert auf einen hohen Komfort legen. Dazu gehören zum Beispiel ebenerdige Zimmer, breitere Türen, bodentiefe Duschen, Hotelshuttle, Kofferservice, die ein oder andere helfende Hand beim Buffet oder auch einfache Zugänge zu Attraktionen vor Ort. Sie wünschen sich ein hohes Maß an Servicequalität und entsprechend serviceorientiertes Personal.

Der Präventionsgast sucht an seinem Urlaubsziel nach gezielten Gesundheitsangeboten, die der Vorbeugung bestimmter Erkrankungen dienen. Dazu können Kurse in Ernährungsberatung gegen Typ-II Diabetes ebenso gehören wie Entspannungstechniken zur Burn-out-Prophylaxe, Rücken-Fit, Yoga, um besser schlafen zu können oder Nordic-Walking-Kurse, um wieder in Bewegung zu kommen. Der Präventionsgast wünscht sich deshalb neben den bereits genannten Angeboten eine persönliche fachspezifische Beratung entsprechend seiner Dispositionen. Dazu zählen auch Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, die sich eine private, selbstbezahlte Kur gönnen. Dabei nutzen die Selbstzahler — Kurlauber — die Kureinrichtungen häufig nur für medizinische Anwendungen und übernachten in Hotels, Ferienwohnungen oder auf dem Campingplatz.

Darüber hinaus gibt es weiterhin den klassischen Kurgast, der seinen Aufenthalt vom Arzt verordnet bekommt und unter Berücksichtigung der jeweiligen medizinischen Indikation in einer entsprechenden Kurklinik übernachtet. Der Kuraufenthalt wird meist vollständig von den Krankenkassen übernommen. Die Krankenkassen können dabei aber den Kurort und die Einrichtung sowie die Aufenthaltsdauer bestimmen. Die Kur ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die der Kurort hinsichtlich Infrastruktur und medizinischem Angebot indikationsbedingt vorhalten muss.

Eine weitere Gruppe bilden chronisch Kranke, die trotz ihrer Krankheit nicht auf ihren Urlaub verzichten möchten. Sie sind am Urlaubsort auf zusätzliche medizinische Hilfe angewiesen (z.B. Dialysepatienten). Dazu bedarf es geeigneten medizinischen Personals und Einrichtungen, die zusätzliche Kapazitäten für entsprechende Reisende bereithalten.

Pflegebedürftige Menschen, die allein oder mit ihren Angehörigen gemeinsam verreisen und den nötigen Service und Komfort einer gegebenenfalls ambulanten oder stationären Pflege vor Ort benötigen, bilden eine weitere Zielgruppe. Mitreisende Angehörige möchten sich dabei auch vom heimischen Pflegealltag erholen. Sie wünschen sich während des Urlaubs Unterstützung bei der Pflege und Zeit zum „Kraft tanken“ und „Durchatmen“. Der Urlaub soll der Erholung dienen und gegebenenfalls dem Austausch mit anderen Betroffenen.

Desweiteren gibt es Reisende, die sich während ihres Urlaubs freiwillig Operationen unterziehen. Dazu gehören zum Beispiel Zahnbehandlungen, Augenlaserkorrekturen oder Schönheitsoperationen, die im Ausland oft günstiger angeboten werden als zu Hause. Der Urlaub dient dem Wunsch nach schneller Genesung in Urlaubsatmosphäre bei gleichzeitiger Kostenersparnis. Deutsche Medizintouristen wünschen sich Unterstützung bei der Planung ihrer Reise, weshalb einige ausländische Kliniken ihr Angebot bereits in deutscher Sprache auf ihrer Internetseite präsentieren. Im Übrigen ist die Sprachbarriere insbesondere bei medizinischen Details eine Herausforderung, der mit deutschsprachigem Personal vor Ort entgegengewirkt wird. Gleiches gilt auch für ausländische Medizintouristen, die für Operationen nach Deutschland kommen, da einige Spezialkliniken hier einen besonderen Ruf insbesondere bei zahlungskräftigen Patienten genießen.

Triebfeder demographischer Wandel

Als besonders relevant in Bezug auf die Pflege in Deutschland kristallisieren sich die Zielgruppen heraus, die Angebote mit medizinischen Bausteinen nutzen. Dazu zählen neben den klassischen Kurgästen, die Selbstzahler, chronisch Kranke, reisende Pflegebedürftige sowie einige wenige finanzstarke Medizintouristen. Einer der Haupttreiber ist dabei der demographische Wandel. Er führt unter anderem dazu, dass immer mehr ältere, mobilitätseingeschränkte und chronisch kranke Menschen verreisen. Menschen, die ihr Reiseverhalten in jungen Jahren erlernt haben, möchten auch im Alter nicht auf ihren Urlaub verzichten. Das höhere Alter bringt wiederum einen Großteil der sogenannten Zivilisationskrankheiten mit sich, wie Herz- und Kreislauferkrankungen, Diabetes, chronische Lungenerkrankungen, Erkrankungen des Bewegungsapparates und Krebs. Trotz und oft auch gerade wegen der Beschwerden bleibt der Wunsch bestehen, in den Urlaub zu fahren. Die Krankenkassen übernehmen aber immer weniger Kosten für Kuraufenthalte und medizinische Anwendungen. Wer deshalb selbst für seine Reise zahlt, hat zwar einerseits eine deutlich höhere Eigenmotivation, etwas für sich zu tun, aber auch deutlich höhere Anforderungen an Qualität und Service in seinem Urlaub.

Dabei kommt demzufolge den rund 350 deutschen Kur- und Heilbädern eine Sonderstellung in Sachen Pflege zu. Denn sie bilden die Basis für den medizinisch induzierten Gesundheitstourismus in Deutschland. Laut der amtlichen Statistik haben mehr als ein Viertel aller 447 Mio. Übernachtungen in Deutschland im Jahr 2016 in Heilbädern und Kurorten stattgefunden. Studien legen den Schluss nahe, dass 60–70% dieser Übernachtungen gesundheitlich motiviert waren. Auf Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen entfielen dabei ca. 34 Mio. Übernachtungen, in denen auch ein Großteil des für den Gesundheitstourismus relevanten medizinischen Personals beschäftigt ist. Der überwiegende Rest, etwa 83 Mio. Übernachtungen, fand in privat gebuchten Unterkünften, insbesondere in Hotels und Ferienwohnungen, statt.

Was diese Orte nicht nur für Kurgäste besonders attraktiv macht, ist der Zugang zu medizinischer Versorgung und medizinischen Einrichtungen vor Ort. Menschen, die auf ihren Urlaub trotz einer chronischen Erkrankung nicht verzichten möchten, entscheiden sich gegebenenfalls eher für einen Ort, bei dem sie davon ausgehen können, dass ihnen hier bei akuten Beschwerden best- und schnellstmöglich geholfen werden kann. Ganz besonders gilt dies für pflegebedürftige Personen, die allein oder gemeinsam mit ihren Angehörigen verreisen. Sie sind in besonderem Maße auf Ärzte und Pflegepersonal am Urlaubsort angewiesen. In diesem Zusammenhang ist auch von sogenannten Pflegehotels oder Patientenhotels die Rede, die sich — zum Teil fest angeschlossen an Krankenhäuser oder an bestehende Pflegeeinrichtungen — auf diese häufig zahlungskräftige Klientel spezialisiert haben. Das dort vorgehaltene Angebot ist sehr unterschiedlich und reicht von leichter Unterstützung bis hin zur Übernahme einer 24-Stunden Pflege, um mitreisende Angehörige für die Zeit ihres Urlaubs komplett zu entlasten.

Die Herausforderungen, vor denen die gesundheitstouristischen Urlaubsziele stehen, wurden bereits erläutert: Barrierefreiheit, geeignetes Fachpersonal sowohl im touristischen als auch im medizinischen Bereich, hoher Komfort, ein großes Maß an Servicequalität sind dabei unabdingbar. Je besser die einzelnen Orte und Unternehmen darin aufgestellt sind, umso eher können sie im Wettkampf um den Gast punkten.

Gesundheit ist Vertrauenssache und das gilt insbesondere auch im Urlaub. Jeder erhofft sich, sich nach dem Urlaub fitter und erholter zu fühlen als zuvor. Und im Fall eines Gesundheitsurlaubs allemal. Heutzutage sind Eigenverantwortung und Selbstfürsorge gefragter denn je. Früher wurde dagegen der Großteil gesundheitsorientierter Reisen vom Arzt verordnet: Man fuhr zum Teil jährlich für mehrere Wochen zur Kur. Die Anzahl der Verordnungen und die Aufenthaltsdauer der Kurgäste nimmt aber seit Jahren immer mehr ab, während die Zahl der Selbstzahler stetig steigt. Eine Tatsache, die zeigt, dass Gesundheit nach wie vor ein Megatrend ist, der sich in der Gesellschaft fest verankert hat und für den man bereit ist, Geld auszugeben. Aber wie können die Tourismus- als auch Gesundheitswirtschaft gemeinsam von diesem Trend profitieren und welche Chancen bestehen für die Pflege? Die Datenlage ist, insbesondere was den Bereich „Pflege im Tourismus“ anbelangt, kaum vorhanden. Dennoch seien einige Überlegungen hierzu erlaubt.

Angebotsgestaltung — eine Herausforderung für alle

Es steht fest, dass ein gesundheitstouristisches Angebot erst dann ausreichend attraktiv und damit buchbar ist, wenn die Bedürfnisse des Gastes möglichst vollständig erfüllt werden. Dabei sollten alle Einzelbestandteile des Angebots dieses Kriterium erfüllen. Ein noch so gutes medizinisches Angebot kann schlechten Service nicht wettmachen und umgekehrt. Wenn die Anreise schon zur Strapaze wird und Angst vor der Rückreise macht, wird es umso schwieriger, die Wünsche während des Aufenthaltes zur vollsten Zufriedenheit zu erfüllen. Die großzügige Wellnesslandschaft kann auch nicht über schlechtes Essen hinwegtäuschen, genauso wenig wie ein Sternerestaurant im Haus unfachmännisch durchgeführte Massagen oder Heilanwendungen wieder gut macht. Fakt ist: Erst wenn alle Komponenten des Angebots stimmen, stimmt auch das Gesamtangebot. Dies funktioniert nur, wenn die einzelnen Partner kooperieren und während der gesamten Leistungskette das gemeinsame Ziel verfolgt wird, den Gast glücklich zu machen. Dies ist ganz besonders herausfordernd, wenn unterschiedliche Branchen miteinander arbeiten und zu wenig miteinander kommunizieren.

Ohne ausreichend qualifiziertes und motiviertes Fachpersonal geht es nicht. Dies gilt sowohl für den Tourismussektor als auch für den medizinischen Bereich und ganz besonders dann, wenn es um die Arbeit mit und am Gast oder Patienten geht. Das Personal ist die Visitenkarte eines Unternehmens. Aus Sicht des Personals bedeutet das aber auch, dass dessen Arbeit entsprechend gewürdigt wird — monetär, aber auch mit einer erhöhten menschlichen Wertschätzung. Qualifiziertes Fachpersonal zu bekommen, ist nicht einfach. Umso wichtiger ist es, den Bestand zu halten und neue Fachkräfte im Rahmen einer guten Ausbildung heranwachsen zu lassen.

Ist der Gesundheitstourismus eine Chance für die Pflege?

Der Tourismus schafft Arbeitsplätze auch im Pflegebereich. Die Wertschätzung, die dem Pflegepersonal von einem Urlaubsgast in entspannter Urlaubsatmosphäre entgegengebracht wird, mag manchmal zudem größer sein als auf üblichen Krankenstationen oder in Altenpflegeheimen. Immer mehr Selbstzahler sind bereit, Geld für ihren Gesundheitsurlaub zu bezahlen. Damit könnte auch für das Pflegepersonal unterm Strich in Zukunft mehr Geld bleiben. Gesundheitstourismus hat das Potenzial, auch der Pflege eine Chance zu bieten.