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Die Antriebsentwicklung ist heute aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Antriebe komplexer denn je. Prof. Dr. Gerhard Reiff, Vorsitzender der Geschäftsführung bei KST Motorenversuch, sprach über die Chancen von Elektroantrieben, Brennstoffzellen und Wasserstoff sowie über die daraus resultierenden Herausforderungen im Testing.
ATZextra _ Die Automobilbranche steht heute vor komplexeren Aufgaben denn je. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen und Chancen für Entwicklungsdienstleister?
Reiff _ Die größte Herausforderung resultiert aktuell tatsächlich aus verschobenen Projekten durch Covid-19. Hier kommen im zweiten Halbjahr 2022 massive Kapazitätsanforderungen auf uns zu. Der zweite Aspekt ist, wie breit das Thema Antriebstechnologie tatsächlich sein wird. In welchen Anwendungssystemen ist die Elektromobilität bereits gesetzt? Was passiert in Richtung Wasserstoff? Hier sehen wir vorsichtige Bestrebungen, H2 im Verbrennungsmotor auch wieder im Pkw zu nutzen. Beim Nutzfahrzeug wird es unterschiedliche Antriebstechnologien geben müssen, weil Technologien wie etwa die Brennstoffzelle im Non-Road-Bereich in den nächsten zehn Jahren noch spezifischen Entwicklungs- und Erprobungsbedarf haben. Diese Themen abzubilden, ist bezüglich Investitionen und Personalqualifikation eine große Herausforderung für Entwicklungsdienstleister. Hinzu kommt, dass Technologien bei den OEMs nicht mehr vollständig abgedeckt und, etwa im Bereich Verbrennungsmotoren, an Entwicklungsdienstleister abgegeben werden.
Wie begegnen Sie den Anforderungen für verschiedene Märkte?
Indem wir uns sehr flexibel aufstellen. Wir haben bei KST drei Säulen des Geschäfts: die klassische Verbrennungsmotorentechnologie, nun mit synthetischen Kraftstoffen, die Elektromobilität bei Pkw und Nfz, und das Thema Wasserstoff für Brennstoffzelle und Verbrennungsmotor. Neue Anbieter, zum Beispiel aus Asien, streben inzwischen auch nach Europa mit Entwicklungszentren in England oder in die Region Frankfurt. Somit sind wir im Moment mit unserem Standort sozusagen mittendrin ganz gut aufgestellt, ohne den Schritt in diese Märkte gehen zu müssen. Wie sich Märkte generell entwickeln, ist aus meiner Sicht weniger von Technologien abhängig als von den dort verfügbaren Energieträgern. Mir fällt es schwer zu glauben, dass sich etwa in Südamerika Elektromobilität kurzfristig durchsetzt, von Afrika gar nicht zu reden.
Wie beurteilen Sie die Rolle der Elektromobilität im Mix zukünftiger Antriebskonzepte?
Es ist unbestritten, dass wir mit der Elektromobilität am effizientesten unterwegs sind. Problematisch ist aber vor allem bei Langstrecken neben der Reichweite die Ausfallzeit von bis zu einer halben Stunde selbst beim Schnellladen. Fahrten zwischen der Arbeitsstelle und Zuhause sind aufgrund der meist geringen Entfernung und den Standzeiten kein Problem, sofern vor Ort geladen werden kann. Ich glaube aber nicht, dass wir schnell genug auf die benötigten Stückzahlen kommen, um die Klimaziele 2030 noch erreichen zu können - sofern das mit Elektromobilität allein überhaupt möglich ist. Deswegen sehe ich eher eine technologieoffene und breite Entwicklung der Antriebe.
Bis zu welchen Spannungslagen können Sie aktuell testen?
Wir kommen von 48 bis 600 V und aktuell liegt der Schwerpunkt bei 800 V. Allerdings sehen wir bei High-End- und Nfz-Anwendungen die Tendenz zu 1000 V und mehr, die wir auch abdecken.
Inwieweit ist es sinnvoll, einen Elektromotor ohne die dazugehörige Batterie zu testen?
Bei uns fängt ein Projekt meist mit dem Inverter und dem E-Motor getrennt an. Hier machen wir HiL-Simulationen für den Motor, um den Inverter relativ früh als Hardware testen zu können. Es geht dann typischerweise in die Kombination E-Motor mit Inverter hin zur E-Achse. Das findet heute fast ausschließlich ohne Batterie statt, zumindest bei uns. Geht es in Richtung Effizienz des gesamten Antriebsstrangs, macht es natürlich Sinn, das Batteriemanagementsystem mit hineinzunehmen. Diesen Schritt gehen wir gerade bei unserem internen Projekt eines Systemeffizienzprüfstands (SEP), wo wir das Zusammenspiel des gesamten Antriebstrangs mit der Batterie analysieren, um daraus etwa abzuleiten, wie Nebenverbraucher zu organisieren sind, um die Gesamteffizienz zu verbessern.
Ermitteln Sie die Gesamtantriebsverluste vom Laden der Batterie bis zum Rad?
Wir beschäftigen uns im SEP-Projekt damit. Das wird sicher auch bei den europäischen Herstellern verstärkt kommen müssen, ist aber derzeit weniger gefragt, als wir gedacht haben. Wir stellen fest, dass dieses Thema, da noch in einer frühen Phase, von unseren Kunden aus Know-how-Gründen noch eher Inhouse bearbeitet wird.
Simulationen und Tests erzeugen immer größere Datenmengen. Welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich für Sie daraus?
Das Datenhandling ist heute kein Problem mehr. Oft stellt sich eher die Frage: Gehen wir über Google oder legen wir einen extra Kundenserver an? Eine Frage ist aber tatsächlich noch, ob der Kunde die erzeugten Datenmengen tatsächlich nutzt oder nur archiviert. Wir bieten Auswertungen und Trendanalysen an, denn Erkenntnisse ergeben sich nur, wenn konsequent ausgewertet wird. So können über KI und maschinelles Lernen bestimmte Themen schon im Vorfeld erfasst und bei der nächsten Auslegung eines Antriebstrangs Fehler vermieden und schneller entwickelt werden.
In der Entwicklung wird derzeit oft auf den Einsatz des digitalen Zwillings fokussiert. Wie haben simulative Methoden die Entwicklungsarbeit verändert und was ist zukünftig zu erwarten?
Speziell die Test-Dienstleister hatten großen Respekt davor, dass ihnen diese Methoden die Arbeit wegnehmen. Ich sehe das überhaupt nicht. Bei der Grundauslegung eines Antriebstrangs oder eines Fahrzeugs kommt heute vorwiegend Simulation zum Einsatz, um bereits früh Fehler zu entdecken und wichtige Parameter zu bestimmen. Aber die Simulation kann zumindest heute noch nicht das Zusammenspiel der Hardwarekomponenten im Test ersetzen. Klar, mit der Zeit sammeln wir immer mehr Daten, die uns auch in der Simulation weiterbringen. Aber bei vielen neuen Themen, wie etwa Brennstoffzelle oder Wasserstoff im Verbrennungsmotor, fehlen diese Daten noch.
Der Einsatz von KI in der Entwicklung gilt bisweilen als das Maß aller Dinge. Wie sehen Sie das?
Ist künstliche Intelligenz tatsächlich künstliche Intelligenz? In einer Diskussion, die wir vor kurzem mit einem Spezialisten vom Fraunhofer-Institut hatten, waren wir uns einig, dass es sich hierbei eigentlich nicht um Intelligenz, sondern um Erfahrung handelt - also die Möglichkeit, erzeugte riesige Datenmengen schnell und effizient auszuwerten und daraus Erkenntnisse für den Entwicklungsprozess zu gewinnen.
Auf Ihren Prüfständen testen Sie auch Wasserstoffantriebe. Glauben Sie an eine Zukunft für Wasserstoff?
Bei Nutzfahrzeugen ist der Wasserstoffmotor im Aufwind. Er dürfte etwa 2024 in Serie gehen. Die Brennstoffzelle sehe ich, auch aufgrund unserer Erfahrungen am Prüfstand, etwa ab 2035 in großen Stückzahlen. Entscheidend für den Erfolg der Wasserstofftechnologien wird aber die Verfügbarkeit des Wasserstoffs sein. Es bleibt abzuwarten, ob Preise von vier bis fünf Euro oder deutlich weniger erreicht werden können. Ich glaube, entscheidender ist die Frage: Wo wird Wasserstoff zuerst sinnvollerweise eingesetzt, in der Industrie oder im Verkehr? Das australische Unternehmen Fortescue Future Industries hat vor kurzen angekündigt, bis 2030 rund 55 Millionen t Wasserstoff pro Jahr produzieren zu wollen - das entspricht etwa dem deutschen fossilen Energieverbrauch. Wenn ein heute unbekannter Player dieses Volumen anpeilt, könnte, wenn auch Multis einsteigen, in etwa zehn Jahren genügend Wasserstoff zur Verfügung stehen. Dann hat die Wasserstofftechnologie bei langen Strecken und hohen Energieanforderungen auch außerhalb des Nutzfahrzeug- und Off-Road-Bereichs eine Chance. Wichtig wird auch sein, zu welchen Energiekosten der Elektrolyseprozess stattfindet. Hier haben wind- und sonnenreiche Gebiete einen klaren Vorteil.
Welches Potenzial bieten synthetische Kraftstoffe?
Wasserstoff wird immer das Grundprodukt für weitere Syntheseschritte sein. Nutze ich ihn direkt, muss er für den Transport über lange Distanzen energieaufwendig komprimiert oder chemisch gebunden werden. Eigentlich wäre es einfacher, die Effizienznachteile über zwei weitere Syntheseschritte zu mindestens Methanol an dieser Stelle zu akzeptieren und damit in der weiteren Logistikkette auf vorhandene Infrastruktur zu setzen.
Der oft zitierte um Faktor 3 höhere Energieaufwand spielt eigentlich kaum mehr eine Rolle, wenn an Sweet Spots produziert wird …
Das ist sicherlich richtig. Aber ich glaube, dass diejenigen Player, die bereitstehen, um hier massiv zu investieren, eine Perspektive über die Bestandsflotte hinaus benötigen. Technisch sehe ich keine Show-Stopper, Drop-in von bis zu 30 % wäre für Motoren der Bestandsflotte machbar, und für neue Motoren sowieso. Es ist eine Frage der gewollten politischen Rahmenbedingungen.
In welchen Segmenten sehen Sie künftig das größte Wachstum?
In den nächsten Jahren sicher im Bereich Wasserstoff. Tatsächlich sehen wir bei der Brennstoffzelle, dass die Projekte aus einem Entwicklungsstadium nach und nach in die Vorserienerprobung gehen, und das wird dauern. Inzwischen erlebt der Wasserstoffmotor einen richtigen Hype, so ziemlich alle OEMs werkeln daran. Und ich bin auch gespannt, wie sich der fossile Verbrennungsmotor noch entwickelt. Hier haben wir im Moment viele Anfragen, hauptsächlich, aber nicht nur, aus dem Nutzfahrzeugbereich. Auch bei Großmotoren mit einer Leistung von über 1 MW kommen neue Entwicklungen und auch Wasserstoffanwendungen. Im Bereich Elektromobilität ist die erste große Entwicklungswelle durch. Hier wird man sehen, wie sich der Markt entwickelt und welche Themen speziell auch in Richtung Effizienz anstehen. Es bleibt also spannend, unsere drei Säulen in der Waage zu halten mit einem vernünftigen, kontinuierlichen Wachstum.
Herr Prof. Reiff, herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
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Heintzel, A. "Wir stellen uns sehr flexibel auf". ATZ Extra 27 (Suppl 2), 28–31 (2022). https://doi.org/10.1007/s35778-022-0521-8
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