„Um die psychische Entwicklung eines Menschen zu verstehen, müssen wir ganz am Anfang beginnen. Wenn eine Samenzelle mit einer Eizelle verschmilzt, ist das der Zündfunke und Urknall für die Entstehung eines neuen Lebens. So kommt ein neuer Mensch in diese Welt. In ihm ist eine enorme Lebenskraft, ein unbändiger Lebenswille, eine grenzenlose Lebenslust vorhanden, von der er ein Leben lang Gebrauch machen kann. Das ist auch so etwas wie ein unzerstörbarer Kern in ihm.“ Doch wie können wir im täglichen Praxisbetrieb diesem wichtigen Grundprinzip Rechnung tragen? Wie kann der behandelnde Arzt auf die emotionalen Bedürfnisse seines Patienten in einem zeitlich begrenzten Umfeld eingehen? Es ist von großer medizinischer Bedeutung, ob am Anfang ein emotionales Trauma steht und dann eine physische Erkrankung folgt oder ob die physische Erkrankung zu einem emotionalen Trauma oder einer psychischen Erkrankung führt. In manchen Fällen ist es schwer zu unterscheiden. Insbesondere bei Patienten mit hartnäckigen chronischen Schmerzerkrankungen oder anderen hartnäckigen chronischen Problemen, bei denen keine klare Ursache gefunden werden kann, sollte an ein emotionales Trauma gedacht werden.

Wir sind es unseren Patienten schuldig, jedoch müssen bei schweren psychischen Erkrankungen auch ein entsprechend ausgebildeter Psychologe oder Psychiater hinzugezogen werden. Es bleibt jedem behandelnden Arzt selbst überlassen, inwieweit er diese Verantwortung tragen möchte. Die von Professor Bahr und Frau Dr. Wesemann gefundenen Punkte und therapeutischen Blütentropfen geben dem erfahrenen Aurikulomediziner ein potentes Werkzeug an die Hand, um entsprechende Störherde zu testen und mittels Ohrakupunktur und Blütentherapie schonend zu behandeln. Im täglichen Anwendungsgebiet dieser Punkte ergeben sich mehrere spannende Erfahrungswerte:

Vom behandelnden Arzt RAC-getestete emotionale Punkte wie Aggression, Angst und Wut können auf Nachfrage von den Patienten meist bestätigt werden.

Nicht selten erlebe ich in meiner Praxis Situationen, in denen Patienten sich fragen, wie ich wissen könne, dass sie so wütend sind. Einmal hatte ein Patient, den ich bereits zuvor ein paar Mal gesehen hatte, ganz klar per RAC den Aggressions- und Angstpunkt. Er verneinte auf meine Nachfrage klar, solche Emotionen zu haben. Nach der Konsultation kam die Ehefrau des Patienten in den Behandlungsraum und brach in Tränen aus, während sie den Streit beschrieb, den sie kurz vor der Konsultation mit ihrem Ehemann hatte.

Solche und andere Situationen eröffnen für uns Ärzte die Möglichkeit, damit sich der Patient in seinen emotionalen Bedürfnissen besser verstanden fühlt. Oft berichten die Patienten nach der Akupunktur entsprechender emotionaler Punkte von einer deutlichen psychischen Entlastung, sie könnten wieder besser durchatmen, die Schultern seien nicht mehr so angespannt, sie würden sich leichter fühlen. Auch berichten die Patienten von einer anhaltenden positiven Wirkung über Tage oder sogar Wochen. Besonders spannend ist, dass oft auch Schmerzsymptome wie zum Beispiel Rückenschmerzen abklingen. Ein sehr häufig gefundener Punkt ist der Aggressionspunkt auf der nicht dominanten Seite, jedoch verneinen die Patienten oft, dass Aggression in ihrem Leben eine Rolle spielt.

Die Patienten bestätigen aber häufig, dass sie bei Missverständnissen oder in Konfliktsituationen nicht in der Lage sind ihre Bedürfnisse auszudrücken und sich zu positionieren. Sie beschreiben dieses Gefühl oft als eine heruntergeschluckte Aggression, eine Anspannung. Besonders in diesen Fällen ist es spannend zu beobachten, wie Verspannungen der Kaumuskulatur, der Nackenmuskulatur und in weiterer Folge chronische Nacken-Kopfschmerzen auftreten. Die Patienten können dann oft Situationen oder Konflikte beschreiben, bei denen sie nicht ihre Meinung gesagt haben, sondern „hinunterschluckten“. Oft können diese kleinen Hinweise für die Patienten schon heilende Folgen haben, da sie, sofern es sich um wiederkehrende Situationen handelt, die Möglichkeit bekommen, sich anders zu entscheiden. Die Punkte auf dem außerordentlichen Energiemeridian zwischen LG 16 und LG 20 ermöglichen sogar eine zeitliche Zuordnung eines emotionalen Traumas, bringt den erfahrenen RAC-Anwender in eine besondere, delikate Situation.

Nicht selten testet man Traumatisierungen nach der Geburt, während der Kindheit oder während der Pubertät. Wenn man die Patienten darauf anspricht, fallen ihnen häufig Situationen ein, die diese Traumatisierungen ausgelöst haben könnten. Nicht selten sprechen Menschen von schweren, manchmal auch sexuellen Traumatisierungen. Sollten Sie diese Dinge testen und ansprechen, müssen Sie mit dem Patienten empathisch das Gespräch suchen, Hilfe anbieten und vor allem ein Konzept erstellen, um den Patienten in dieser Situation nicht alleine zu lassen.

Sofern die Patienten sich bereits in psychologischer Therapie befinden oder in der Vergangenheit bezüglich dieses Themas therapiert wurden, sind sie oft dankbar, dass dieses Thema nun auch in einer ärztlichen Akupunkturkonsultation thematisiert wird. Jedoch kann genauso das Gegenteil der Fall sein. Daher bedarf es bei diesen Thematiken besonderer Empathie und Fingerspitzengefühl. Im Folgenden nun konkrete Fallbeispiele.

Beispiel 1: Erfolg durch Trauma und die Spätfolgen

Eine Patientin im 48. Lebensjahr, beruflich und finanziell sehr erfolgreich, stellte sich regelmäßig in meiner Praxis vor, um ihr hohes Leistungsniveau aufrechtzuerhalten. Eines Tages zeigte sich bei ihr der emotionale Punkt der Verzweiflung mit der Blüte Isopogon. Die zeitliche Zuordnung zwischen LG 16 und LG 20 wies RAC getestet auf ein aktuelles Trauma und ein 10 Jahre zurückliegendes Trauma hin. Die Patientin befand sich zu diesem Zeitpunkt in sehr wichtigen Verhandlungen zum Abschluss eines großen finanziellen Deals. Auf meine Frage, was vor 10 Jahren geschehen sei, erklärte sie mir, dass sie sich damals ebenfalls unter großem Druck gefühlt hatte.

Es war damals auch eine Zeit intensiver beruflicher Verhandlungen, jedoch erpresste sie gleichzeitig ihr damaliger Partner, indem er mit Trennung drohte, würde sie nicht einer Ehe zustimmen. Als ich ihr die gefundenen Punkte erklärte, musste sie lächeln, da sie sich in beiden Situationen ähnlich gefühlt hatte. Bei dieser Patientin war es einfacher, da ich auch die behandelnde Psychotherapeutin gut kannte und wir mit dem Ergebnis der Patientin im regen Austausch standen. In der folgenden Konsultation 2 Monate später fand sich der Punkt Aggression mit Yellow Star Tulip LG 20 (also aktuelles Trauma) und im Alter von 6 Jahren. Die Patientin berichtete, dass ihr Anwalt einen Fehler im Abschluss der aktuellen Geschäftsverhandlung gemacht hatte und ihr damit finanziell sehr geschadet hätte und sie sehr wütend darüber war.

Die Frage, was im Alter von 6 Jahren passiert sei, konnte die Patientin nicht beantworten, da sie sich nicht erinnern konnte. Die behandelnde Psychologin beschrieb, dass die Patientin in manchen Situationen immer wieder auf dieses Alter zurückfiel. Die Mutter der Patientin, die ebenfalls Patientin in meiner Praxis ist, erzählte mir, was damals geschehen war: Sie sei damals vom Vater der Tochter geschlagen worden, und das Kind hätte sich mit einer Stricknadel bewaffnet zwischen Vater und Mutter gestellt.

Es ist besonders spannend zu sehen, wie selbst vermeintlich beruflich erfolgreiche und kontrollierte Patienten unter emotionaler Anspannung wieder in ihre Traumatisierung zurückfallen. Besonders spannend wird es, wenn wir im Austausch mit anderen Therapeuten sind, die jene Probleme aus einem anderen Blickwinkel betrachten, und wir entweder zu einem gemeinsamen Schluss kommen oder einen guten Dialog führen und uns austauschen können.

Beispiel 2: Trauma als Flucht

Im Folgenden wird eine knapp 40-jährige Patientin beschrieben, die nach der Akupunktur des emotionalen Punktes stark zu hyperventilieren begann. Die Hyperventilation dauerte über 1 Stunde an und war selbstlimitierend. Bei der nächsten Konsultation wurde die Patientin nicht mehr akupunktiert, jedoch erzeugte allein das Testen mit der Ampulle Oregon Grape über den Lenkergefäß erneut eine Hyperventilation, als ich mit der Ampulle exakt den Traumapunkt auf den außerordentlichen Energiemeridian testete. Der Fall ist in dieser Prägnanz sicher nicht häufig, jedoch zeigt er auch eindrücklich, wie sensibel Patienten auf kleine Interventionen reagieren können. Bei der Patientin handelt es sich um einen Fall eines schweren Traumas, das sich vollkommen ihrer Erinnerung entzieht. Die weitere Behandlung der Patienten wurde in Rücksprache mit einem Therapeuten und anderen Kollegen fortgeführt.

Beispiel 3: Trauma getriggert durch Video

Das Beispiel zeigt die große Bedeutung der persönlichen Biografie in der Entwicklung einer Traumatisierung bzw. einer Retraumatisierung. Ein 44-jähriger Patient stellte sich notfallmäßig in meiner Praxis vor. Er hatte am Montag der gleichen Woche von einem Bekannten ein Video zugeschickt bekommen, welches die Schlachtung von Tieren infrage stellt. Der Patient war dermaßen schockiert über die in diesem Video zur Schau gestellte Brutalität und von der Bosheit der Menschen, sodass er nach Betrachtung des Videos tief erschüttert war. Die gesamte Woche über empfand der Patient Zwangsgedanken, Wut und hohen Stress, besonders wurde dies durch die Betrachtung eines offenen Feuers getriggert (im Video wurden auch Tiere gebraten). Beim Patienten fanden sich der emotionale Punkt der Angst sowie weitere Punkte wie das rechte Kiefergelenk (als Ausdruck der enormen Anspannung). Doch besonders interessant waren die Punkte auf der Zeitachse zwischen LG 16 und LG 20. Diese Punkte konnten jeweils dem Alter des Patienten zugeordnet werden, in welchem er als Kind geliebte Haustiere verloren hatte, teilweise durch dramatische Unfälle. Zur Behandlung erhielt der Patient potenzierte Blütentropfen Sturt Desert Pea und Isopogon sowie ein Nahrungsergänzungsmittel mit 5-HTP. Beim ersten Kontrollgespräch nach wenigen Tagen berichtete der Patient von einer deutlichen Besserung der Symptomatik.

Abschließend möchte ich Kolleginnen und Kollegen ermutigen, die Behandlung des seelischen Traumas nach Bahr/Wesemann in ihre Akupunkturbehandlung aufzunehmen.

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Dr. med. Thomas Holzknecht