Die Region Südostasien hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung in der Vergleichenden Politikwissenschaft gewonnen. In kaum einer anderen Region der Erde sind die sozialen, kulturellen und politischen Heterogenitäten größer als in Südostasien. Von kommunistischen Einparteiensystemen in Vietnam und Laos, der dynastisch-autoritären Monarchie in Brunei, über elektorale Autokratien wie in Malaysia, Singapur und Kambodscha, bis hin zu den fragilen Demokratien in Indonesien, Ost-Timor und den Philippinen besteht eine große Vielfalt unterschiedlichster politischer Systemtypen. Zudem ist die Region auch von einer großen Dynamik zwischen Re-Autokratisierung (wie in Thailand nach den Militärputschen von 2006 und 2014) und Demokratisierung (wie zuletzt in Myanmar) gekennzeichnet.

Zu den politischen Entwicklungen in der Region sind in den letzten 20 Jahren eine Vielzahl von politikwissenschaftlichen Monographien und Fachartikeln erschienen. Was jedoch fehlte, war eine systematische und aktuelle Überblicksdarstellung über alle politischen Systeme. Diese Lücke hat nun Aurel Croissant als Autor der vorliegenden Einführung in die politischen Systeme Südostasiens geschlosssen. In seinem sehr umfang- und detailreichen Einführungsbuch (mit mehr als 600 Seiten) wurden die politischen Entwicklungen bis Ende 2014 berücksichtigt. Schwerpunkte der Analyse sind die Ursachen und die Perspektiven demokratischer Transformation und autokratischer Persistenz in Südostasien. Das Buch kann somit in der empirisch-vergleichenden Demokratie- und Autokratie-Forschung eingeordnet werden.

In der Einleitung werden die Begriffe „Politisches System“, „Staat und Regime“ sowie „Demokratie und Autokratie“ vorgestellt, wobei sich der Autor bei Letzterem auf das von ihm und Wolfgang Merkel entwickelte Modell der Defekten Demokratie bezieht. Im zweiten Kapitel wird nach einer kurzen historischen Einführung auf den Stand der politikwissenschaftlichen Südostasienforschung Bezug genommen. Croissant identifiziert hierbei drei größere Themenbereiche, die die poltikwissenschaftliche Forschungsagenda der letzten 20 Jahre maßgeblich geprägt haben: Die vor allem Ende der 1990er-Jahre ausgefochtene Debatte über Asiatische Werte, die Analyse demokratischer Transformationsprozesse in der Vergleichenden Politikwissenschaft sowie die politischen Ursachen und Folgen des rapiden Wachstums der südostasiatischen Volkswirtschaften im Bereich der Politischen Ökonomie.

Der Hauptteil des Buches besteht aus elf Länderkapiteln zu Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Ost-Timor, den Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam. Anders als im Buch „Politische Systeme in Südostasien“ von Jürgen Rüland (1998) erfolgt die Gliederung nicht nach thematischen Gesichtspunkten, sondern in Länderkapiteln, die alle nach der gleichen Struktur gegliedert sind. Nach einem Einführungskapitel zur historischen Entwicklung werden die Verfassungsprinzipien sowie deren Entwicklung vorgestellt. Es folgen Ausführungen zum Regierungssystem, zum Rechtssystem, zu Parteien und Wahlen, zu Staat und Verwaltung, zu den zivil-militärischen Beziehungen, zur politischen Kultur und Zivilgesellschaft sowie zu Medien.

Überaus bemerkenswert ist die inhaltliche Tiefe und die gründliche Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen politischen Strukturen, den jeweiligen Akteuren und den sehr unterschiedlichen politischen Prozessen in den jeweiligen südostasiatischen Ländern. Hierbei berücksichtigt Aurel Croissant in vorbildlicher Weise die vorhandene neuere deutsch- und englischsprachige Forschungsliteratur und verdeutlicht zahlreiche Sachverhalte mit einer Vielzahl von sehr hilfreichen Grafiken, Tabellen und Schaubildern.

Den Abschluss des Buches bildet ein verhältnismäßig kurzes (40 Seiten) vergleichendes Kapitel, das die gleiche Struktur wie die vorhergehenden Länderkapitel aufweist. Hierin werden die Befunde aus den einzelnen Länderstudien einander gegenüber gestellt und miteinander in Bezug gesetzt. Trotz der Heterogeneität der politischen Systeme gelingt es dem Autor, Rückschlüsse für die gesamte Region zu ziehen. Zahlreiche sehr übersichtlich gestaltete Vergleichstabellen vermitteln einen guten Überblick über die unterschiedlichen Elemente der verschiedenen politischen Systeme. So kann man sich beispielsweise in einer Tabelle über die verschiedenen Aspekte der Wahlsysteme oder auch über den Stand der politischen und fiskalischen Dezentralisierung in den einzelnen Staaten informieren. In seinem Ausblick zeichnet Aurel Croissant ein eher skeptisches Bild über die Demokratisierungsprozesse in der Region und verweist auf die Defizite der demokratischen Systeme sowie die Stabilität der Autokratien.

Insgesamt kann das vorliegende Buch sowohl politikwissenschaftlich vorgebildeten Regionalexperten als auch eher landeskundlich interessierten Nicht-Experten empfohlen werden. Für Erstere ist das Buch eine wahre Fundgrube für zahlreiche neuere Forschungsergebnisse aus verschiedenen Teilbereichen der einzelnen politischen Systeme Südostasiens, die bisher noch nicht in dieser komprimierten Form zusammengefasst wurden. Insbesondere für Politikwissenschaftler, die sich mit der empirisch-vergleichenden Demokratie- und Autokratie-Forschung zu Südostasien befassen, dürfte das Buch bald ein Standardwerk für die Lehre an deutschen Universitäten werden. Desgleichen kann dieses Werk auch auf Grund seines Überblickscharakters Personen mit geringen Vorkenntnissen zu Südostasien empfohlen werden. Dem Autor gelingt es hervorragend, die komplexe und oft widersprüchliche Situation in den unterschiedlichen Staaten auch für Leser ohne Landeskenntnisse zu erklären. Auf Grund der Struktur der Länderkapitel ist es zudem möglich, sich auf rund 30 bis 40 Seiten mit einem einzelnen Land intensiv zu befassen und in prägnanter Form die wichtigsten Elemente des jeweiligen politischen Systems kennenzulernen. Für eine englischsprachige Ausgabe wäre sicherlich auch eine große Nachfrage außerhalb Deutschlands vorhanden.