In den vergangenen Jahren hat das Belastungs-EKG an diagnostischer Relevanz eingebüßt. Sollten sich aber die Ergebnisse einer Studie bestätigen, sind die Bedenken aufgrund angeblich vieler falsch positiver Ergebnisse womöglich unbegründet.

Stellen sich Patientinnen und Patienten mit pektanginösen Beschwerden in der ärztlichen Sprechstunde vor, gilt das erste Augenmerk der Suche nach ischämierelevanten koronaren Stenosen. Lange Zeit war das Belastungs-EKG zum Nachweis von stenosebedingten Ischämiezeichen bei körperlicher Anstrengung erste diagnostische Wahl. Allerdings stellte sich heraus, dass in der sich anschließenden Koronarangiografie bei etwa einem Drittel der Patienten mit Ischämie im Belastungs-EKG keine relevante Koronarstenose zu finden ist. Diese hohe Rate angeblich falsch positiver Resultate zog es nach sich, dass mit zunehmender Verfügbarkeit der koronaren computertomografischen Angiografie (CCTA) das Belastungs-EKG an diagnostischer Bedeutung in der Abklärung von Angina pectoris verlor.

Zweifellos ist die CCTA besser geeignet als das Belastungs-EKG, die Frage nach stenotischen Koronarien zu beantworten. Das Belastung-EKG ist für diese Frage aber möglicherweise die falsche Adresse, wie die Ergebnisse einer britischen Studie nahelegen. Das EKG unter körperlicher Belastung ist vielmehr das geeignete Instrument, um eine myokardiale Ischämie aufzudecken. Mit Blick auf das Vorliegen von Stenosen mögen die Ergebnisse falsch positiv ausfallen - sie sind es aber wohl nicht, wenn man Myokardischämien selbst in den Fokus nimmt. In den Studienresultaten, die eine Gruppe um Aish Sinha vom British Heart Foundation Center of Excellence am Londoner King's College vorgelegt hat, lag die Rate falsch positiver Ischämiebefunde bei Patienten mit Angina pectoris und nicht obstruierten Koronararterien (ANOCA) jedenfalls exakt bei null.

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Mikrovaskuläre Dysfunktion mit 100%iger Spezifität aufspüren? Laut einer aktuellen Studie schafft ein Belastungs-EKG das.

ANOCA-Patienten als Probanden

Beteiligt waren 102 ANOCA-Patienten, die zuvor einer invasiven, Adenosin-vermittelten Messung der koronaren Flussreserve unterzogen worden waren; eine vom Endothel unabhängige mikrovaskuläre Dysfunktion war bei einem Wert unter 2,5 gesichert. Zudem wurde die Acetylcholin-Flussreserve bestimmt. Ein Wert von 1,5 oder weniger deutete auf den Befund einer endothelabhängigen mikrovaskulären Dysfunktion hin. Anschließend bat man die Patienten zum Belastungs-EKG auf dem Laufband nach dem klassischen, 60 Jahre alten Protokoll von Robert Bruce. Als Zeichen einer Ischämie wurde das Auftreten einer ST- Senkung um mindestens 0,1 mV im EKG 80 ms vom J-Punkt entfernt gedeutet.

100%ige Spezifität für koronare mikrovaskuläre Dysfunktion

32 Patienten entwickelten während des Belastungs-EKG eine Ischämie, alle hatten auch in den physiologischen Tests eine mikrovaskuläre Dysfunktion gezeigt. Die Spezifität für koronare mikrovaskuläre Dysfunktion erreichte 100%. Mit endothelabhängiger und -unabhängiger mikrovaskulärer Dysfunktion als Referenz war die Rate falsch positiver Ergebnisse im Belastungs-EKG gleich null. Als aussagekräftigster Faktor für Ischämiezeichen im Belastungs-EKG erwies sich die Acetylcholin-Flussreserve.

Eine mikrovaskuläre Dysfunktion war in den physiologischen Tests auch bei 46 (66%) der 70 Patienten ohne Ischämiezeichen im Belastungs-EKG festzustellen gewesen. Damit lag die Sensitivität des EKG bei 41%. Der positive Vorhersagewert des EKG für mikrovaskuläre Dysfunktion erreichte 100%, der negative Vorhersagewert betrug 34%.

Das Fazit von Sinha et al. fällt somit wie folgt aus: „Unsere Ergebnisse ziehen die herkömmliche Ansicht in Zweifel, wonach das Belastungs-EKG eine hohe Rate falsch positiver Befunde produziert.“

Sinha A et al. J Am Coll Cardiol 2024