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Etwa 70 Opern werden Gaetano Donizetti (1797–1848) zugeschrieben. Die Werke flossen ihm nur so aus der Feder. Mit seinem musikalischen Genie wurde der aus armen Verhältnissen stammende Musiker zum umjubelten Star seiner Zeit. Einem Star, der das Leben genoss, durch Europa reiste, als Professor für Komposition am Konservatorium in Neapel lehrte und dies für ein Leben in Paris aufgab.

Womöglich infizierte er seine große Liebe

Im Unterschied zu anderen an dieser Stelle besprochenen Prominenten bestehen bei Donizetti kaum Zweifel daran, dass er innerhalb von drei Jahrzehnten alle Stadien einer Lues durchgemacht hat. „Es gibt wohl wenige bedeutende Persönlichkeiten der Weltgeschichte, über die derartig viele Gutachten von qualifizierten Ärzten verfasst worden sind“, schrieb der Internist Professor Franz Hermann Franken aus Freiburg in seiner Pathografie. Fast lehrbuchhaft lassen sich alle Phasen der unbehandelten Infektion bis hin zum grauenhaften Endstadium sowie einem finalen Siechtum, das sich bei Donizetti über drei Jahre hinzog, nachvollziehen.

Es wird angenommen, dass der Komponist sich infizierte, bevor er seine große Liebe Virginia Vaselli (1808–1837) kennenlernte, die er im Juni 1828 heiratete. Sie brachte 1829 ein missgebildetes Kind zur Welt, das bald starb, hatte später eine Totgeburt und auch das dritte Kind starb kurz nach der Geburt. Sie selbst wurde danach ein Opfer der Cholera. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Missbildungen und die Totgeburt im Zusammenhang mit der Lues stehen, die ihr Mann auf sie übertragen hatte. Nachweisen lässt sich das natürlich nicht.

Es begann mit Migräne- und Fieberattacken

Etwa zur Zeit der ersten Schwangerschaft seiner Frau begann Donizetti unter wiederkehrenden, migräneartigen Kopfschmerzen zu leiden sowie an „nervösen“ Fieberschüben, das ihn tagelang ans Bett fesselte. In einem Brief schrieb er: „Von Zeit zu Zeit habe ich mein gewöhnliches Fieber, das mir einen Besuch abstattet, aber es dauert nicht mehr als gewöhnlich 24 Stunden. Seine Gewalt entkräftet mich zwar für einige Zeit, dann aber beginne ich wieder zu arbeiten...“ Die Fieber- und Kopfschmerzattacken häuften sich und wurden immer intensiver. Im Sommer 1842 wirkte der inzwischen auf dem Höhepunkt seines Schaffens angekommene 45-jährige Komponist vorgealtert, in sich zusammengesunken, mit tief in den Höhlen liegenden Augen.

Ruhe, Abführmittel und Digitalis blieben ohne Erfolg

Nun kommen Wesensveränderungen hinzu. Offenbar hat er wiederholt visuelle Halluzinationen. Bei Proben zu seiner Oper „Dom Sébastien“ in Paris ruft er plötzlich aus: „Dom Sébastien tötet mich!“ Sein Gesichtsausdruck erstarrt zunehmend, er ist reizbar, jähzornig. Besonders fällt seine zunehmende Gangunsicherheit auf. Die Kopfschmerzen werden von Schwindel begleitet. Behandelt wird er mit Ruhe (auch geistige Arbeit wird ihm untersagt), Abführmitteln und Digitalis-Sirup, der den tastbaren Puls verlangsamt und von dem man glaubte, dass er fiebersenkend wirke. Im Dezember 1844 wirkte er immer wieder verwirrt. Zornesausbrüche wechseln mit apathischen Zuständen. Ärzte versuchen dem mit Bädern und Senfpackungen beizukommen.

Sein Gesundheitszustand wird zusehends schlechter. Es werden viele namhafte Ärzte konsultiert, unter anderem Philippe Ricord (1799–1889), der ein Buch zu Geschlechtskrankheiten verfasst hatte. „Seine Hinzuziehung lässt darauf schließen, dass man sehr wohl über die wahre Ursache von Donizettis Geisteskrankheit unterrichtet war“, so Franken in seiner Pathografie. Offiziell ist von Folgen übermäßiger Arbeit die Rede, eine Umschreibung der Annahme, dass Funktionen des Zentralnervensystems gestört sind. Aus damaliger Sicht scheint es logisch, Ruhe zu verordnen und zu versuchen, mit dem Anlegen von Blutegeln, Abführmitteln und blasenziehenden Mitteln das krankmachende Agens aus dem Körper zu ziehen.

Natürlich hilft das nicht. Weihnachten 1845 ist die Hals- und Nackenmuskulatur gelähmt, Donizetti kann den Kopf nicht halten, er fällt ihm auf die Brust. Die Mimik ist ausdruckslos, jede Bewegung schmerzt, er fürchtet vergiftet zu werden. Er wird in eine Anstalt für Geisteskranke in Ivry-sur-Seine bei Paris gebracht. Donizetti glaubt in wachen Momenten, er sei irrtümlich verhaftet worden, beteuert seine Unschuld, fleht um seine Freilassung. Später wird er komplett pflegebedürftig. Nach 17 Monaten in der Anstalt wird der hoch verehrte Künstler in seinen Heimatort Bergamo gebracht. Dort verbringt er die Monate bis zum Tod ein einem monotonen Wechsel von unbeweglichem Sitzen, Essen und Bettruhe. Schließlich treten hohes Fieber, Krampfanfälle und eine spastische Lähmung der rechten Körperhälfte auf. Am 8. April 1848 stirbt Donizetti.

Die Obduktion ergibt Zeichen einer diffusen Entzündung der Hirnhäute: Die Pia mater ist mit der Hirnoberfläche verklebt, die Dura mater ist vom fünften Brustwirbel bis zum zweien Lendenwirbel entzündlich infiltriert. Die Seiten- und der vierte Hirnventrikel sind erweitert. Auch wenn es sich dabei lediglich um makroskopische Befunde handelt, so sind diese doch in Kombination mit den beschriebenen klinischen Symptomen und zahlreichen Gutachten prominenter Ärzte starke Indizien für eine Spätsyphilis.