Für alle Nicht-Humanisten: es geht um das Alter. Konkret um die Schrift „Cato major de senectute“. Darin lässt Cicero fiktiv den 83-jährigen Zensor Cato in dialogischer Form seine Ansichten über das Alter vortragen. Im allgemeinen Bewusstsein ist Alter meist mit defizitären Eigenschaften oder Negativfolgen verbunden: körperliche und geistige Spannkraft lassen nach, ebenso die Wagnisfreudigkeit. Darüber hinaus schwinden die Gelüste sowie das Genusserleben. Schließlich sei das hohe Alter nur ein kurzes Wegstück, an dessen Ende das Tor zum Tode steht. Dem stellt Cato entgegen, dass sich das Alter durch erworbene Autorität und Entschlusskraft auszeichne. Schwäche ist kein alleiniges Merkmal des Alters, sondern werde durch unvernünftigen Lebenswandel und ungesunde Ernährung begünstigt. Gerade die Befreiung von Triebhaftigkeit eröffnet neue Gestaltungsmöglichkeiten in Form von geistigem oder gesellschaftlichen Engagement. Schließlich sei der Tod ein immanenter Begleiter des Lebens und kein Alleinstellungsmerkmal des Alters. Die Furcht vor dem Tod sei unbegründet, denn nach dem körperlichen Sterben warte ein ewiges Leben.

Diese über 2000 Jahre alten philosophischen Betrachtungen regen zum Nachdenken an. Aber wie gehen wir heute mit dem Thema „Alter“ um? Die Medienkanäle quellen über mit Ratschlägen, wie wir gesünder, fitter oder einfach besser alt werden. Die Lebenserwartung in Deutschland liegt für Männer aktuell bei rund 79 Jahren, für Frauen bei 83,5 Jahren, in anderen europäischen Ländern sogar darüber. Geschätzt sind 2025 etwa 22 Prozent der Weltbevölkerung älter als 60 Jahre. Forscher gehen davon aus, dass die Lebenserwartung zukünftig weiter steigen wird, vorausgesetzt, große Umweltkatastrophen oder Kriege bleiben aus. Dabei zählt nicht allein das numerische Alter, es geht vor allem um Lebensqualität und Selbstbestimmung. Eine immer größere Anzahl von Menschen jenseits des 80-sten Lebensjahres gehört zu den sogenannten Super-Agern. Deren Gedächtnisleistungen sind durchaus mit denen von 50-jährigen vergleichbar. Ähnliche Zahlen existieren zur körperlichen Belastbarkeit und Beweglichkeit. Bei der Frage, welche Faktoren das gesunde Altern bestimmen, gehen die Meinungen weit auseinander. Breiter Konsens innerhalb der wissenschaftlichen Community besteht in vier Punkten. Die genetische Disposition trägt etwa 25 Prozent dazu bei, wie alt wir werden. Die restlichen Determinanten bestehen zu etwa gleichen Teilen aus den Faktoren Bewegung, Ernährung und Sozialkontakte.

Die Medizin hat naturgemäß den Blick auf die defizitären Anteile des Alters. Selbstverständlich freut sich jeder Internist, jede Internistin über den fitten 78-jährigen, der seine Praxis mit dem Wunsch nach einem Check-up oder einer Vorsorgeuntersuchung betritt. Fakt ist allerdings, dass unser Berufsalltag bestimmt ist von Fragen rund um Polypharmazie, Sturzfolgen, unzureichender häuslicher Versorgung oder dem geriatrischen Assessment. Welche Patientin mit 75 Jahren macht noch regelmäßig Sport? Welcher Patient jenseits der achten Lebensdekade hat keine erhöhten Lipid- oder Blutzuckerwerte und hat einen normalen Taillenumfang? Dazu kommt das große Problem der Einsamkeit im Alter mit steigender Zahl von Single-Haushalten und fragilen Familienstrukturen.

Demografische Entwicklung und strukturelle Probleme wie Fachkräftemangel im Gesundheitswesen und Unterversorgung ländlicher Regionen verlangen nach neuen Strategien, die auch vor der Altersmedizin nicht haltmachen. Dazu gehört der Ausbau integrierter Versorgungsmodelle, die eine nahtlose Betreuung zwischen Krankenhaus, Rehabilitation und häuslicher Pflege ermöglichen. Daneben sind telemedizinische Anwendungen, die Implementierung digitaler Tools wie der künstlichen Intelligenz (KI) auf dem Vormarsch. Salzburger Forscher stellten kürzlich einen empathischen Roboter („Buddy-BeWell“) vor, der mit Hilfe von KI Bedürfnisse älterer Menschen erkennt, daraus personalisierte Muster ableitet, um diese Menschen dann im Alltag zu unterstützen.

Die Sozial- und Gesundheitspolitik steht in den nächsten 20 Jahren vor gewaltigen Aufgaben, um den wachsenden Anforderungen einer älter werdenden Bevölkerung gerecht zu werden. Es sind nicht nur die erwähnten ethischen Fragen, die uns als Mediziner und Internisten berühren sollten. Die Geriatrie als klinisches Fach kann ihren Beitrag dazu leisten, die immensen gesellschaftlichen und medizinischen Herausforderungen zu meistern. Insbesondere dann, wenn das Fach weiter ausgebaut und flächendeckend als Schwerpunkt innerhalb der Inneren Medizin etabliert wird.

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© PHIL DERA

Dr. med. Ivo Grebe

Vorsitzender der AG Hausärztliche Internistinnen und Internisten des BDI