Übergewicht, Belastungsdyspnoe und Beinödeme - das muss nicht unbedingt eine chronische Herzinsuffizienz sein. Ein Fallbeispiel zeigt den Weg, wie sich Überdiagnostik und Übertherapie vermeiden lassen.

Ein 66-jähriger Patient (im Ruhestand) stellt sich hausärztlich vor und beklagt das Gefühl, bei schweren und gelegentlich auch bei leichten Anstrengungen "nicht richtig Luft zu bekommen". Anders als erhofft habe er - trotz Ruhestand mit mehr Zeit - keine Partnerin kennengelernt und sei weiterhin alleinstehend. Sein Übergewicht habe sich erhöht (Größe 1,85 m, Gewicht 120 kg). Neben der Adipositas ist eine Varikosis links mit Zustand nach Varizen-Op. vor drei Jahren bekannt. Er beklagt regelmäßig leicht geschwollene Beine, besonders links. Eine zwei Jahre zuvor wegen unklaren Brustschmerzen durchgeführte Koronarangiografie war unauffällig.

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© K.H. Fung / Science Photo Library

Hinter den Symptomen einer Herzinsuffizienz kann sich eine andere Ursache verbergen.

Unauffälliger kardiopulmonaler Befund

Es zeigt sich in der Untersuchung ein unauffälliger kardiopulmonaler Befund und keine klinischen Zeichen einer Flüssigkeitsretention. Der gemessene Blutdruck beträgt 145/90 mmHG, ein Ruhe-EKG zeigt einen unauffälligen Befund.

Bei eher geringem Risiko für eine chronische Herzinsuffizienz (CHI) erfolgt eine NT-Pro-BNP-Bestimmung, die einen Wert von 138 pg/ml ergibt. Mit den leicht erhöhten BNP-Werten wird der Patient - entsprechend den Empfehlungen der Nationalen Versorgungsleitlinie "Chronische Herzinsuffizienz" (NVL-CHI) - an eine kardiologische Praxis zum echokardiografischen Ausschluss einer CHI überwiesen.

Bei dem Patienten wird durch die involvierte kardiologische Praxis eine Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion (heart failure with preserved ejection fraction; HFpEF) diagnostiziert. Die ermittelte linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF) von 58% ist als normwertig eingestuft worden, es wurden jedoch echokardiografische Hinweise für eine linkventrikuläre diastolische Dysfunktion gefunden, was in Verbindung mit dem Symptom "Belastungsdyspnoe" die Diagnose HFpEF begründete.

Das Stadium des Patienten würde im Fall des Nachweises einer Herzinsuffizienz zwischen NYHA-II und NYHA-III liegen. Es besteht mindestens ein Risikofaktor (Adipositas) und ein passendes Symptom (Belastungsdyspnoe), die Ödeme wären jedoch auch durch die vorbekannte Varikosis erklärbar.

Welche Therapie ist den Patienten zu empfehlen?

Die kardiologische Therapieempfehlung lautet: Beginn mit einem SGLT-2-Hemmer und dem Mineralokortikoidrezeptorantagonisten (MRA) Spironolacton unter Bezug auf die Empfehlungen der US-amerikanischen Leitlinie der American Heart Association (AHA) aus dem Jahr 2022, sowie der Beginn mit Furosemid zur Behandlung einer Volumenbelastung (Unterschenkelödeme).

Der Patient fragt Sie, ob die medikamentöse Therapie so weiterzuführen ist.

Zur Beantwortung der Frage vergegenwärtigen Sie sich die Leitlinienempfehlungen (Stand 02/2023) und Ergebnisse der Zulassungsstudien zu den SGLT2-Hemmern, und stellen fest:

Der echokardiografische Befund einer linksventrikulären Dysfunktion (LVD) kommt auch als "asymptomatische LVD" bei 25-35% der Menschen im Alter von 53 bis 73 Jahren vor (je nach Stringenz der angewendeten Echokriterien) wohingegen in der gleichen Altersgruppe lediglich circa 3,5% unter einer Herzinsuffizienz leiden. Es besteht somit im Falle Ihres Patienten die Möglichkeit der Überdiagnose, da die (subjektive) Belastungsdyspnoe auch andere Gründe haben kann und das klinische Zeichen "periphere Ödeme" auch durch die bekannte Varikosis und Adipositas erklärt werden könnten.

Trotz der positiven Ergebnisse von zwei randomisierten kontrollierten Studien (RCT) gibt es in der für den hausärztlichen Versorgungskontext anzuwendenden NVL-CHI bisher keine Empfehlung für die Anwendung von SGLT-2-Hemmern oder MRA bei HFpEF. Es bleibt daher abzuwarten, ob in Aktualisierungen dieser Leitlinie (die im Verlauf des Jahres 2023 erwartet wird) anderslautende Empfehlungen formuliert werden.

Bei Betrachtung der Studiendetails der o.g. zwei Zulassungsstudien zu SGLT2-Hemmern bei Herzinsuffizienz fällt zudem auf, dass Ihr Patient nicht den Einschlusskriterien entsprochen hätte: Der NT-pro-BNP-Wert ist < 300 pg/ml; bisher bestand keine Notwendigkeit einer Diuretikaeinnahme und keine bekannte Vordiagnose einer CHI.

Sie beraten den Patienten dahingehend, dass aus allgemeinmedizinischer Sicht die Einnahme von SGLT-2-Hemmern oder MRA aktuell nicht indiziert ist und nicht durch die aktuelle NVL begründet werden kann. Ob die Auffälligkeiten in der Echokardiografie in seinem Fall als asymptomatische LVD oder HFpEF zu werten wären, macht für Ihre hausärztliche Empfehlung keinen Unterschied, da selbst bei Vorliegen einer HFpEF in erster Linie Risikofaktoren für eine CHI behandelt werden sollten. Im Fall Ihres Patienten wäre das die Adipositas und der Verdacht auf eine arterielle Hypertonie.

Individuelle Beratung

Sie schlagen dem Patienten vor, mittels einer 24-Stunden-Blutdruckmessung den fraglichen Bluthochdruck weiter abzuklären und würden sich im Weiteren an der S3-Leitlinie "Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention" orientieren. Sie besprechen mit dem Patienten, wie Sie ihn bei der gewünschten Gewichtsreduktion unterstützen könnten. Weiterhin sensibilisieren Sie den Patienten dafür, dass es Medikamente gibt, die sich negativ auf die Herzfunktion auswirken können. Bei Änderung seines Medikationsplans sollte er seine behandelnden Ärzte darauf aufmerksam machen, dass NSAR bei Herzinsuffizienz über eine gelegentliche Einnahme hinaus kontraindiziert sind.

Der ungekürzte Originalartikel "Diagnose und medikamentöse Therapie der chronischen Herzinsuffizienz in der hausärztlichen Praxis" ist erschienen in der Zeitschrift für Allgemeinmedizin 2023; 99:151-161