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Die Brake-by-Wire-Technik wurde schon lange diskutiert und immer wieder angekündigt. Im Markt ist sie bis heute nicht. ATZextra sprach am Rande der Internationalen Münchener Fahrwerkskonferenz chassis.tech plus mit Alexander Gaedke, Programmleiter Integrated Power Brake in der Plattformentwicklung im Bereich Chassis Systems Control bei Bosch, über Marktchancen und technische Voraussetzungen dieser gerade für das automatisierte Fahren wichtigen Technik.
ATZextra _ Die Brake-by-Wire-Technik stand schon häufiger kurz vor dem Großserieneinsatz. Was macht Sie heute so sicher, dass es dieses Mal klappt?
Gaedke _ Bosch hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Systeme im Bereich Bremse und Lenkung entwickelt und auf den Markt gebracht, die entweder eine erhöhte Verfügbarkeit oder eine volle Redundanz bieten. So haben wir beispielsweise mit der Integrated Power Brake (IPB) seit einigen Jahren ein entkoppeltes Bremssystem im Feld, von dem wir für die Weiterentwicklung des By-Wire-Systems profitieren. Dementsprechend ist heute die technologische Hürde zu einem By-Wire-System ohne mechanische Rückfallebene deutlich geringer, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Dies führt dann auch zu niedrigeren Mehrkosten für solche Systeme.
Erste Fachartikel zum Thema Brake-by-Wire finden sich bereits in der ATZ 4/2002. Was musste sich ändern, damit der industrielle Durchbruch gelingt?
Brake-by-Wire-Systeme erfordern ein redundantes Bordnetz im Fahrzeug, was in der Vergangenheit nur selten verbaut war. Redundante Bordnetze ausschließlich nur für Brake- beziehungsweise Steer-by-Wire-Systeme zu installieren, treibt die Systemkosten in die Höhe. Heute ist jedoch eine Vielzahl von Systemen im Fahrzeug auf ein redundantes Bordnetz angewiesen, etwa um das hochautomatisierte Fahren gemäß SAE-Level 3 oder höher zu ermöglichen. Deshalb wird die Brake- by-Wire-Technik mittelfristig immer wirtschaftlicher. Des Weiteren haben wir heute Elektronikkomponenten zur Verfügung, die die Redundanz deutlich vereinfachen, wie zum Beispiel Mikrocontroller mit mehreren Rechenkernen und eigenständiger Überwachung.
Welche Aspekte sind die Haupttreiber für Brake-by-Wire der Zukunft?
Die Voraussetzungen für Brake-by-Wire sind durch die Anforderung, dass zukünftige Fahrzeuge HAD-ready sein sollen, und den Einsatz von Steer- by-Wire gegeben. Im Rahmen der Elektrifizierung kommen mit dem Trend zu neuen Innenraum- und Bedienkonzepten die Brake-by-Wire-spezifischen Vorteile zur Geltung. Die neuen Bremssysteme werden nicht mehr an der Spritzwand, sondern im Motorraum eingebaut. Dadurch wird wertvoller Bauraum frei und die Crashsicherheit erhöht. Dies wird durch die mechanische Auftrennung zwischen Pedal und Bremssystem ermöglicht und schafft Raum für neue Innenraumdesigns.
In Ihrem Vortrag auf der chassis.tech plus 2022 in München präsentierten Sie globale Marktzahlen für das Jahr 2028. Warum ist es bei 91 Millionen Neu-Pkw so schwer, für vorteilhafte Systeme wie Brake-by-Wire-Actuator (BWA) von marginalen Anteilen von 1 Millionen Systemen wegzukommen?
Wir gehen davon aus, dass die By- Wire-Technik ab 2025 in ersten Anwendungen auf dem Markt zu sehen sein wird. Wie in der Vergangenheit auch brauchen solche Systeme Zeit, um ausgehend von ersten Pilotanwendungen größere Marktanteile zu gewinnen. Wir gehen ferner davon aus, dass ein Wandel von klassischen Bremssystemen hin zu By-Wire-Systemen stattfinden wird und die Anteile im Markt bis zum Ende des Jahrzehnts zunehmen werden.
Beim Elektro-Pkw kommt es auf das richtige sogenannte Brake Blending an - also, wie viel ich über den E-Motor bremse, sprich rekuperiere, und wie viel die mechanische Bremse mein Auto verzögert. Wie gelingt das beste Zusammenspiel - kann die mechanische Bremse bald ganz entfallen?
Das Bremssystem erfasst zunächst den Fahrerbremswunsch und entscheidet auf Basis verschiedener Parameter, wie die Bremskraft auf den E-Motor beziehungsweise auf die Reibbremse verteilt wird. Ein wichtiger Faktor dabei ist die aktuelle Rekuperationsfähigkeit des Fahrzeugs. Diese kann durch verschiedene Faktoren, wie zum Beispiel die Fahrzeuggeschwindigkeit, den Ladezustand oder auch die Batterietemperatur, stark variieren. Die mechanische Bremse wird im Fahrzeug bleiben, denn sollte die Batterie aus einem der genannten Gründe nicht in der Lage sein, Energie aufzunehmen, muss die mechanische Bremse übernehmen.
Die Bremsbefehle werden auf Basis der Brake-by-Wire-Technik ausschließlich elektrisch übermittelt. Wie stellen Sie die Redundanz sicher - oder bricht nie ein Datenkabel, fällt nie ein Teilsystem aus?
Zur Vermeidung eines kompletten Systemausfalls durch einen Einfachfehler müssen sowohl die Sensorik zur Erfassung des Fahrbremswunschs als auch die Übertragung der Signale entsprechend ausgelegt sein. Um bei der Sensorik zum Beispiel eine Redundanz zu erzeugen, werden unterschiedliche und damit unabhängige Messprinzipien eingesetzt. Bei der Datenübertragung sind redundante und voneinander getrennte Pfade zwingend erforderlich, um einen etwaigen Bruch oder Abriss eines Kabels kompensieren zu können. Ein ausgeklügeltes Monitoringkonzept zur Absicherung aller Pfade ist die Grundvoraussetzung, um ein By-Wire-System sicher betreiben zu können. Auch hier können wir auf unsere jahrelange Erfahrung mit der IPB aufbauen, die als entkoppeltes System bereits viele dieser Anforderungen erfüllt.
X-by-Wire-Bedienelemente, also Brake, Steer und E-Gas, eröffnen neue Möglichkeiten für Packaging und Gestaltung des Fahrzeuginnenraums. Wie kann der Fußraum der Zukunft aussehen?
In Zukunft können Pedale eingesetzt werden, die deutlich weniger Bauraum benötigen, da sich mit Brake-by-Wire kürzere Pedalwege realisieren lassen. Im Gegensatz zu einem konventionellen Bremssystem wird kein zusätzlicher Pedalweg benötigt, der für den Fall vorgehalten werden muss, dass Fading oder eine Leckage auftritt. Zudem könnten die Pedale beim hochautomatisierten Fahren verstaut werden und weiteren Freiraum für den Fahrer schaffen. Auch ganz neue HMI-Konzepte werden dadurch vorstellbar.
Für ein gutes Gefühl muss beim Brake- by-Wire das Bremsverhalten über einen Stellelektromotor nachgebildet werden, um der fahrenden Person dieselbe Haptik und dasselbe Fahrverhalten vorzuspielen.
Das Pedalgefühl wird auch zukünftig wie bei heutigen entkoppelten Bremssystemen - zum Beispiel der Integrated Power Brake - durch einen Pedalkraftsimulator erzeugt. Es handelt sich hierbei um ein passives Bauteil, das sich aus Federelementen zusammensetzt und das einen definierten Kraft-Weg- Verlauf am Bremspedal realisiert. Das eigentliche Bremsgefühl ergibt sich dann aus dem Pedalgefühl und der dazu wahrgenommenen Fahrzeugverzögerung, die durch das By-Wire-System beliebig dargestellt werden kann.
Hella (Forvia) kündigt seine erste großvolumige Serienfertigung für voraussichtlich 2025 an. Wann kann Bosch den ersten OEM beliefern; wo liegen noch Stolpersteine in Entwicklung und Produktion?
Wir planen 2025 ein hydraulisches Brake-by-Wire-Konzept serienreif verfügbar zu haben und setzen hierbei auf bewährte Komponenten und Produktionseinrichtungen. Wir können uns deshalb auf das herausfordernde Zusammenspiel der verschiedenen Systeme und Komponenten im Fahrzeug fokussieren.
Herr Gaedke, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
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Reichenbach, M., Heintzel, A. "Wir werden Brake-by-Wire-Systeme ab 2025 im Markt sehen". ATZ Extra 27 (Suppl 4), 8–11 (2022). https://doi.org/10.1007/s35778-022-1108-0
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