Die digitale Disruption erfasst sämtliche gesellschaftlichen Bereiche. Ihre technologische Dynamik befördert einen Strukturwandel, der eingespielte gesellschaftliche Konventionen ebenso in Frage stellt wie etablierte Geschäftsmodelle oder stabil geglaubte historische Konstanten. Zugleich schickt sie gesellschaftliche Stimmungen auf Berg- und Talfahrt. Zukunftsvisionen schwanken zwischen Dystopie und Utopie. Es ist ein Amalgam aus technischer Komplexität, entfesselter Innovationszyklik und sozialer Sprengkraft, aus dem sich die Pläne des optimistischen und entwicklungsoffenen Entrepreneurs ebenso speisen wie die Ängste einer in traditionellen Wirtschaftszweigen aktiven Arbeitnehmerschaft.

Die Unsicherheit erstreckt sich auf den Staat. Rechtsetzer und Regulierer stehen vor großen Wissens- und Vollzugsproblemen, im schlimmsten Fall halten sie mit den Innovationsdynamik nicht Schritt und verfallen in ein Nachhinken hinter der technologischen Entwicklung. Das ist ein Problem, denn der technologische Umbruch bedarf der einrahmenden Spielregeln, innerhalb derer positive Entwicklungen zur Entfaltung kommen, schädliche hingegen minimiert werden. Zu einem erheblichen Teil reflektiert die Unsicherheit einen Mangel an Wissen angesichts vielfältiger neuer Fragestellungen der Wirtschafts- und Sozialordnung. Kann im Rahmen der bestehenden Ordnungen angemessen auf die Veränderungen reagiert werden? Welche Rückwirkungen hat die Digitalisierung auf das bestehende Regelwerk? Welche Möglichkeiten hat der Staat, die digitale Ökonomie (ordnungs-)politisch zu gestalten? Wie sieht ein Rechtsrahmen aus, der neue Chancen ermöglicht und positive Wirkungen unterstützt und gleichzeitig mögliche Fehlentwicklungen und unerwünschte Nebenwirkungen der Digitalisierung abmildert? Unter dem Gewölbe der Digitalisierung fächern sich eine Vielfalt empirischer und normativer Fragestellungen auf, die sich disziplinärer Engführung entziehen. Um der Entwicklungsoffenheit ebenso Rechnung zu tragen wie der disziplinären Vielfalt sollen diese Beiträge einen interdisziplinären Austausch ermöglichen, um historische, soziologische, rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Betrachtungen zusammenzuführen.

In historischer Betrachtung wird die digitale Transformation oft mit früheren Episoden von technologischem Fortschritt verglichen. Parallelen werden insbesondere mit der Industrialisierung gezogen. Der digitale Wandel wird als „vierte industrielle Revolution“ bezeichnet, in Abgrenzung zur Mechanisierung mittels Wasser- und Dampfkraft (erste industrielle Revolution), Massenfertigung mit Hilfe von Fließbändern und elektrischer Energie (zweite industrielle Revolution) und dem Einsatz von Elektronik und IT zur Automatisierung der Produktion (dritte industrielle Revolution). Vor diesem Hintergrund widmet sich Peter Itzen in historischer Betrachtung dem Wechselverhältnis von politischen Ordnungsversuchen und technologischen Innovationen. Eine eindeutige Interdependenz von technologischem Fortschritt und Ordnung vermag er nicht auszumachen, als zu komplex erwiesen sich zeitgebundene historische Umstände, die in den gesellschaftlich-wirtschaftlichen Systemen ihren Ursprung haben. Während die Zäsurinnovationen wie Dampfmaschine oder Telegrafie wirtschaftliche Entwicklungen innovierten und beschleunigten, könne darin kein vergleichbarer Einflussfaktor auf die gesellschaftliche Ordnung gesehen werden, wie er der Rolle der Digitalisierung im Rahmen der Globalisierung und dem Ende der Industriellen Moderne seit den 1970er-Jahren zukomme.

Ebenfalls in historischer Betrachtung stellt sich die Frage nach dem übergreifenden Leitbild der Digitalisierung, das in gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht sowohl Spiegel für gesellschaftliche Befindlichkeit gegenüber dem technologischen Wandel wie auch normative Anleitung für Umgang und Bewältigung des Strukturwandels sein kann. Ein ordoliberal imprägniertes Leitbild fokussiert auf die Wettbewerbsordnung als diejenige Wirtschaftsordnung, die materiellen Wohlstand und individuelle Freiheit am besten sichern kann. Diese Orientierung kontrastiert mit den schillernden Konnotationen, die der Technologiedebatte zeitgeschichtlich anhaften, wie Elke Seefried in ihrem Beitrag herausarbeitet. Sie zeichnet die teils angstvollen, teils euphorischen gesellschaftlichen Wahrnehmungen nach, die sie einbettet in variable gesellschaftliche Tiefströmungen eines technokratischen Steuerungsoptimismus, einer Angst vor dem Computer-Überwachungsstaat oder den Anforderungen unter dem Diktat eines globalen Wettbewerbsdrucks. In Bezug auf die aktuellen Herausforderungen im Umgang mit Digitalisierung zeigt sie sich skeptisch gegenüber den in der Vergangenheit dominierenden Perspektiven, die zwischen Technikdeterminismus und Technikkritik oszillierten und plädiert stattdessen für einen wertbasierten politischen Gestaltungsanspruch des digitalen Wandels.

Befragt man das ordnungspolitische Leitbild im ordoliberalen Sinne nach Orientierung für den Umgang mit digitalem Wandel, ist die zentrale Perspektive auf das Individuum und seinen Entfaltungsraum aufgerufen. Auf der Ebene politischer Entscheidungen müssen die Institutionen eines demokratischen Gemeinwesens daran gemessen werden, ob politische Entscheidungen die tatsächlichen Interessen der Bürger berücksichtigen. Bürgersouveränität bezeichnet das Ausmaß, in dem Bürgerinteressen erfüllt werden. Auf wirtschaftlicher Ebene gilt in der Ordnungsökonomik der Einfluss der Konsumenten auf Art und Umfang der Produktion – die Konsumentensouveränität – als Kriterium für die Performanz des Marktes als Koordinationsmechanismus. Daraus lässt sich Konturenschärfe für das allgegenwärtig verwendete Schlagwort der Digitalen Souveränität gewinnen, wie Armin Steinbach argumentiert. Diese schillernde Figur bildet deskriptive Defizite und normative Gestaltungswünsche ab. Die Umbrüche gesellschaftlicher Beteiligung wie auch konsumtiven Verhaltens bedeuteten für Bürgersouveränität wie auch Konsumentensouveränität beides – Freiheitsgewinne wie auch Freiheitsverluste. Dieses diametrale Muster zeige sich in digitalisierungsbedingt zunehmenden emanzipatorischen Entfaltungsmöglichkeiten sowohl im politischen wie wirtschaftlichen Sinne, einerseits, und in der durch eine von wirtschaftlich potenten Akteuren ins Werk gesetzten Extraktions- und Exekutionsarchitektur, die zu einem Verlust individueller Datensouveränität führten, andererseits.

Eine damit verbundene Frage ist, welchen Einfluss die Digitalisierung auf die Intensität des Wettbewerbs hat. Aus ordnungsökonomischer Perspektive ist ein hohes Maß an Wettbewerb wünschenswert. Je intensiver der Wettbewerb zwischen den Unternehmen ist, desto eher wird der Wirtschaftsprozess von den Wünschen der Konsumenten gelenkt. Diesem Komplex widmet sich Achim Wambach: Er ruft die ökonomischen Grundlage der digitalen Ökonomie auf, um zu zeigen, dass das Wettbewerbsrecht herkömmlicher Machart einer digitalen Generalüberholung bedarf. Nur dann wird es den Eigenarten der digitalen Märkte gerecht, die geprägt sind durch Daten als Inputfaktoren der Digitalunternehmen, dem vermehrten Einsatz von Plattformen als Geschäftsmodelle sowie dem Aufkommen von digitalen Ökosystemen, also dem marktübergreifenden Auftreten von Digitalunternehmen. Der Beitrag zeichnet zudem das Bild eines beflissenen deutschen und europäischen Gesetzgebers, der durch Gesetzes-Novellierungswellen der digitalen Revolution Herr zu werden versucht.

Ein zentrales Prinzip der Wettbewerbsordnung ist die Einheit von Haftung und Verantwortung: „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen“ (Eucken). Nur so kann sichergestellt werden, dass Unternehmen tatsächlich im Interesse der Konsumenten handeln. Eine zentrale Stellschraube hierfür ist das Haftungsrecht, wie Gerhard Wagner in seinem Beitrag analysiert. Er identifiziert in der digitalen Transformation zwei neuartige regelungsbedürftige Akteure: digitale autonome Systeme und Plattformen, die die Kommunikation im Internet ermöglichen, aber auch beherrschen. Nähere man sich diesen Akteuren mit dem Ziel des Gleichlaufs von Haftung und Kontrolle folge daraus, dass Haftung an diejenigen Akteure zu adressieren sei, die über Kontrolle verfügen. Diese Akteure seien zur Steuerung von Gefahren in der Lage und verfügten über die Mittel und Möglichkeiten, Schädigungen Dritter durch effiziente Sorgfaltsaufwendungen sowie durch Reduktion des Aktivitätsniveaus auf das effiziente Niveau zu vermeiden.

In einer Wettbewerbsordnung sind staatliche Eingriffe außerdem dann gerechtfertigt, wenn die Wettbewerbsordnung anderweitig nicht erhalten werden kann. Eucken schlug zu diesem Zweck in seinen „regulierenden Prinzipien“ die Monopolkontrolle sowie Korrekturen der primären Einkommensverteilung, externer Effekte und anomaler Reaktionen auf Arbeitsmärkten vor. In der digitalen Ökonomie befriedigen Marktergebnisse mitunter nicht die drängendsten Bedürfnisse und Marktergebnisse bedürfen der (sozialpolitischen) Korrektur. Intensiv debattiert wird die Frage nach den Gewinnern und Verlierern der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Automatisierung und Roboter ersetzen Arbeit, die vorher von Menschen ausgeführt wurde. Indes führen die Produktivitätsgewinne dazu, dass an anderer Stelle neue Jobs geschaffen werden. Enzo Weber steuert aus dieser Warte einen Beitrag bei, der die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt in den Blick nimmt. Er diskutiert Handlungsfelder, in denen korrigierende und lenkende Staatsfunktionen oder staatliche Anpassungsleistungen notwendig sein können – beim Grundeinkommen, in der Weiterbildungspolitik, bei der Erhebung von Robotersteuern und sozialer Sicherung.

Die vorliegende Sonderausgabe bildet das Ergebnis eines interdisziplinären Austausches. Sie erhebt nicht den Anspruch, den Themenkomplex und die Vielfalt der Fragestellungen und Blickwinkel erschöpfend auszuleuchten, sondern stattdessen grundlegende Sichtschneisen zu schlagen, die vom jeweiligen disziplinären Standpunkt auf den gemeinsamen Untersuchungsgegenstand ausgehen. Wenn eine Beobachtung die disziplinären Zugänge zu dem Thema eint, dann ist es die überwölbende Erkenntnis, dass trotz der disziplinspezifischen Zugänge zur vierten industriellen Revolution eine für den Regelsetzer und Regulierer höchst anspruchsvolle Herausforderung besteht: der technischen Komplexität mit ihrer Vielzahl an sozialen, gesellschaftlichen oder ökonomischen Auswirkungen Spielregeln aufzuerlegen, die digitale Innovationsdynamik in ihren positiven Entwicklungen zu befördern und gleichzeitig mögliche Fehlentwicklungen der Digitalisierung zu unterbinden.