Zusammenfassung
Die Bedeutung von Popmusik im Leben von Jugendlichen und jungen Erwachsenen wird meist nur im Hinblick auf ihre alltagspraktische Funktion oder den Gebrauch thematisiert, der von ihr gemacht wird. Ausgehend von einigen Anregungen aus Ästhetik, Biographieforschung und Bildungstheorie soll dagegen im vorliegenden Beitrag versucht werden, diese Sichtweise durch die Einbeziehung der Musik selbst auf eine Weise zu erweitern, die es erlaubt, die Auseinandersetzung mit Popmusik als ästhetische Erfahrung ernst zu nehmen und damit auch die Frage nach ihrem möglichen Bildungssinn neu zu stellen. Anhand einiger Beispiele aus einer Schreibwerkstatt, in der junge Erwachsene sich erinnernd mit ihren popmusikalischen Erfahrungen auseinander gesetzt haben, wird gezeigt, wie im je spezifischen Zusammenwirken von lebensgeschichtlichem Kontext, dem besonderem musikalischen Material und den Erfahrungen, die damit gemacht werden, neue Sinnschichten und Bedeutungen performativ hervorgebracht werden, die weder als „Ausdruck“ der jeweiligen Situation noch als bloße „Projektionen“ von momentanen Stimmungen auf ein für sich genommen bedeutungsloses Klanggebilde verstanden werden können. Ihre Bedeutung für Bildungsprozesse erschließt sich freilich erst, wenn eher vom rezeptiven als vom souveränen Selbst, eher von dem Leben, das wir leben, als von dem, das wir „führen“, ausgegangen wird.
Summary
“Bildung” and Pop Music: Self-questioning in the re-presentation of aesthetic experience
The impact of popular music on young people’s lives is mostly discussed with regard to its use and function in everyday life. Starting with some ideas of aesthetics, biographical research, and philosophy of education this paper suggests to broaden this point of view by including the music itself in order to show an important way of discussing popular music as an aesthetic experience and to reformulate the question of its educational meaning. Studying some written examples of young adults who were asked to remember their experience with popular music it is shown that meanings, created in specific relations to life stories, music, and experience, are neither expressions of respective situations nor just projections of present moods. The music’s impact on individual cultural processes indeed just becomes clear, when we consider the self as receptive rather than as sovereign, the life we live rather than the life we lead.
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Dietrich, C., Schubert, V. Bildung und Popmusik. ZfE 5, 325–344 (2002). https://doi.org/10.1007/s11618-002-0022-x
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