Ein Tier-1-Zulieferer der Luftfahrtindustrie war im Zuge der Digitalisierung seiner Prozesse auf der suche nach einer Softwarelösung zur Programmierung der Roboteranlage für die automatisierte Reinigung von Presswerkzeugen. Durch Offline-Programmierung sollten rund 200 unterschiedliche Programme für die Oberflächenreinigung der jeweiligen Werkzeugsätze entstehen. Der Softwareanbieter erstellte in Kooperation mit dem Anwender eine Sonderlösung, der Reinigungsprozess wurde dabei vom Prinzip her als Lackier-Prozess abgebildet.

Als internationaler Zulieferer für Flugzeugsystem- und Kabinenlösungen stattet Diehl Aviation weltweit nahezu alle namhaften Flugzeughersteller aus. Avionik, Kabinenausstattung inklusive Bordküchen, Bordtoiletten, Sanitärlösungen für Flugzeuge Brandschutz, Wasserversorgung und Klimatisierungen sowie umfangreiche Retrofit-lösungen zählen zum Portfolio, das den gesamten Lebenszyklus des Flugzeugs umfasst.

Um Leistungen und Produkte effizienter und nachhaltiger herzustellen soll sich ein „digitaler Faden“ durchgängig über die gesamte Wertschöpfungskette des Unternehmens ziehen. Ergänzt wird der Ansatz durch die Zielsetzung einer größtmöglichen Automatisierung von Abläufen und Prozessen - da wo es technologisch und wirtschaftlich sinnvoll ist.

Gesucht: Offline-Programmierlösung für Roboteranlagen

Die obige Maxime leitete auch ein Ende 2019 gestartetes Vorhaben: die Implementierung einer Software zur Offline-Programmierung von zwei Roboteranlagen - einer 8-Achs-ABB-Roboteranlage für das Laser-Schweißen von Kunststoffteilen sowie einer Roboteranlage für die automatisierte Reinigung von Presswerkzeugen. Bei der letzteren sollten durch Offline-Programmierung rund 200 unterschiedliche Programme für die Oberflächenreinigung der jeweiligen Werkzeugsätze entstehen.

Bei Diehl Aviation war bekannt, dass die Firma Cenit eine eigene Software-Lösung für den Bereich Digitale Fabrik entwickelt hatte. Ein Demo-Termin vor Ort und ein anschließender Proof-of-Concept überzeugten den Luftfahrtzulieferer. Entscheidend war die Tatsache, dass Cenit nicht nur Diehls Ansprüche an die Offline-Programmierung der Roboter erfüllen, sondern auch die durchgängige Konnektivität der Software zum SAP-System abdecken konnte.

Herausfordernder Auftakt für alle Seiten

Bei der Umsetzung gab es drei zentrale Herausforderungen, die den zeitlichen Ablauf des Projekts beeinflussten.

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© CENIT AG

Darstellung der Wasserstrahl-Roboteranlage für die automatisierte Reinigung von Presswerkzeugen in der Software.

Die erste Herausforderung: „Wir besaßen noch kaum Erfahrung in Bezug auf hoch automatisierte Robotersysteme und deren Programmierung“, erinnert sich Daniel Kohn, Project Manager Automation and Digitalization bei Diehl Aviation. So war es beispielsweise auch nicht sofort möglich, die ursprünglichen CATIA-Modelle der Fertigungsmittel oder der zu reinigenden Werkzeuge in Fastsuite zu laden, da die Aufbereitung der entsprechenden Datenmodelle nicht dem nötigen Standard entsprach. „Es erforderte Einiges an Entwicklungsarbeit seitens Cenit, dass wir diese Modelle nun nicht mehr selbst bearbeiten müssen“, so Jürgen Böhringer, Key-User Tool Engineering bei Diehl Aviation.

Die zweite Herausforderung: Der Oberflächen-Reinigungsprozess von Presswerkzeugen für die Luftfahrtindustrie ist komplex und birgt Besonderheiten. Obwohl Cenits Software Fastsuite E2 zahlreiche branchenbezogene Spezifikationen in ihren Bibliotheken beinhaltet, war dieser spezielle Prozess technologisch noch nicht in der Software abgebildet. „Die notwendigen Funktionalitäten und Anforderungen kamen sukzessive zutage. Letztendlich mussten wir dann im laufenden Projekt das Technologie-Paket seitens der Softwareentwicklung erweitern“, berichtet Dieter Konrad, Senior Account Manager bei Cenit, und ergänzt: „Software-seitig war dies eine gut lösbare Aufgabe.“ Für Cenit bestand die Herausforderung darin, personelle Ressourcen in der Softwareentwicklung freizumachen, die für die Erweiterung des Technologie-Pakets notwendig waren. Das hat den zeitlichen Horizont nach hinten verschoben.

Und der dritte herausfordernde Aspekt: Die bei Diehl Aviation eingesetzten Roboteranlagen entsprachen nicht exakt den durch den Hersteller bereitgestellten Messwerten und digitalen Modellen. Die tatsächlichen Nullpunkte, Parameter oder auch Verschiebungen auf der Anlage, die sich über den Aufbau und auch die Kalibrierung ergeben haben, galt es im Nachgang zu korrigieren und beide - das reale und das digitale Modell - entsprechend genau abzugleichen. „Dieser Prozess war sehr herausfordernd und ein gravierender Lernschritt für uns alle“, stellt Jürgen Böhringer rückblickend fest.

Programmierung in Serienumgebung

Im April 2021 begannen die Mitarbeiter der Diehl-Aviation-Abteilung Tooling aktiv, in Serien-Umgebung Programme zu schreiben.

Das Resultat der gemeinsamen Anstrengungen war eine voll funktionsfähige Fastsuite-Lösung, die die Oberflächen-Reinigung vollumfänglich abbilden konnte. Aufgrund des speziellen Charakters des Wasserstrahl-Reinigungsprozesses für die Presswerkzeuge wurde eine Sonderlösung gefunden: Der Reinigungsprozess wurde vom Prinzip her als ein Lackier-Prozess abgebildet - nur nicht mit Material-Auftrag, sondern mit Material-Abtrag. „Wichtig dabei ist, dass die Anlage nach der Programmierung komplett ohne Nach-Teachen läuft“, betont Daniel Kohn. Denn Simulation im Vorfeld schütze vor Schäden und verkürze die Optimierungsschleifen. „Im Vergleich zur manuellen Programmierung spart man sich bis zu 2 h Arbeitszeit, mit einem tendenziell laufzeitoptimierten Programm“, so Kohn. Dies, während die Anlage parallel weiterhin in Betrieb ist. „Ohne Offline-Programmierung hätten wir Maschinenstillstände gehabt, die wir uns bei der steigenden Varianz nicht erlauben können“, erklärt Spezialist Böhringer.

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© CENIT AG

Daniel Kohn(links), Project Manager Automation and Digitalization, und Jürgen Böhringer (rechts), Key-User Tool Engineering, beide Diehl Aviation, an der Reinigungsanlage für Presswerkzeuge.

Win-win-Situation

Zu den Vorteilen, die Diehl Aviation realisiert hat, zählen Zeitersparnis und Effizienz. Zum einen bezieht sich dies auf die Offline-Programmierung selbst - und zum anderen auf den eigentlichen Reinigungsprozess. Da nun die notwendigen Formate der CATIA-Modelle definiert und in der Software enthalten sind, können die Kollegen in der Tooling-Abteilung heute eine Vorrichtung in einem Tag programmieren.

Zudem kann die komplette Vorrichtung, dank der Automatisierung, nun in einer Stunde gereinigt werden. Früher kalkulierte man bei Diehl Aviation mit rund fünf Stunden, da der Prozess der Oberflächenreinigung von Presswerkzeugen sich manuell sehr aufwendig gestaltet. Die Automatisierung bringt somit auch wirtschaftliche Vorteile in Bezug auf Ressourcennutzung mit sich. So konnte der gesamte Reinigungsprozess zeitlich um 40 % reduziert werden.

Weitere Vorteile sind Qualitäts- und Prozesssicherheit: Die Oberflächen eines Presswerkzeugs sind sehr sensibel. Deswegen sind Abläufe so zu programmieren, dass die Roboteranlagen die Oberflächen mit stets gleichbleibend hoher Qualität reinigen. Dies wird bei der Offline-Programmierung durch die Angabe von Parametern für die entsprechenden Haltepunkte standardisiert sichergestellt. Auch kann vorab in der Simulation eine Kollisionskontrolle durchgeführt werden. Mit einer manuellen Programmierung, also mit dem klassischen Teachen, ließe sich nicht überprüfen, ob die Oberfläche eventuell geschädigt würde. Denn Teachen ist letztendlich „Augenmaß“.

Und auch Cenit spürt einen positiven Effekt aus der Kooperation - nämlich einen Zugewinn an fachlicher Expertise in Bezug auf die Oberflächen-spezifische Programmierung. Was nüchtern klingt, ist ein enormer Vorteil für einen Software-Hersteller: Denn das Thema Oberflächenprogrammierung ist ein Spezialgebiet, das gefragt ist. „In der Zusammenarbeit mit den Projekt-Kollegen bei Diehl Aviation durften wir viel über die Spezifika dieses Prozesses lernen und haben diese als neue Funktionalitäten in Fastsuite E2 eingebracht. Dies bringt unserem Kunden Diehl Aviation konkreten Mehrwert in Bezug auf seine Roboter-Prozesse - und erhöht die Funktionalität der Software insgesamt“, so Dieter Konrad.

Auch über das Fachliche hinaus, so betonen Cenit und Diehl Aviation, haben sich im Rahmen der Zusammenarbeit beide Seiten weiterentwickelt und profitieren von der Partnerschaft. Man versteht sich und handelt auf Augenhöhe, als Partner die ein gemeinsames Ziel vorfolgen. Und dies ist entscheidend für beide Seiten und den gemeinsamen Erfolg.