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Die IAA will mehr sein als eine Autoshow, sie will die Zukunft der Mobilität zeigen. ATZextra sprach aus diesem Anlass mit Frank M. Rinderknecht, Gründer und Chef von Rinspeed. Der Visionär und kritische Begleiter der Branche gibt Einblicke in seine Vorstellungen der künftigen Entwicklung.
ATZextra _ Herr Rinderknecht, Rinspeed wurde dieses Jahr 40 Jahre. Wie fühlt sich das für Sie an?
Herr Rinderknecht _ Die 40 Jahre spiegeln sich natürlich in meinem Alter wider, aber ich bin im Geiste sehr jung geblieben (lacht). Es waren tolle Jahre, aber was gerade passiert, ist das Spannendste überhaupt in der Automobil-industrie. Die Spielwiese mit den zahl-reichen technischen Möglichkeiten war nie größer als heute, das ist für mich sehr motivierend und inspirierend.
Die Elektromobilität bekommt langsam Wind unter die Flügel. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?
Sie ist durchweg zu begrüßen. Natürlich ist der Strommix noch lange nicht ideal, aber wir sind auf einem guten Weg. Dass es dafür einer gewissen Übergangszeit bedarf, ist klar und nicht das Problem, wenn die Richtung stimmt und das ist das Entscheidende. Denn wenn wir nicht einen geschlossenen Kreislauf aus regenerativen Ressourcen hinbekommen, wird die Welt nicht überleben können. Immer nur produzieren und wegschmeißen ist keine Option für unsere Kinder und Enkel. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt und wer weiß denn, ob es nicht noch eine regenerative Energie gibt, die wir noch nicht entdeckt haben?!
In der Lebenszyklusbetrachtung hat die Elektromobilität durch die massiven Batterien gravierende CO2-Nachteile. Welche Rolle kann die Brennstoffzelle künftig spielen?
Die Brennstoffzelle halte ich im Individualverkehr für keine sehr gute Option. Es gibt kaum Modelle, keine Infrastruktur, was das Tanken sehr erschwert, die Technik ist sehr teuer und alles in allem für die Kunden unpraktisch und damit unbeliebt. Im Shared-Modus als Dienstleistung könnte sie Sinn machen, da ich dann davon ausgehe, dass ich nicht mehr selbst tanken muss, sondern ein funktionsfähiges Fahrzeug übernehme. Auf langen Strecken, etwa im Güterverkehr, ist sie eine echte und auch gute Option.
Sie gelten als Visionär. Lassen Sie uns doch mal auf die Mobilität der Zukunft schauen!
Für mich ist der Game Changer nicht die Elektromobilität, sondern das automatisierte Fahren. Automatisiertes Fahren bedeutet für mich neue Geschäftsmodelle, neue Fahrzeugformen, neuer Gebrauch und andere Volumina. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein automatisiertes Fahrzeug aussehen wird wie ein Golf 10 etwa, aber ohne Pedale und Lenkrad. Das ist viel zu teuer und lässt sich schon wirtschaftlich nicht darstellen, denn es "lebt" ja nicht so lange wie heutige Fahrzeuge, sondern vielleicht drei Jahre. Dann ist die IT im Fahrzeug nicht mehr upgrade-fähig, Hardware zu tauschen wäre so teuer, dass es gar keinen Sinn macht. Daher muss das Fahrzeug sechsmal mehr bewegt werden und das geht nur im dauerenden Einsatz. Für Individualkäufer ist das nicht realistisch.
Sind drei Jahre nicht sehr kurz gegriffen?
Ich glaube nicht. Ich habe mir vor ein paar Monaten ein neues Auto gekauft, navigiere aber vom ersten Tag mit meinem Handy, weil das per se auf einem neueren Stand ist als das Navi im Auto. IT ist nach einem Jahr schon nicht mehr neu, nach drei Jahren alt und nach sechs steinalt, sodass sie sie ausmustern. Da sind sie aber noch nicht einmal annährend bei der halben Lebensdauer eines Autos. Das mag bei Komfort-Funktionen ja noch gehen, aber bei der Sicherheit der Insassen? Keine Chance, da geht es um Leben und Tod und es müssen in Sekundenbruchteilen die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Die IT wird überlebenswichtig im Fahrzeug, hat aber nur eine kurze Lebensdauer. Oder kennen Sie jemanden, der noch mit einem iPhone 1 herumläuft?
Sie sprachen auch neue Geschäftsmodelle an. Welche könnten das sein?
Da gibt es unendliche Möglichkeiten. Fest steht, dass wir das Verhältnis zu Mobilität und Fahrzeugen massiv ändern werden. Statt ein Auto zu besitzen, werden wir unterschiedliche Fahrzeuge beziehungsweise Dienste für unsere Bedürfnisse nutzen - also Shared Mobility mit einer viel größeren Diversität als heute. Ein Anbieter allein kann diese Volumina gar nicht mehr bedienen, wie BMW und Daimler mit ihrer Kooperation ja belegen. Die neuen Anbieter werden die Ubers, Lyfts, Didis und Googles oder Amazons sein, die über ihre Plattformen Millionen User erreichen und daher in notwendiger Größenordnung skalieren können. Möglicherweise wird Mobilität künftig ja auch umsonst sein. Wenn Sie ein Shuttle kostenlos von A nach B bringt und Ihnen dafür auf dem Weg ein paar Produkte von Amazon zeigen darf, die Sie kürzlich aufgerufen haben, wäre das doch denkbar. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass zum Beispiel Restaurants ab einem gewissen Mindestverzehr einen "kostenlosen", weil eingepreisten Shuttle-Service anbieten und dazu natürlich mit entsprechenden Dienstleistern zusammenarbeiten.
Warum haben Ihrer Ansicht nach die deutschen Hersteller hier das Nachsehen?
Der eine Grund ist, dass sie dazu zu wenige Kunden und auch zu wenig Erfahrung haben, wie erwähnt. Ein weiterer Grund ist, dass sie nicht mit dem notwendigen Herzblut bei der Sache sind. Wenn jemand etwas richtig gerne und aus Überzeugung tut, wird er es auch besser machen als einer, der gezwungen wird. Die deutschen Hersteller werden gezwungen. Denn eigentlich wollen sie am liebsten immer noch an ihrem jahrzehntelangen Geschäftsmodell festhalten. Das war einfach, hat sie sehr lange bestens ernährt, sie aber auch träge und unflexibel gemacht. Sehen Sie sich das Dilemma mit der Elektromobilität an. Das wurde von den deutschen OEMs lange unterschätzt und belächelt, dann nur halbherzig verfolgt und ich habe immer noch das Gefühl, es wird lieblos vor sich hin programmiert, statt zielgerichtet und überzeugt Geschäftsmodelle zu entwickeln, die den Kundennutzen in den Mittelpunkt stellen. Die neue Mobilität und die damit verbundene Verschiebung der Wertschöpfungsketten sind für sie wie ein ungewolltes Kind, auf das sie reagieren, weil sie müssen.
Welche Rolle sehen Sie für die Zulieferer?
Der Zulieferer hat immer eine Zukunft, denn egal wer die Autos am Ende zusammenbaut, wird seine Teile und Komponenten brauchen. Doch wer baut die Autos? Es gibt ja immer wieder grenzgängerische Versuche der Zulieferer in Richtung Autobauer, wer weiß, ob die Grenzen nicht mal dauerhaft überschritten werden? Es könnten auch jetzige Hersteller sein, die künftig als White-Label-Anbieter für andere produzieren. Meiner Meinung nach müssen sich OEMs mehr Sorgen um ihre Zukunft machen als Zulieferer. Klar ist aber, dass auch Letztere einen teils sehr schmerzlichen Veränderungsprozess durchlaufen müssen.
Wann rechnen Sie mit den nächsten Leveln des automatisierten Fahrens?
Automatisiertes Fahren wird peu à peu kommen, zunächst in bestimmten Zonen, zu bestimmten Zeiten und zu bestimmten Wetterverhältnissen und dann in einzelnen Städten. Wenn Sie Ankündigungen von Volvo, Lyft oder Tesla nehmen, dann steht der Roll-out automatisierten Fahrens kurz bevor. Doch die Regularien und auch Mentalitäten sind unterschiedlich. Während in Asien gerne am Kunden experimentiert wird, neigen wir Europäer dazu, alles mehrfach abzusichern. Es wird ein packendes Rennen um die Vorherrschaft bei der künstlichen Intelligenz, bei dem China und die USA eine gute Ausgangslage haben. Doch die Anforderungen sind natürlich sehr komplex, weil es unzählige mögliche Verkehrssituationen gibt, auf die adäquat und vor allem sehr schnell reagiert werden muss.
Glauben Sie, dass KI irgendwann soweit sein wird, dass Unfälle komplett vermieden werden können?
Das ist sehr unwahrscheinlich, muss aber auch gar nicht sein. Es ist zuerst eine Frage der Akzeptanz und Erwartungshaltung. Im deutschen Straßenverkehr kommen jedes Jahr mehr als 3000 Teilnehmer um - in erster Linie durch bewusstes Fehlverhalten anderer Menschen, beispielsweise durch Alkoholkonsum oder Ablenkung. Das akzeptieren wir wie selbstverständlich. Aber der Uber-Unfall letztes Jahr, bei dem ein Mensch ums Leben kam, hat riesige Wellen geschlagen. Ein Verkehrstoter durch eine Maschine ist gefühlt viel mehr als ein Toter durch einen Menschen. Es wird Generationen brauchen, bis wir unsere Einstellung diesbezüglich geändert haben, das geht nicht in fünf Jahren.
Sie haben mittlerweile 25 Concept Cars vorgestellt, bei denen jeweils zahlreiche Partner aus unterschiedlichen Branchen kooperieren. Wie finden Sie die Ideen dazu und wie koordinieren Sie die Partner in solchen Projekten, die ja maximal nur ein Jahr Laufzeit haben?
Die Ideenfindung ist durch die Technologievielfalt heute so einfach wie nie. Und die Partner haben ja ein großes Interesse, ihre Innovationen zu zeigen, und sind daher auch sehr motiviert dabei. Die implementierten Technologien und deren Funktionalität liegen in deren Verantwortung. Unser Vorteil dabei ist, dass unsere Fahrzeuge ja nicht voll funktionsfähig sind und auch nicht geprüft und abgenommen werden. Sie sind eher eine anfassbare Kommunikations- und Netzwerkplattform, auf der Unternehmen sich zeigen können. Meine Aufgabe ist es vor allem, die Kommunikationswünsche der Partner im Projekt sicherzustellen.
Das sollte mit Snap ja anders werden. Sie hatten 2018 angekündigt, ein Start-up zu gründen, um die Serienreife zu entwickeln?!
Ja, in den letzten Jahren waren wir sehr erfolgreich mit der Vorstellung unserer modularen Plattform Snap, die zunächst belächelt wurde. Bis dann Daimler vor meiner Tür stand und kurze Zeit später ein sehr ähnliches Konzept vorstellte, was zwar ein Geschmäckle hatte, da davon bei dem Besuch keine Rede war, aber zeigte, dass wir wohl auf dem richtigen Weg sind. Das modulare Konzept hat tatsächlich viele Vorteile. Es muss aber gewährleistet sein, dass der Wechsel unproblematisch, schnell, sicher und günstig funktioniert. Das hatten wir beim Snap bisher zu wenig beachtet. Diese Fehler zur Serienreife zu tragen, hätte keinen Sinn gemacht und wir haben diese noch rechtzeitig erkannt. Ich denke, Ende des Jahres könnte es aber soweit sein, dass wir die Serienreife angehen. Auf der CES 2020 werden wir bezüglich der genannten neuralgischen Kriterien beim Wechselsystem einen Meilenstein präsentieren, für den wir gerade einen Patentierungs-Eingabeprozess abgeschlossen haben. Für uns wäre eine Kleinskalierung ein Novum, das sicher große Herausforderungen bringen, aber auch eine zusätzliche Möglichkeit bieten würde, zu wachsen. Und dieses Wachstum möchten wir nach den gemachten Erfahrungen auch möglichst gut rechtlich absichern.
Sie stellen jüngst weniger die Technik, sondern zunehmend den Kundennutzen in den Vordergrund. Was leistet Snap diesbezüglich denn?
Wir bringen damit bisher streng getrenntes zusammen, nämlich den Menschentransport und die Supply Chain. Wir transportieren in den Rushhours Personen, beispielsweise von 7 bis 9 Uhr und von 17 bis 19 Uhr, ansonsten bedienen wir die Supply Chain, sprich wir bringen Waren so direkt zu Kunden, dass diese sich aussuchen können, wann und wo sie die Ware empfangen wollen. Das macht in der Art und Weise bisher kein System. Ermöglicht wird dies durch unsere einfache Wechselsystematik, die auch ein ein "NeighborHood Depot" erlaubt. Die Paketstation kommt zu uns anstelle wir zu ihr.
Haben Sie unter den 25 Concept Cars ein Lieblingsauto?
Ich liebe sie alle auf unterschiedliche Weise, weil sie alle eine Bedeutung für uns haben. Aber von der Medienwirksamkeit ist unser Tauchauto, der sQuba, am erfolgreichsten. Das ist nach zwölf Jahren immer noch die Kommunikationsikone, den kennt praktisch jeder. James Bond lässt grüssen und Elon Musk träumt noch davon.
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Rinderknecht, F. "Die neue Mobilität ist für die Hersteller wie ein ungewolltes Kind". ATZ Extra 24 (Suppl 6), 6–9 (2019). https://doi.org/10.1007/s35778-019-0069-4
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