Behindern kulturelle Unterschiede die Therapie? Patienten aus anderen Kulturkreisen stellen eine besondere Herausforderung für Ärzte dar. Mit der steigenden Zahl an Migranten aus dem orientalisch-arabischen Kulturkreis wird in Deutschland vermutlich auch die Zahl an Diabetespatienten aus diesen Ländern steigen. Das betonte Dr. Mahmoud Sultan, Leiter des Diabeteszentrums Kreuzberg in Berlin, bei der Veranstaltung „Innere Medizin fachübergreifend, Diabetologie grenzenlos“. Bereits heute sind etwa 40% der Patienten in der Praxis des Internisten und Diabetologen aus der Türkei. Sie stellen damit den größten Migrantenanteil dort.

Brotkonsum viel höher als bei Deutschen

Bei ihnen liege die Prävalenz des Typ-2-Diabetes einer Bevölkerungsstudie in Frankfurt am Main zufolge bei 15%. Das sei etwa doppelt so hoch sei wie in der deutschen Gesamtbevölkerung, sagte Sultan. Die Gründe sind vielgestaltig.

„Gerade in der türkischen Kultur ist der Brotkonsum sehr hoch“, erklärte Sultan. Er nannte einen jährlichen Konsum von 168 kg pro Kopf — im Vergleich zu 86 kg bei einem Durchschnittsdeutschen. In der orientalischen Gesellschaft gelte Essen zudem generell als Gesundmacher. „Wer dünn ist, gilt als krank und arm“, berichtete der Diabetologe.

Daneben gebe es noch viele weitere Probleme, die die Prävention und Therapie von Typ-2-Diabetes bei orientalischen Migranten deutlich erschweren können. So gelten etwa Mütter als Respektspersonen, die von ihren Kindern und Schwiegertöchtern derart unterstützt werden, dass ihnen die notwendige körperliche Bewegung komplett fehle, was die Gewichtszunahme begünstigt. „Sport ist in vielen orientalischen Kulturkreisen nicht üblich — bei Frauen schon gar nicht", sagte Sultan. Auch trauten Frauen mit Kopftuch sich oft nicht in Vereine und Fitnessstudios. Für viele seien, wenn überhaupt, nur gleichgeschlechtliche Bewegungsangebote eine Option.

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Backwaren haben in der türkischen Kultur einen sehr hohen Stellenwert.

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Arabische Patienten oft passiver

Die Gruppe der Migranten unter den Diabetespatienten ist allerdings sehr heterogen. Sind sie gut integriert und mit der deutschen Sprache vertraut, sind diese Patienten im diabetologischen Alltag laut Sultan nicht problematisch. Patienten mit niedrigem sozialem Status, die der deutschen Sprache nicht mächtig oder Analphabeten sind, stellen das gesamte Praxisteam dagegen vor große Herausforderungen.

Viele Migranten wüssten nicht, was die Krankheit Diabetes überhaupt bedeutet und könnten den Einfluss des Blutzuckers im Körper nicht nachvollziehen. Der den Patienten begleitende Laiendolmetscher sei meist ein Familienangehöriger, der die Informationen bei der Weitergabe reduziere und verzerre. Das führe dazu, dass Therapien nicht ausreichend umgesetzt werden.

Der Patient spiele im Gespräch und auch sonst dadurch eine eher passive Rolle, „als sei der Diabetes nicht seine Angelegenheit“, so Sultan. „Das ist ein großes Hindernis für eine tragfähige Arzt-Patienten-Beziehung.“

Glaube an gottgegebene Krankheiten

Ein weiteres Problem ist der Kultureinfluss bei der Beschreibung und Wertung der Symptome und Beschwerden. Patienten aus dem orientalischen Kulturkreis glaubten oft, dass Krankheit gottgegeben ist und „Gott es schon richten wird“. Sultan beobachtet: „Sie versuchen eigene Rezepturen für ihre Therapie zu finden, etwa Kräuter, die Diabetes angeblich wegbehandeln können.“

Auch nehmen die Patienten die Schulungsangebote oft nicht wahr, wodurch sich der Behandlungsaufwand in der Praxis deutlich erhöht. Viele kehren auch für drei bis sechs Monate im Jahr in die alte Heimat zurück, was die Kontinuität der Therapie deutlich erschwert.

Und dann ist da natürlich noch der Fastenmonat Ramadan. Viele der türkischen Patienten Sultans wollen fasten, wodurch „die Therapie durcheinandergeraten kann“. Sie müsse daran angepasst, die Patienten extra geschult werden. Wenn man von den fünf Säulen der Diabetestherapie sprechen wolle — Ernährung, Arzneien, Blutzuckerselbstkontrolle, Schulung, Bewegung –, „dann wackeln die richtig“, so der Diabetologe.

Sultan bedauert, dass in den Praxen oft nicht auf die Bedürfnisse der Patienten mit Migrationshintergrund eingegangen werde. Er wünscht sich, „dass die Patienten kultursensibel dort abgeholt würden, wo sie stehen.“