Für mit dem Immunschwäche-Virus Infizierte können Ärzte aus mehr als 30 Originalpräparaten und vielen Generika ein Behandlungsschema zusammenstellen. Die verschiedenen Wirkstoffe unterscheiden sich dabei in der Art ihrer Wirkweise.

Kürzlich ist die erste langwirksame Injektionstherapie zur Behandlung von Patienten mit HIV zugelassen worden. Diese besteht aus zwei Spritzen, mit denen die Wirkstoffe Cabotegravir und Rilpivirin intramuskulär injiziert werden. Das Besondere: Die Injektion muss nur alle zwei Monate erfolgen. Diese Art der Verabreichung von Wirkstoffen ist für HIV neu, die verabreichten Wirkstoffe sind jedoch noch die gleichen. Einen Überblick, welche Wirkstoffe es für die Behandlung betroffener Patienten gibt, hat der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) auf seiner Webseite zusammengestellt.

Was aber bewirken die unterschiedlichen Klassen der HIV-Arzneien im Körper des Infizierten? Dazu lohnt es sich, den Ablauf einer HIV-Infektion näher zu betrachten. Hier einige Beispiele:

Möglichkeit 1: Das Virus am Zelleintritt hindern

Viren können sich bekanntermaßen nicht selbst vermehren, sondern müssen stattdessen andere Zellen zwingen, Kopien von ihnen zu erstellen. Das HI-Virus hat sich dafür auf die CD4-positiven T-Helferzellen spezialisiert, eine bestimmte Sorte Immunzelle, die im Blut vorkommen. Trifft es dort auf eine CD4-Zelle, bindet das Virus über die CCR5-Rezeptoren an den Lymphozyt. Über diese Rezeptoren empfängt die Zelle Botenstoffe anderer Zellen. Über die Bindung an den CCR5-Rezeptor fusionieren das HI-Virus und die T-Zelle - dadurch kann das Virusmaterial in das Innere des Lymphozyten gelangen.

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© [M] VFA

In den Vermehrungszyklus des HI-Virus kann zu mehreren Zeitpunkten eingegriffen werden - das bewerkstelligen jeweils verschiedene Medikamentenklassen der antiretroviralen Therapie.

In diesem Stadium der Infektion wirkt die Substanzklasse der Entry-Inhibitoren. Diese Hemmstoffe verhindern das Eindringen des HI-Virus in die Helferzelle, indem sie entweder den CCR5-Rezeptor blockieren oder das Fusionieren von Virus und Lymphozyten verhindern. Ein Beispiel dafür ist Enfuvirtide.

Möglichkeit 2: Vervielfältigung des Virus verhindern

Gelingt es dem HI-Virus, mit dem Lymphozyt zu fusionieren, werden mehrere Enzyme sowie das Erbgut des Virus in die Zelle geschleust. Eins dieser Enzyme ist die Reverse Transkriptase, deren Aufgabe es ist, die einsträngige Viren-RNA in doppelsträngige DNA umzuschreiben, die mit dem menschlichen Genom kompatibel ist. Sofort nach Eintritt in die Immunzelle beginnt die Reverse Transkriptase mit dieser Kopieraktivität.

Das lässt sich durch zwei verschiedene Klassen von Medikamenten unterbinden, die als nukleosidische und nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmer bezeichnet werden (NRTI und NNRTI). Das sind zum Beispiel Abacavir (NRTI) und Doravirin (NNRTI).

Möglichkeit 3: Einbau in humane DNA verhindern

Ist es den viralen Enzymen gelungen, die Viren-RNA in DNA umzuschreiben, kann diese Kopie des Virus-Erbguts nichts in der Immunzelle bewirken, solange sie nicht in das normale Erbgut der Zelle eingefügt wird. Ist die Viren-DNA erst im Zellkern enthalten, übernimmt sie die Kontrolle über die Zelle.

Diese Integration in die DNA im Zellkern ist die Aufgabe eines zweiten viralen Enzyms, der Integrase. Ein Medikament aus der Klasse der Integrase-Hemmer verhindert dieses Einfügen in den Zellkern, zum Beispiel Bictegravir.

Möglichkeit 4: Virus-Produktion stilllegen

Ist die Kopie der Viren-RNA erst einmal ins Erbgut der Zelle eingefügt, steht die Immunzelle unter viraler Kontrolle. Das virale Erbgut veranlasst dann - sofort oder auch erst nach Jahren - die Bildung großer Mengen neuer Viren. Dafür stellt der vom Virus gekaperte Lymphozyt in einem ersten Arbeitsgang neue Virusbausteine und -enzyme her.

Die einzelnen montagefertigen Virenbausteine werden anschließend von einem der frisch hergestellten Enzyme, der HIV-Protease, zusammengefügt. An diesem Schritt im Vervielfältigungszyklus des Virus, kurz vor dem Austritt aus der Zelle und der Verbreitung in der Zellumgebung, kann ein Medikament aus der Klasse der Protease-Hemmer die Zusammensetzung der Virenbausteine noch aufhalten. Ein Beispiel für diese Klasse ist Amprenavir.