Künstliche Intelligenz (KI) hält zunehmend Einzug in der Oberflächentechnik: In komplexen Beschichtungsanlagen werden die Prozesse teilweise von der Vorstufe bis zum fertigen Ergebnis überwacht und mittels KI analysiert und verbessert. Dabei wird der Kern des Beschichtungsprozesses - das Spray - meist ausgelassen. Hier schlummern Potenziale.

Wenn zum Beispiel in der Automobilindustrie an einer Karosserie eine Fehlbeschichtung entdeckt wird, kann es vorkommen, dass alle Karosserien auf der Linie zwischen der Qualitätskontrolle und vorgelagertem Lackauftrag den gleichen Fehler aufweisen. Gründe für solche wiederkehrenden Fehler können Probleme im Durchfluss, Viskositätsänderungen im Lack, Kontamination des Equipments, Schäden am Zerstäuber et cetera sein.

Im Lackierprozess ist die Qualitätskontrolle meistens zeitlich und räumlich vom Produktionsprozess getrennt und erfolgt teilweise erst nach dem Einbrennen oder in Form der Endabnahme. In diesem Fall der sogenannten Offline-Qualitätskontrolle entsteht ein großer Zeitversatz von der Produktion (mit Fehler) bis zur Fehlerentdeckung und der Mängelbehebung. Die Feedback-Zeit beträgt mehrere Sprüh-Zyklen beziehungsweise Bauteile oder Karosserien, was den Verlust von viel Zeit und Ressourcen bedeutet.

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© Bigstockphoto / pasiphae

Künstliche Intelligenz kann im Beschichtungsprozess dazu beitragen, die Anlagenverfügbarkeit sowie die Qualität zu verbessern.

Stand der Technik ist heute die Online-Qualitätskontrolle. Online bedeutet in unserem Beispiel, dass die Qualitätskontrolle zwischen zwei Sprüh-Zyklen, zum Beispiel in der Home-Position des Roboters, stattfindet. Damit wird die Feedback-Zeit verkürzt, da die Qualitätskontrolle räumlich nicht mehr von der Produktion getrennt ist und zwischen zwei Produktionszyklen erfolgt. Wenn also die Zerstäubung und der Düsenzustand online überwacht werden und entsprechend der Rückmeldungen zeitnah Korrekturen vorgenommen werden können, ergibt sich daraus nur ein geringer Zeitversatz. Im besten Fall kann so die Feedback-Zeit nur einen Zyklus, beziehungsweise eine Karosserie betragen. Eventuelle Fehlproduktionen und sich reproduzierende Schäden werden dadurch erheblich reduziert und die First-Run-O.K.-Rate wird signifikant erhöht.

Inline-Messung des Sprays für sofortiges Feedback

Ein Anbieter dieser Technologie für Online-Qualitätskontrolle ist die auf Messungen im Spray spezialisierte Firma AOM-Systems aus Heppenheim. Mit ihrer neuesten Entwicklung geht sie aber noch einen wesentlichen Schritt weiter. Unter dem Label "Smart Sprays" erfasst ein auf dem Roboter installierter Spray-Sensor die Spray-Qualität im Prozess. Das System soll so als echte Inline-Qualitätskotrolle funktionieren. Laut Anbieter wird im Zusammenspiel mit künstlicher Intelligenz (KI) und angelernten Prozess- und Qualitätsdaten die Feedback-Zeit praktisch auf null gesenkt. Ein KI-Regelkreis übernimmt demnach in Echtzeit die Prozessregelung und eliminiert so praktisch den Zeit- und Ressourcenverlust.

Im Smart-Spray-Prozess werden angelernte Prozess- und Qualitätsdaten in einer Datenbank gespeichert und mittels Standard-Interface bereitgestellt. Diese Daten können Erfahrungswerte vom Anwender sein, aber auch vom Lackhersteller angelieferte Datensätze. Letztere werden mittels eines Analysegeräts, in Kooperation mit der Firma Orontec, vorgängig bei der Lackherstellung aufgenommen und gespeichert.

Das im Beschichtungsprozess integrierte Sprayspy-Gerät überwacht inline das Spray bezüglich verschiedener Faktoren. Dazu gehören Zerstäubungsqualität, Durchfluss, Sprühwinkel, Viskosität des Lacks, Zustand des Equipments, Kontamination und - wenn vorhanden - elektrostatische Aufladung des Substrats. Diese Sprüh-Parameter werden laufend und parallel über den Inline-Spray-Sensor überwacht. Bei einer Abweichung erkennt das System laut Hersteller auf Basis der gespeicherten Prozess- und Qualitätsdaten die Fehlerursache und errechnet mittels eines KI-Algorithmus den Regelbefehl für die Anlagensteuerung. Diese regelt unmittelbar in Echtzeit nach oder gibt eine spezifische Fehlermeldung aus. Daraus ergibt sich während der Beschichtung eine i.O. / n.i.O.-Klassifizierung für jedes Bauteil oder - in dem Beispiel der Automobilindustrie - für jede Karosserie. Die Feedback-Zeit hat keine Verzögerung mehr und Material- sowie Ressourcenverlust sind eliminiert.

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© AOM-Systems

Darstellung einer Offline-Qualitätskontrolle mit zeitversetztem Feedback.

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© AOM-Systems

Darstellung einer Online-Qualitätskontrolle mit zeitnahem Feedback.

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© AOM-Systems

Darstellung einer Inline-Qualitätskontrolle mit KI-Regelkreis.

Die Vorteile der Inline-Messung für die Anwender liegen auf der Hand. Es wird eine abermals verbesserte First-Run-O.K.-Rate erzielt, die Wartungskosten werden gesenkt und die Downtime der Anlage wird reduziert.

Entscheidender Digitalisierungsschritt

Die Zukunft der Lackieranlagen liegt für AOM-Systems klar in Regelkreisen mit KI. Dafür sieht der Anbieter es als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer durchgängigen Digitalisierung, dass der Kern des Beschichtungsprozesses, das Spray, direkt und inline überwacht wird. Die Inline-Messung ermöglicht in Echtzeit Regelvorgänge, welche die Feedback-Zeit gegen null drücken. Damit wird nicht nur unmittelbare Ausschussproduktion vermieden, sondern auch wertvoller Input für vorausschauende Wartung zum Beispiel der Düse erzeugt. Da KI-Regelkreise selbstlernend aufgebaut sind, gewinnt das System kontinuierlich an Wissen und wird im Laufe der Zeit immer exakter und schneller.

Das Inline-Messgerät Sprayspy von AOM-Systems überwacht den Beschichtungsprozess vollständig. Es eignet sich dank geringem Gewicht für jeden Roboter und wird in Kürze auch für Anwendungen mit Hochrotationszerstäuber erhältlich sein. Laut Anbieter zahlt sich die Anschaffung des Systems in kürzester Zeit aus.