Ein bestimmter intensiver Geruch, etwa Parfüm, kann bei Migränepatienten eine Attacke auslösen. Ausgerechnet Gerüche gelten nun als Kandidaten für neue Therapieformen bei Schmerzerkrankungen.

Riechen und Schmerzempfinden hängen laut Prof. Thomas Hummel, TU Dresden, eng zusammen. "Die meisten Duftstoffe sind Mischreize," erklärte der Experte beim Deutschen Schmerzkongress. Das heißt, sie induzieren in den Rezeptoren der Riechschleimhaut sowohl olfaktorische als auch nozizeptiv-trigeminale Aktivität. Rein olfaktorisch wirke Schwefelwasserstoff.

Dass das ansonsten geruchlose Kohlendioxid in der Nase brennt, sei wiederum ein rein trigeminaler Effekt. Man könne eine Skala bilden von überwiegend olfaktorisch bis überwiegend trigeminal, mit Vanillin am olfaktorischen Ende, gefolgt von den Düften nach Rosen, Kaffee, Leder, Anis bis hin zum überwiegend trigeminal wirkenden Meerrettich.

Mutationen im SCN9A-Gen führen zum Funktionsverlust bestimmter spannungsabhängiger Natriumkanäle, die zu einer angeborenen Schmerzunempfindlichkeit führt. Hummel und Kollegen fanden heraus, dass die Präsenz von SCN9A-Varianten nicht nur mit erhöhten Schmerz- sondern auch Riechschwellen assoziiert ist.

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Bei Patienten mit Riechtraining besserten sich Geruchswahrnehmung und Schmerzempfinden.

Neue Wege in der Schmerztherapie?

Auch wenn die Zusammenhänge noch nicht detailliert verstanden sind: Möglicherweise eröffnet das Wissen um die enge Kopplung der Verarbeitung von Schmerz- und Geruchsempfindung neue Wege in der Schmerztherapie. Die Dresdener Forschungsgruppe konnte z.B. bei Menschen mit chronischen Rückenschmerzen zeigen, dass deren Schmerzschwelle unter einem vierwöchigen Riechtraining anstieg.

Menschen mit Migräne sind besonders geruchsempfindlich. Intensive Gerüche können Migräneattacken auslösen. Zudem sei, so PD Dr. Gudrun Goßrau, Leiterin der Kopfschmerzambulanz der Uni Dresden, das Riechvermögen bei Migränebetroffenen eingeschränkt.

Möglicherweise sei das Folge eines Vermeidungsverhaltens: Aus der Erfahrung heraus, dass bestimmte Gerüche eine Attacke auslösen können, meidet die betroffene Person die Exposition gegenüber Gerüchen. Dies könnte dazu führen, dass das Riechvermögen nach und nach verkümmert. Goßrau berichtete über MRT-Studien, die eine Atrophie des Bulbus olfactorius bei Migränekranken zeigen.

Besserung bei drei Viertel

Berit Höfer, Universitätsschmerzzentrum Dresden, stellte die Ergebnisse einer placebokontrollierten Studie vor, in der 85 kopfschmerzbetroffene Kinder und Jugendliche ein dreimonatiges Riechtraining absolvierten. Dazu durften die Teilnehmer morgens und abends an vier von ihnen zuvor ausgewählten, angenehmen Düften schnuppern. Die Placebostifte enthielten hingegen keine Duftstoffe.

Unter dem Riechtraining besserte sich in der Verumgruppe die Geruchswahrnehmung signifikant. Gleichzeitig wurde die Empfindlichkeit gegenüber mechanischen und elektrischen Schmerzreizen reduziert, das heißt, die Schmerzwahrnehmungsschwelle erhöhte sich. Laut Selbsteinschätzung der Betroffenen besserten sich die Kopfschmerzen bei 70% der Verum- und bei 40% der Placebogruppe.

Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Marie Frost und Kollegen vom Universitätsschmerzzentrum Dresden in einer RCTStudie mit 68 Migränebetroffenen. Unter dem Riechtraining verbesserte sich das Riechvermögen, die mechanische Schmerzwahrnehmungsschwelle stieg an.

Die mittels MIDAS (Migraine Disability Assessment Score)-Fragebogen ermittelten krankheitsbedingten Funktionseinschränkungen gingen sowohl in der Verum- als auch in der Placeboguppe zurück, ohne einen statistisch signifikanten Unterschied. Die Arbeitsgruppe wird nun in weiteren Studien die Wirksamkeit des Riechtrainings in der Kopfschmerzprävention untersuchen. Besonders interessant findet Goßrau dabei die Frage, ob eine durch das Riechtraining erreichte Desensitisierung vor einer Schmerzchronifizierung schützt.

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